A Musical Christmas With Friends, Oper Dortmund, 20.12.2023

alexander klaws pressebild

Am 8. März 2003 ging eines der größten deutschen Medienspektakel des laufenden Jahrhunderts zu Ende: Alexander Klaws wird als erster Sieger der Urgroßmutter aller Castingshows gekürt, nämlich „Deutschland sucht dem Superstar“. Trotz zwei Nummer-Eins-Hits ist jedoch schnell Schluss mit dem großen Ruhm im Pop-Scheinwerferlicht, denn irgendwie scheinen der noch super junge, im Münsterland geborene Typ von Nebenan und die aalglatten Bohlen-Kompositionen nur kurzzeitig zusammenzupassen. Stattdessen geht es 2006 erstmalig auf die Musicalbühne – und vorn dort an straight nach oben in die erste Liga des beliebtesten Musiktheaters. Im Dezember 2023 hostet man schließlich in der Oper Dortmund die zweite Ausführung von A Musical Christmas, dies Mal mit dem Zusatz With Friends.

Vor einem Jahr gab es unter demselben Namen die erste weihnachtliche Musicalgala, allerdings mit Anton Zetterholm und seiner Frau Harriet Jones. A Musical Christmas 2022 war nicht weniger als wirklich bezaubernd. Gesanglich oberstes Niveau, ganz viel Cozyness, adventliche Liebe und ein rundum schönes Gefühl. Das Einzige, was man meckern konnte, war, dass man doch wesentlich mehr „Musical“ als „Christmas“ bekam. Ursprünglich war angedacht, dass Zetterholm auch 2023 wiederkehren würde, war das Feedback doch durchweg äußerst positiv. Allerdings hat der Schwede seit seinem Durchbruch als erster Tarzan im gleichnamigen Stück richtig durchgepowert – und musste nun im Frühjahr zwangsläufig die Reißleine ziehen. Seitdem ist der wahnsinnig talentierte Sänger aus sämtlichen Produktionen verschwunden, allerdings soll er kommenden März nach genau einem Jahr Ruhe als Phantom der Oper in Wien zurückkehren. Wir drücken ihm fest die Daumen, dass es klappen wird und wünschen ihm an dieser Stelle nur das Beste.

But there’s no business like showbusiness, und dementsprechend gibt es natürlich trotzdem A Musical Christmas, wenn auch in anderer Besetzung. Mit Alexander Klaws konnte sehr schnell ein mindestens genauso bekannter Ersatz aus der Branche gefunden werden, der auch schon mehrfach im Theater Dortmund auftrat, nämlich als Jesus in „Jesus Christ Superstar“ 2014/15 sowie als Crooner in „Berlin Skandalös“ 2021/22. Klaws lobt am 20.12., einem Mittwoch und dem ersten der beiden ausverkauften Abenden, die wunderschöne Oper und dass er es liebt, immer wieder hierher zurückzukehren. Doch mit Zetterholms hervorragender Performance im vergangenen Jahr liegt die Messlatte verdammt hoch. Ob der 40-jährige, der höchstens fünf Jahre älter aussieht als bei seinem DSDS-Sieg, da mithalten kann?

Die leider ernüchternde, aber eben auch ehrliche Wahrheit lautet: Nein. Eigentlich ist A Musical Christmas 2023 in fast allen Punkten das Gegenteil von dem, was es in der vergangenen Saison war. Darunter wurden ein bis zwei Aspekte ausgebessert, viele andere aber verschlechtert. Natürlich soll man Sänger A nicht einfach mit Sänger B vergleichen und eine Stimme ist am Ende schlichtweg Geschmacksache. Läuft das Ganze jedoch unter demselben Namen, fällt es verdammt schwer, eben keine Vergleiche zu ziehen – und neben Stimmfarbe sind wiederum andere Sachen weniger Meinung als Fakt.

Wundervoll ist erneut das detailverliebte Bühnenbild, das einen unmittelbar beim Betreten des Saales in Stimmung bringt. Eine verschneite Waldlandschaft voller Weihnachtsbäume, auf die auch während der Veranstaltung hin und wieder Schnee herunterfallen wird. Zwei Stände wie von einem Weihnachtsmarkt, ein Schlitten, Geschenke. Das wärmt jedes Herz eines „Most Wonderful Time of the Year“-Fans. Davor nimmt mit einer kleinen Verspätung von fünf Minuten die vierköpfige Band unter der Leitung von Kai Lindner Platz. Außerdem stehen drei Mikrofone für die Backgroundsängerinnen Nadja Scheiwiller – das ist Klaws´ Frau, die er bei „Tarzan“ kennenlernen durfte – sowie Katharina Vogel und Hanni Schäfer bereit. Nach einigen Takten „Santa Claus Is Coming To Town“ hört man die Stimme des Hauptakteurs, man sieht ihn nur nicht. Wo ist er denn?

Um direkt die Mauer zwischen Star des Abends und Publikum zu brechen, startet Alex mitten im Parkett. Er geht durch die Reihen, begrüßt einige Zuschauer*innen mit Handschlag und landet zur Mitte auf der Bühne. Ja, er ist eben ein besonders nahbarer Mensch geblieben, dem der Erfolg nie zu Kopfe stieg. Genau das ist auch die stärkste Waffe der Gala: Alexander Klaws lädt gefühlt in eine Vorstellung in sein heimisches Wohnzimmer an, bei dem er mit allen mal ein wenig schnackt, jede*n mit einbezieht, zum Singen animiert und am Ende ein großes „Wir“ entsteht. Was jedoch stark darunter leidet, ist die musikalische Qualität.

Gab es bei A Musical Christmas im vergangenen Jahr wenig Showelemente, gibt es nun ganz viele. Klaws‚ tanzt zu den häufig swingenden Arrangements des Pianisten Kai Lindner, improvisiert auf dem Wham!-Classic „Last Christmas“ eine Metal- sowie eine Rap-Version und hat einen ganzen Sack voll guter Laune dabei. Er kommt einfach richtig gut rüber, lacht und scherzt viel und hat immer noch etwas von dem Teeniehaften wie damals mit 19 bei RTL. Nur drei Tage zuvor stand er als alter Fußball-Fan im Dortmunder Stadion und war Hauptsänger beim großen Weihnachtsliedersingen vor über 70.000 Menschen. Die beiden Tage zwischen Stadion und Oper spielt er dieselbe Gala in Darmstadt, wo man ihn aktuell in „Jekyll & Hyde“ sehen darf. Offensichtlich scheint er aber zwischen den Locations nicht gut unterscheiden zu können. Verlangt das größte Fußballstadion des Landes viel Entertainment, um überhaupt so viele Leute animieren zu können, steht eine so schöne Oper regulär für hohe Musikalität. Obwohl Klaws ein Tablet vor sich stehen hat, gibt es dennoch bei mehreren Songs falsch gesungene Texte, spontane Improvisation, weil man anscheinend nicht so richtig weiß, ob noch eine Strophe oder ein Refrain kommt und sehr viel Unruhe. Auch in den Anmoderationen übrigens, bei denen er sich verhaspelt und wiederholt. Setzt er sich nun auf den Hocker beim Erzählen oder läuft doch lieber zum Gitarristen? Ach nee, doch lieber zum Pianisten. Ach nee, doch lieber sitzen. Ach, die Backgroundsängerinnen muss man ja auch besuchen…

Und die haben keinen so leichten Job. Beobachtet man Nadja Scheiwiller, sieht man, dass sie permanent zu Alexander herüberschaut, um zu erkennen, was er gerade tut. Darauf reagiert sie dann mit ihren zwei Sängerinnen. Wirklich abgesprochen wirkt hier nicht so viel. Klar, die Setlist ist bekannt, aber perfekt ausgearbeitet ist einfach anders. Das fällt auch bei dem deutschen Weihnachtslieder-Medley in der Zugabe auf, das durch Instrumente, die alle Akteur*innen als Kinder spielten, besonders niedlich wirken soll, jedoch spielt Alexander Klaws dermaßen schrecklich Blockflöte, dass es leider eher nervig und albern scheint.

Um viel bei seinen Fans zu sein, hat sich der Host überlegt, in eine Weihnachtsmütze Zettel mit Songs zu packen, die gezogen werden dürfen. Erstmal eine total schöne Idee – wenn das dann am Ende auch etwas bewirken würde. Allerdings wird das Konzept etwas ad absurdum geführt, wenn sowieso alle Zettel gezogen werden und das Publikum somit nur die Reihenfolge der Songs bestimmt. Letztendlich hören aber die Leute, die beim ersten Konzert sind, dieselben Titel wie beim zweiten Konzert einen Abend später. Viel besser und kreativer wäre es doch gewesen, wenn es 20 Zettel gäbe, wovon aber nur sechs oder sieben gezogen werden. So wirkt das Spiel aber wie ein etwas zu viel versprechender Teaser. Beim nächsten Mal dann doch bitte eine fixe Setlist. Das im Progamm-Heft erwähnte „Seasons Of Love“ aus „Rent“ , das man in der aktuellen Spielzeit in der Oper Dortmund besuchen kann, fällt übrigens kommentarlos ganz raus.

Stichwort Songauswahl: Hier wurde auf der einen Seite wirklich vieles richtig gemacht. Mit über 20 Titeln kann das 130 Minuten umfassende Event, das durch eine halbe Stunde Pause unterbrochen wird, ziemlich auffahren. Die Kritik, dass man das Augenmerk zu stark auf Musical statt auf Christmas gelegt hat, wurde ernstgenommen, sodass es nun eher zwei Drittel Weihnachtliches und ein Drittel Musicalhits gibt. Sehr gut. Auf der anderen Seite gibt es jedoch die weniger kreativen Einfälle. Gab es 2022 Weihnachtstitel aus Schweden und viel weniger Bekanntes aus „Camelot“, „Annie Get Your Gun“, „Tick Tick… Boom!“, „The Book of Mormon“ oder „The Producers“, setzt man dieses Mal nur auf Gassenhauer. „Time of My Life“ aus „Dirty Dancing“, „Dir gehört mein Herz“ aus „Tarzan“, „Der ewige Kreis“ aus „König der Löwen“, „Hallelujah“ von Cohen, „Happy X-Mas“ von Lennon, „Feliz Navidad“, „Rudolph The Red-Nosed Reindeer“ und eben Wham!. Halt ganz viel von dem, was es sowieso immer gibt. Das war ebenfalls eines der besondersten Merkmale zuletzt, dass man eine eher untypische Weihnachtsgala präsentiert hat.

Doch Alexander Klaws setzt offensichtlich stark darauf, als Entertainer gefallen zu wollen. Viel seichte Unterhaltung, die niemandem weh tut. Das ist anscheinend auch die Taktik, um über das gesangliche Defizit hinwegzutäuschen. Bloß nicht falsch verstehen: Er singt gut. Aber eben gut. Nicht sehr gut. So gibt es dann, um ja nicht zu stark überfordert zu wirken, „Christmas Time“ von Bryan Adams, nur der Keychange am Ende wird ausgelassen. Bei „Endlose Nacht“ aus „König der Löwen“ – ausnahmsweise eine außergewöhnliche Wahl und dazu eines der höchsten Tenorsoli überhaupt – spart man den richtig anspruchsvollen letzten Teil komplett aus. In „Der ewige Kreis“ hört man leider sogar einige falsche Töne. Nicht zuletzt wirken auch die Backgroundsängerinnen wenig synchron und gesanglich nicht so rund, wie es sein könnte. Auch die Outfits sind sehr beliebig und könnten doch bei so einem Anlass so viel prunkvoller sein.

Das ist enorm viel Kritik. Stimmt. Mit absoluter Sicherheit haben Alexander Klaws-Liebhaber*innen hier einen sehr kurzweiligen, witzigen und charmanten Abend, da der Musicaldarsteller unter Beweis stellt, dass er einfach ein lieber Typ ist, der von allem etwas kann. Singen, tanzen, moderieren, gut aussehen. Anspruchsvolle Opern-Gänger*innen oder diejenigen, denen A Musical Christmas vergangene Saison besonders gut gefallen hat, müssen diese Runde jedoch einige Abstriche machen, weil aus „sehr außergewöhnlich“ nun eher „gewöhnlich und mittelmäßig“ wurde. Möge Zetterholm doch im nächsten Dezember zurückkehren und Klaws erneut einen guten Job im Stadion machen. Dann ist jeder in seiner Sparte richtig ausgewählt.

Und so hört sich das an (Ausschnitt aus „Disney100 – Die große Jubiläumsshow“ auf RTL, 2023):

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Die Fotorechte liegen bei Benjamin Brauers.

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