Im November 1925 wird die Westfalenhalle in Dortmund eröffnet. Selbstverständlich finden somit 2025 gleich mehrere Events statt, die das 100-jährige Bestehen der Halle zelebrieren, die zwischenzeitlich mal zu den größten des gesamten Kontinents zählte. Ganz so lange ist Holiday On Ice dort noch nicht zu sehen, schließlich wird die Eisrevue nun “erst” 83 Jahre alt, doch wohl kaum eine andere Show ist bereits seit den 50ern in der Ruhrmetropole mit dabei und ein absoluter Dauerbrenner. Eines der damaligen Plakate findet man übrigens noch heute unten an der Bahnhaltestelle. Diese Saison lautet das Motto Horizons – und manchmal ist es ja gar keine allzu schlechte Idee, gen Horizont zu schauen, ein bisschen größenwahnsinnig zu denken oder sich an glückselige Orte zu träumen.
Das Interesse reißt einfach nicht ab. Die Kultshow zieht durchs Land. Von ihr noch nie gehört zu haben, grenzt an einer Unmöglichkeit. Auf der aktuellen Tour hält man in 22 deutschen Städten jeweils für drei bis fünf Tage, Berlin ist sogar mit gleich zweieinhalb Wochen im Eisfieber. Wie ist das überhaupt möglich, dass jährlich die Nachfrage dermaßen groß ist, um überhaupt so viele Shows voll genug zu kriegen? Eine Kombi aus drei Aspekten: Faire Preise, hohe Qualität aller Beteiligten und immer wieder neue Inszenierungen. Schnell ertappt man sich dabei, dass man kurz nach dem Schauen der aktuellen Show schon Lust auf die nächste bekommt und sich fragt, was sich wohl dieses Mal geändert hat.
Kaum verändert haben sich dankenswerterweise die zu zahlenden Beträge auf den Tickets. Mit maximal 90 Euro sitzt man hier in der ersten Reihe – das gibt’s ansonsten nur noch bei enorm wenigen renommierten Events. Doch Holiday On Ice bleibt eine Familienveranstaltung, bei der Gruppen von Menschen mit Behinderung genauso im Publikum zu finden sind wie Großeltern mit ihren Enkeln oder junge Freundeskreise. Nach Münster ist Dortmund der zweite Halt in NRW, im Frühjahr folgen noch Köln und Düsseldorf. Bei enorm frostigen Temperaturen rund um den Gefrierpunkt macht es das große Geburtstagskind – die Westfalenhalle – einem zur Premierenvorstellung am Freitagabend, dem 17.1., allerdings etwas schwer. Der Einlass verzögert sich erheblich, Menschentrauben quetschen sich rund eine halbe Stunde vor offiziellem Showbeginn durch den einzigen Eingang und beschweren sich lauthals. Unangenehm.
Erstaunlicherweise läuft dann aber in zügigem Tempo alles recht glatt, sodass mit nur zehn Minuten Verspätung die erste von sechs Vorführungen in der BVB-City – der übrigens parallel zur Vorstellung mal wieder verliert – fast nach Plan über die Bühne geht. Einer der stärksten Momente geschieht bei Holiday On Ice übrigens schon immer beim Betreten des Saals: Wie sieht das Bühnenbild dieses Mal wohl aus? Manchmal ist es heller, mal dunkler, dann gibt es vorab schon einiges zu sehen, manchmal aber auch sehr wenig und es bleibt geheimnisvoll. Bei Horizons laufen schon vor Beginn die ersten Visuals über die große Leinwand im Hintergrund, vor der hohe Gerüste aufgebaut sind, durch die man hindurch gehen kann. Viele unterschiedlich große Rechtecke reihen sich hier aneinander, sodass sie durchfahren, aber auch beklettert werden können. In ähnlichen Formen sind weitere oben an der Decke befestigt, die auf- und abdüsen und weitere Projektionen zeigen.
Horizons befasst sich mit dem Gefühl von Großstädten. Besonders die arg abstrakten Storys der beiden letzten Jahre hat man ein wenig hinter sich gelassen und gleitet stattdessen eher durch eine klar abgesteckte Atmosphäre. Es geht um Facetten, die in Metropolen wie New York möglich sind. Die Szenerien zeigen Momente in Freizeitparks, auf Festivals oder auch in Gewächshäusern. Natur, wie sie eben ist, aber auch künstlich Erbautes treffen hier aufeinander. So gibt es im Kostüm wundervolle, riesige Schmetterlinge und Motten, aber auch Kettenkarussells oder Schaukeln.
Der Fokus wird 2025 ein bisschen anders gesetzt. Was einem mehr gefällt, ist absolute Geschmacksache. Bei No Limits im vergangenen Jahr gab es eindeutig mehr Abwechslung im Szenenbild, Horizons ist in sich geschlossener und zeigt nur einzelne Aspekte zu einem Oberthema. Dafür ist man hinsichtlich Farben gleich drei Schritte nach vorne gegangen und zaubert wahre Eye-Candys. Unglaublich poppige Kleider tauchen auf und haben ein bisschen was von Fantasy-Abenteuer à la Tim Burton oder ganz jung “Wicked”. Etwas, was bei den bedrückenden Ereignissen in der Welt doch richtig gut tut.
Der Titel der Show deutet schon an, dass es um Höhen und Ausblicke gehen kann. Und ja, Horizons zeigt auch mehr Akrobatik als sonst. Nicht alle Personen auf der Bühne laufen pausenlos Schlittschuh, manchmal erwarten einen Artist*innen mit furchterregenden Stunts an Aerial Hoops – das sind die Reifen, die in der Luft schweben – oder einer Über-Kopf-Schaukel. Ist “Flic Flac” schon wieder in Dortmund? Um das “Wo schaue ich denn nun eigentlich am besten hin?” noch auf die Spitze zu treiben, ist mit Gast Sasha auch noch bei zwei Nummern Livegesang am Start. Der Musiker, der lange in Dortmund lebte, singt mit seiner lockerlaunigen Art in schicken Anzügen “Lucky Day” und “If You Believe”, sodass zumindest bei der Premierenvorstellung dahingehend eine weitere Ebene addiert wird.
Doch das ist eigentlich nicht nötig, denn die Stars sind so, wie es sich gehört, nicht die Pyroeffekte, die Kettenkarussells, an denen mehrere Personen gleichzeitig durch die Luft gezogen werden, oder ein DJ-Pult, das sich zu einem Roboter verwandelt – es sind die unfassbar herausragenden Eiskunstläufer*innen, wovon es zwischenzeitlich über 30 an der Zahl gleichzeitig zu sehen gibt. Wie schon in unserem letzten Bericht erwähnt, sei an dieser Stelle wirklich empfohlen, auf dem Instagram-Channel von Holiday On Ice zu schauen, welche Top-Sportler*innen hier eigentlich ihre Runden drehen. Ex-Olympia-Teilnehmende? Keine Seltenheit. Natürlich fallen besonders die beiden Paare Tessa Jones und Ivan Pavlichenko sowie Alina Solovyeva und Alexey Rogonov auf, die neben starken Hebefiguren wieder einige dermaßen waghalsige Stunts zeigen, dass man als Zuschauer*in über Minuten die Daumen drückt, dass bitte kein Kopf aufs Eis schlägt. Ganz groß. Da sind ein paar kleine Ausrutscher, bei denen nicht nur die Füße auf dem Eis landen, die man aber in rund 120 Minuten Show an einer Hand abzählen kann, fast schon genauso besonders, weil es eben nicht immer super perfekt abläuft.
Allerdings sei an dieser Stelle ein Fehler erwähnt, dem man nicht viel Positives abgewinnen kann: Zum Beginn des zweiten Akts gibt es eine Szenerie, die an das weltweit berühmte “Coachella”-Festival erinnert. Mitten im Bild steht ein Artist ohne Schlittschuh im Auge des Geschehens und soll Kunststücke auf einem Einrad vorführen. Allerdings fällt schon beim Bringen des Fahrzeugs eine der beiden Pedale ab, da ist der Artist noch nicht einmal aufgestiegen. Statt die Szene zu unterbrechen oder ihm ein Ersatzeinrad zu bringen, wird einfach so getan, als wäre nichts. Es ist aber was. Unverkennbar. Über mehrere Minuten kämpft man mit Fremdscham und Mitleid, da der Artist völlig wild probiert, irgendwie über die enorm peinliche Situation hinwegzukommen. Er versucht trotzdem zu fahren, es klappt nicht. Er probiert den Sattel des Einrades in den Mund zu nehmen und das Einrad so auf seinem Gesicht zu jonglieren, es klappt nicht. Er versucht einfach so auf dem Eis Kegel hochzuwerfen und aufzufangen, es klappt nicht. Diverse Eisläufer*innen probieren um ihn herumzufahren, doch für locker drei Minuten ist Holiday On Ice in der Dortmunder Westfalenhalle einfach ein überdimensional großer Fail, den die Regie unbedingt hätte beheben müssen. Kurze Unterbrechung oder ein zweites Rad, wo ist das Problem? So so sorry für den armen Kerl. Das tat beim Zuschauen verdammt weh.
Ansonsten ist aber die spaßige und kurzweilige Show mit Elementen aus synchronen Choreos, bei der riesige Gruppen haargenau die gleichen Bewegungen ausführen, dann wieder temporeiche Küren gezeigt werden, Flickflacks geschehen, ein Parcoursläufer über die großen Kulissen hüpft oder empowernde Messages vermittelt werden ein fulminantes Spektakel an wunderbaren Momenten. Sogar musikalisch haut man ein richtiges Feuerwerk ab: “Bad Guy” von Billie Eilish, “Born This Way” von Lady Gaga, “Red” von Daniel Merriweather, “Human” von Rag’n’Bone Man, “Rise Up” von Andra Day, “Shivers” von Ed Sheeran, “Lose Control” von Teddy Swims, “I Put A Spell On You” von Annie Lennox, “Sail” von Awolnation, “Never Gonna Not Dance Again” von P!nk and many more sind abwechslungsreich, dynamisch und pulsierend. Dass wieder mal so wenige Zuschauer*innen lauthals ausrasten und einige sogar vor dem Finale gehen, ist eine bodenlose Frechheit und wirklich überhaupt nicht nachvollziehbar.
Sechs Shows in DO, dann folgen zwölf weitere Städte und im November startet die nächste Rutsche. 100 Jahre Westfalenhalle haben wir schon, 100 Jahre Holiday On Ice machen wir auch voll, oder? Den Termin für 2042 schreiben wir schon mal in den Kalender.
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Foto von Christopher Filipecki
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