Cinderella, Oper Wuppertal, 15.12.2023

cinderella schlussszene in der oper wuppertal

Na, diese Saison schon “Drei Haselnüsse für Aschenbrödel” geguckt? Es gibt eben ein paar Gewohnheiten, die so fest mit der Weihnachtszeit verbunden sind, dass man nur mit ihnen in die richtige Stimmung kommt. Und für ganz viele steht das Zelebrieren des unglaublich kitschigen, aber auch äußerst kultigen, 50 Jahre alten Streifens auf der To Do. Doch sind wir mal ehrlich: Häufig ist es dann doch mehr Zwang oder die Macht der Gewohnheit als wirkliche Lust. Spätestens, wenn einem auffallen würde, dass bei den Reitszenen im Wald eine Schneeflocke zu viel heruntergefallen kommt, schadet ein wenig Abwechslung nicht. Für die Mutigen bietet die Oper Wuppertal mit Cinderella als Musical für “Aschenbrödel”-Ultras viel Gewohntes und ein wenig Überraschendes.

Sowieso eigenartig, dass Cinderella dermaßen selten auf den Plänen des Landes steht, ist es doch wie für den Dezember gemacht. Aber offensichtlich scheinen es viele als ein wenig zu angestaubt zu betrachten, ist die ursprünglich fürs TV geschriebene Musicalversion von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein II bereits über 65 Jahre alt. Nur die wenigsten Stücke – zum Beispiel “West Side Story” – haben dem Wandel der Zeit standgehalten. Umso schöner, wenn sich die Wuppertaler Bühnen trauen, denn eigentlich ist bereits der bloße Name ein Selbstläufer. Cinderella, ein All-Time-Favorite bei Jung & Alt. Die einen sind nur eben “Team Aschenbrödel”, die anderen “Team Disney”. Im Kern lieben wir aber doch alle dasselbe.

Mit gerade einmal zwölf Vorstellungen heißt es für Interessierte: Ranhalten! Zwar läuft das Musical in dem mit 700 Plätzen eher kleineren Opernhaus noch bis März, allerdings ist die Hälfte der Termine noch vor dem Jahreswechsel vorbei. Uns zog es am 15.12., einem Freitag, in die zweite Vorstellung, die zumindest im Parkett nur noch sehr wenige freie Plätze bietet. Die Altersempfehlung ab 8 Jahren wird auch von dem jüngeren Publikum dankend angenommen, befindet sich nämlich gleich eine ganze Schulklasse in den ersten drei Reihen samt Lehrer*innen. Die verhalten sich übrigens ruhiger als so mancher Erwachsener in diversen Shows. Das aber nur am Rande.

Pünktlich um 19:30 Uhr geht’s los, Schluss ist gegen 22:10 Uhr. Dazwischen erwarten einen zweimal fast 70 Minuten Spielzeit. Wer also die Kids mitnehmen mag, sollte diese zumindest auf die doch ordentliche Länge vorbereiten. Der Großteil wird die fast zweieinhalb Stunden aber kaum wahrnehmen, passiert dafür einfach viel zu viel vor den Augen, denn das absolute Highlight der Inszenierung ist das super schöne und sehr aufwändige Bühnenbild. Wir könnten ohne Überlegung mehrere andere Stücke aus diesem Jahr aufzählen, für die man weitaus mehr Geld hinlegen darf, aber wesentlich weniger bekommt.

Sowieso lohnt es sich immer, Musicals auch in den staatlichen Theatern zu besuchen. Fans der vier Jahrhunderte (!) alten Geschichte rund um Aschenputtel bekommen in Wuppertal einen guten Mittelweg zwischen Klassisch und Modern. Zu keiner Sekunde hat man das Gefühl, eine absurde Interpretation zu sehen, die zwar wagt, aber damit auch gegen die Wand fährt. Stattdessen gibt es Wohlfühlatmosphäre und tolle Darsteller*innen. Eine ganze Reihe an Gästen hat den Weg ins Haus gefunden, darunter bereits etablierte Musicallieblinge wie Jonas Hein als Prinz Christopher, gleichzeitig aber auch Newcomerin Susann Ketley in der Hauptrolle der Ella. Ella? Ja, denn “Cinder” ist das englische Wort für “Asche”, Ella ihr Name und, oh hell, endlich ergibt alles einen Sinn! Gern geschehen.

Dazu gesellen sich der Opernchor der Wuppertaler Bühnen, der Jugendclub, gut aufgelegte Tänzer*innen sowie das Sinfonieorchester, sodass es neben einem prunkvollen Klang zwischenzeitlich über 40 Personen auf der Bühne zu sehen gibt. Da kann man noch so viele Bühnentricks aus dem Hut und doppelte Soundeffekte aus den Synthies zaubern – am Ende siegt handgemachte Musik und eine Szenerie voller Menschen. Auch hier zieht Wuppertal mit starken Produktionen wie auf der Freilichtbühne Tecklenburg oder zuletzt im Theater Hagen gleichauf.

Wir sparen uns aus Gründen den Plot an dieser Stelle. Stattdessen gibt es Hinweise darauf, dass sich alle Cinderella-Anhänger*innen zurecht finden werden, aber dennoch aufmerksam sein sollten, weil die Musicalversion von Rodgers und Hammerstein eigene Akzente setzt, ebenso die Inszenierung in Wuppertal. So wird die Handlung in die Stadt geholt, in der sie gerade aufgeführt wird, in einer äußerst lustigen Szene Instrumente einer Rockband eingebaut, einige Male mit Stroboskoplicht gearbeitet, um mehrere Quick-Changes zu vollführen und statt einer Kutsche ein Heißluftballon auf die Bühne geflogen. Mag jetzt erstmal ein wenig irritierend klingen, funktioniert aber ganz fantastisch. Besonders im ersten Akt ist es ein wahres Vergnügen, zu sehen, welche Schlupflöcher der Aufbau denn noch bietet, kommen aus allen Ecken und Schränken immer wieder Menschen, die gefühlt durch Wände laufen können. Genau dieses Magische ist das, was Cinderella auch braucht. Das wärmt das Herz, auch wenn’s vor der Tür friert.

Das Kostüm ist märchenhaft und skurril, in einigen Szenen hat man gar TimBurton-Assoziationen. Gesanglich arbeitet das Stück wesentlich mehr mit Klassik als mit Pop, was bei Kompositionen aus den 50ern wohl wenig überrascht. Für heutige Geschmäcker geht der Gesamteindruck schon fast in die Operettenrichtung, wird es eben sehr lockerleicht, oft lustig und überzogen. Tatsächlich liegt jedoch in den Songs der einzige wirkliche Schwachpunkt: Auch wenn das Duo Rodgers und Hammerstein mit “The Sound of Music” einen Meilenstein der amerikanischen Musicalgeschichte herausgehauen haben, ist die Musik von Cinderella keine Glanzleistung. Das ist alles weit weg von schlecht, aber eben auch nur ok. Kann man sich nett weghören, nachhaltig bleiben die Melodien jedoch nicht im Ohr.

Macht aber nur wenig, da die Besetzung abliefert. Susann Ketley, gerade erst mit ihrem Musicalstudium fertig geworden, ist eine ganz tolle Idee, da sie endlich eine Cinderella zeigt, die nicht dem Skinny-Look entsprechen muss, sondern durch ihr Gesangstalent und ihre erfrischende Art wie Ausstrahlung überzeugt. Jonas Hein singt durchweg sehr feste Töne, bei denen nichts wackelt und alles so ist, wie es zu sein hat. Stefanie Smailes als egozentrische Madame bzw. Stiefmutter unterhält vorzüglich und darf die besten Kleider wie Hüte präsentieren. Auch Gundula Hintz als Marie, die gute Fee, bringt den Saal zum Leuchten. Ganz stark wird es aber immer dann, wenn alle dürfen, sind nämlich die Choreographien für eine eher kleine Bühne wirklich perfekt ausgearbeitet und alles andere als einfach. Hier treffen starke Tänzer*innen auf ein genauso starkes Ensemble. Am Anfang hapert es etwas mit der Lautstärke der Mikrofone, das legt sich aber nach spätestens 15 Minuten.

Am Ende bleiben berauschende Szenen wie die Verwandlungen von Ella, ihre Fahrt im Ballon und ein stark aussehender Ball in an den Steampunk angelegten Outfits im Kopf. Cinderella an der Oper Wuppertal ist sehr kurzweilige, schöne Unterhaltung, die die Weihnachtszeit bereichert. Ein echtes Familienstück, solang die Kinder mit einer derartigen Länge und auch dem womöglich für sie ungewohnt klingenden, klassischen Gesängen keine Schwierigkeiten haben.

Und so sieht das aus (Interview mit den beiden Hauptdarsteller*innen sowie kurze Einblicke):

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Foto von Christopher

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