Was sich alles zwischen 1924 und 2024 getan hat? Sehr viel. Sehr, sehr viel. Das alles hat die Freilichtbühne Tecklenburg bereits mitbekommen. Trends, die kommen und gehen. Entwicklungen im (Musik-)Theatergenre. Stars der Szene und noch so einiges mehr. In diesem Monat feiert man 100-jähriges. Wir gratulieren erneut an dieser Stelle und freuen uns, auch wenn wir wahrscheinlich nicht alle davon mitbekommen werden, auf die nächsten 100. Das erste Stück, das nach dem runden Geburtstag Premiere feiert, ist 3 Musketiere – Das Musical.
Das erste? Läuft nicht seit einigen Wochen auch “Mamma Mia!” ? Doch! Strenggenommen war die Premiere des ABBA-Evergreens jedoch noch vor dem Kerzen auspusten. Allerdings fühlt sich das Stück, das sich um die Hochzeit der jungen Sophie und die Suche nach ihrem Vater dreht, so richtig nach fetter Party an, denn sämtliche Vorstellungen bis in den September hinein melden ausverkauft. Tecklenburg hatte also genau das richtige Gefühl, indem man den Klassiker erstmalig in Deutschland open air spielt.
Dass es 3 Musketiere somit per se schwerer hat, liegt auf der Hand. Trotz recht bekannter Story, die bereits seit 1844 in Buchform Generationen begeistert, handelt es sich um das wesentlich unbekanntere Musical, deren Songs nur die großen Anhänger*innen des Musiktheaters kennen. Das niederländische Stück, dessen Musik und Texte von den Brüdern Rob und Ferdi Bolland geschrieben wurden, hatte 2003 Premiere – Funfact: Bastian Raages, ein Ex-Mitglied von Caught in the Act, spielte die männliche Hauptfigur D’Artagnan – lief 2005 erstmalig in Deutschland und ist für die schönste Freilichtbühne des Landes ein kleines Revival. Schon 2010 gab es in Tecklenburg auf der großen Bühne 20 Vorstellungen. 14 Jahre später holt man das eben nicht ganz so gängige Werk wieder zurück und zeigt abermals 20 Shows.
Bei der vierten Vorstellung, die an einem Donnerstagabend stattfindet, ist das Bild im Freilichtsaal ein untypisches, sind nämlich ungefähr die Hälfte der Plätze noch frei. Ansonsten platzt die Bühne gerne aus allen Nähten. Aber wie bereits gesagt, ist die Konkurrenz mit “Mamma Mia!” eben saustark. Wird man bei dem anderen Musical durch unzählige Hits zugeschüttet, die alle kennen und mit Mitklatschen unterstützen, wird es bei 3 Musketiere doch eher klassisch, ernster und auch erzähllastiger. D’Artagnan verabschiedet sein Elternhaus und geht nach Paris, um wie sein Vater einer der Musketiere der Garde zu werden. Das stellt sich aufgrund diverser Konflikte mit König Ludwig XIII. sowie Kardinal Richelieu als doch ganz schön schwierig heraus. Dazwischen gibt es natürlich noch eine große Portion Herzschmerz und Konfliktpotenzial mit diversen Damen, die ihn umgarnen.
Offensichtlich ist 2024 das Jahr der sehr starken Bühnenbilder in Tecklenburger. Ähnlich wie “Mamma Mia!” wird wirklich alles bis aufs Äußerste genutzt. 3 Musketiere hat unzählige schöne Settings und ein sehr authentisch wirkendes Kostüm. Unzählige Male werden Requisiten auf die Bühne gebracht und gleich mehrere starke Szenen bleiben langfristig im Kopf wie ein Besuch in der Hölle mit zig Teufeln, eine stürmische Schifffahrt, ganz schön laute Kanonenschüsse und schnelle Fechtkämpfe. Für letztes wurde genauso gut choreografiert wie für die recht anspruchsvollen Tanzszenen, in denen immer wieder große Mengen an Darsteller*innen involviert sind.
Sowieso liebt man Tecklenburg natürlich für seine gigantische Cast. Das gilt für Quantität wie Qualität. Fast 60 Personen haben hier die Ehre auf der Bühne zu wirken. Dabei stechen gleich mehrere besonders positiv hervor. Raphael Groß ist in der Hauptrolle des D’Artagnan eine ganz vorzügliche Wahl. Ein wahrer Allrounder. Gesanglich, schauspielerisch wie optisch trumpft der noch junge Darsteller voll auf und zeigt viele Facetten von introvertiert-unsicher bis hin zu erwachsen und stolz. Damit kann er seine Performance in “Footloose” weit hinter sich lassen, konnte er da nämlich nicht mal die Hälfte so aufspielen wie jetzt.
Celena Pieper ergänzt nach ihrer perfekten Show in “Mamma Mia!” auch als etwas weniger tragende, aber keinesfalls unwichtige Constance ihre Tecklenburg-Premiere. Wieder ist sie genau die richtige Wahl, um mit viel Charme und Feingefühl alle zu verzücken. Charakterdarsteller Christian Schöne ist zwar wenig überraschend als Rochefort besetzt, macht den aber auch erneut so ekelig arrogant und unangenehm, dass es Spaß macht, zuzuschauen. Auch die drei Musketiere liefern solide Performances. Lediglich bei Alexander di Capri als Richelieu muss man schon wieder Abstriche machen. Auch wenn der 50-jährige Star schauspielerisch richtig gut wegkommt, so hört man im Gesang gleich mehrere unsaubere Töne – und das ist uns nun zum wiederholten Male bei ihm aufgefallen. Bettina Mönch hat als Milady die anspruchsvollsten Songs und ist tonal durchweg sicher, aber leider auch – so wie man es oft von ihr kennt – entschieden zu energisch und over the top.
In den Kompositionen ist 3 Musketiere an vielen Stellen ganz schön tricky. Schnelle Runs wie in “Milady ist zurück”, Shownummern wie “Männer” oder “Nicht aus Stein”, Balladen wie “Engel aus Kristall” oder das Frauen-Trio “Wer kann schon ohne Liebe sein?” sind alles Songs, die den Darsteller*innen einiges abverlangen und meistens gut, teilweise sehr gut performt werden. Unterstützt wird die Cast von dem typisch starken Tecklenburg-Orchestersound, der unter der Leitung von Klaus Wilhelm voluminös durch die Reihen schallt. Hin und wieder übertünchen Instrumente zwar die Mikrofone, aber das passiert nur vereinzelt. Ein wenig nachjustieren kann man aber noch.
Somit auf Produktionsseite wieder starke Arbeit mit kleinen Wehwehchen. Die größte Schwachstelle hat 3 Musketiere wenn im Libretto. Man sollte entweder Fan der Romanvorlage sein oder einen Hang zu historischen Musicalwerken haben, ansonsten wird es besonders im arg langen ersten Akt, der 90 Minuten dauert, zwischenzeitlich mal etwas dröge. Nicht stark, aber einige Hänger schleichen sich schon ein. Der mit 65 Minuten kürzere zweite Akt hingegen ist durchweg knackig, mitreißend und wuchtiger. Gibt es eben ein paar Stücke, die in ähnliche Richtung gehen, fehlt es 3 Musketiere zumindest dahingehend etwas an erzählerischer Raffinesse.
Hach, Freilichtbühne Tecklenburg! Was hast du schon für viele gute Abende gesorgt – und damit ist ja noch lange nicht Schluss. Wer diese Saison das Rennen macht, ist verdammt schwer zu sagen. “Mamma Mia!” ist für ABBA-Fans natürlich ein Muss und mehr eine wilde Veranstaltung, 3 Musketiere eben für beobachtende Zuschauer*innen mit einer Vorliebe für klassische Musicals. Wir wären dann jetzt ready für die Saison 2025 und wünschen weiterhin einen schicken Geburtstag.
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Foto von Christopher
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