Als Teenie-Star liegen Licht und Schatten äußerst nah beieinander. In der Zielgruppe – in der sich meist pubertierende Menschen befinden, die nur wenige Jahre jünger sind als man selbst – ist man ein richtiges Vorbild und identitätsstiftend, außerhalb dieser Gruppe darf man aber oft Häme, Hass und Gelächter aushalten. Tokio Hotel als auch die Kelly Family können davon gleich mehrere Lieder singen. Ähnlich geht es auch LaFee, die ihre Bühnenfigur eine Zeit lang hat ruhen lassen und nun genau den richtigen Moment abpasste, um nostalgisch zurückzukommen und plötzlich mehr Coolness genießt als je zuvor. Das beweist auch ihr Auftritt in der Turbinenhalle 2 in Oberhausen.
Leicht gemacht hat man es der 1990 geborenen Christina Klein aus Stolberg in der Region Aachen damals nicht. Nachdem sie bei der Casting-Show “Star Search” aufgrund von Texthängern durchfällt, läuft es beim österreichischen “Kiddy Contest” besser. Hier wird die Tochter des Musikproduzenten Bob Arnz auf sie aufmerksam und Papa schmiedet nun ein Konzept, das für ihn erfolgsversprechend klingt. Der hat bereits Erfahrung als Manager von Axxis und den Scorpions, hat bereits Zlatko und Jürgen aus der ersten “Big Brother”-Staffel musikalisch vermarktet – ok, das ist echt wild – und plant nun aus einem jungen Mädchen eine deutsche Rock-Göre zu machen. Christina zieht mit und wird zu LaFee, eine Gothic-artige Version von Barbie, die zu richtig derben Gitarrenriffs auf einfachen Melodien Themen besingt, die junge Menschen eben interessieren.
Heutzutage undenkbar, ist nahezu jeder Teen-Act aus dem Rap-Bereich. Dank Tokio Hotel – wir erwähnten sie schon – ist aber der Emo-Look auch in Deutschland in den 00ern unter Teenagern beliebt und LaFee eine etwas schnippischere Ausgabe in Weiblich. Das finden besonders Mädels bis 14 richtig geil, ältere Mädels hingegen unglaublich peinlich und Erwachsene nehmen das Ganze gar nicht ernst. Wir wissen, was das bedeutet: Große Fan-Base, in etwa genauso große Hater-Base. LaFee berichtet gegenwärtig aus der Zeit damals, dass sie oft nach den Shows einsam im Hotelzimmer lag. Sie war sehr dankbar für ihre Chance, gleichzeitig fühlte sie sich nie zugehörig und von sehr vielen abgelehnt. Dafür muss man in dem Alter wirklich Mumm haben, anders hält man das Gefühl von Andersartigkeit kaum aus. Großer Respekt.
Doch der Ruhm bringt viel Kohle ein und ein sehr loyales Publikum, das zwischen 2006 und 2011 ihren Weg verfolgt. Vier Alben produziert sie in der Zeit. Obwohl man zu der Ära Alben eher brennt als selbst shoppt, gehen fast eine Million LPs über den Ladentisch, ihre ersten beiden Longplayer stehen in Deutschland und Österreich auf der 1, zwei Singles werden vergoldet. Dass das Konzept nicht dauerhaft trägt, ist schnell klar. 2011 kommt ein Song das letzte Mal in die Charts, dann wird es lange ruhig um die Künstlerin, die zwischenzeitlich als Musikcoach in TV-Sendungen arbeitet, bei der Daily-Soap “Alles was zählt” für drei Jahre eine Rolle bekommt und sich für den “Playboy” auszieht. Die Musik und die Zielgruppe? Das ist kein Match mehr. Recht regelmäßig erscheinen Singles, die aber alle unbeachtet bleiben, ebenso das 2021 erscheinende Coveralbum “Zurück in die Zukunft” mit äußerst trashigen Neuversionen von 80s-Classics.
Ist die Identitätsfindung abgeschlossen und der “Ich schäme mich für mein früheres Ich”-Abschnitt auch passé, darf aber das, was man als Kind liebte, wieder richtig gefeiert werden. Retro-Games auf Konsolen, Filme auf DVD, Musik auf CDs. Textsicher ist man eh noch, schließlich haben die Hunderte von Durchläufen sich ganz tief ins Langzeitgedächtnis gefräst. Wie wäre also eine kleine Tour? Die ersten Auftritte seit 15 Jahren. Zum dritten Album “Ring frei” gab es das letzte Mal die Chance, LaFee als Headlinerin in ihren eigenen Shows zu sehen. Ob nach so einer langen Zeit überhaupt noch genug Fans Interesse haben? Fünf Gigs sind für den Dezember 2024 angesetzt. Fünf Venues, die jeweils um die 1000 Menschen reinlassen. Und sie kommen alle. Sie alle haben den Wunsch, ein Stück Kindheit zurückzuholen. Sie alle kennen die Lyrics. Besonders dank diverser Memes auf Insta-Seiten wie Galerie Arschgeweih hat die Musikerin ihren Kultstatus verfestigen können. Sich genieren tut man nicht mehr. Gut so. Stattdessen gibt es nach den ersten Ausverkäufen acht Zusatzshows im Januar 2025 und mittlerweile weitere im Sommer. LaFee ist zurück, ihre Fans sind es auch. 1, 2, 3, Ring frei.
Bei frostigen Temperaturen um die vier Grad stellen sich 1800 Besucher*innen vor der Turbinenhalle 2 in Oberhausen an. Wieder ausverkauft. Auch der zweite Leg der Tour meldet zum Start am 16.1., einem Donnerstag, dass keine Tickets mehr übrig sind. Auf Kleinanzeigen darf man gerne das Doppelte latzen, wenn man doch noch spontan hinmöchte. Locker 97 Prozent der Crowd, die sich brav und ruhig vor dem Eingang verhält, sind weiblich gelesen. Schaut man genau hin, sieht man aber auch ein paar Typen mit dem unverwechselbaren Logo an der Schläfe. LaFee selbst trägt es beim Auftritt leider nicht, dafür aber eben ein paar Jungs, die sich mit Bier etwas locker gemacht haben, nun aber ebenfalls nicht nur die Refrains, sondern auch die Strophen mitsingen können. Das ist echt sweet. Vielleicht nicht immer ganz ernst gemeint, aber wen juckt’s – am Ende geht es darum, Spaß zu haben und gleichzeitig niemand anderem den Spaß zu nehmen. Da die Künstlerin allerdings etwas spät dran ist, verzögert sich der Einlass um gute 40 Minuten. Das nervt ein wenig. Im Sommer fein, jetzt aber doch eher uncool.
Zum Glück wird es in der Halle dann schnell warm. Auch wenn es keinen Supportact gibt, so laufen stattdessen viele 2000er-Hits auf voller Lautstärke. Es wird schon vor dem eigentlichen Act also laut gesungen und getanzt. Etwas, was viel häufiger auf Konzerten gemacht werden sollte. Bis zum Beginn braucht man dann erneut etwas Toleranz, da auch der Auftritt erst 50 Minuten später beginnt. Doch mit “Durch den Monson” von Tokio Hotel – ja, es ist quasi ein roter Faden, ihr merkt’s – wird mit dem gleichzeitigen Abdunkeln des Saals der Jump um zwei Dekaden nach hinten gestartet und dann mit der mittlerweile 34-jährigen Mutti und Ehefrau auf Hochtouren gebracht.
“Habt ihr Bock auf Nostalgie?”, fragt sie. 115 Minuten lang spielt LaFee weder sich selbst noch ihrem Publikum etwas vor. Hier werden Songs nicht in komische neue Arrangements verpackt. Hier wird nicht überwiegend neues Material präsentiert, das nach dem Motto “New Year, New Me” funktioniert und ganz anders klingt und dazwischen maximal zwei Hits von Damals zwischengepackt. Nein, es ist genau andersherum. Zwei neue Titel, ansonsten alles aus den ersten vier LPs. Das Coveralbum aus 2021 wird totgeschwiegen. Manchmal werden die Lieder um einen halben oder einen ganzen Ton tiefer transponiert. Völlig ok, schließlich altert in den zwei Jahrzehnten die Stimme ein wenig. Doch wo LaFee auf dem Ticket steht, steht dann auch LaFee auf der Bühne und dröhnt dann auch LaFee aus den Boxen. Das ist authentisch, keine Mogelpackung und mit einem kleinen Augenzwinkern performt.
22 Tracks sind auf der Setlist, darunter allein die Hälfte aus den ersten beiden Alben, die damals an der Chartspitze standen. LaFee weiß, dass ihre Fans kommen, um sich wieder jung zu fühlen. Um diese doch ganz schön rotzigen Texte mitzusingen, bei denen Eltern den Zeigefinger hoben und sagten “So etwas sagt man aber nicht!”. Texte, in denen die beste Freundin den Partner wegschnappt, Mädchen sexuelle Übergriffe erleben, man den betrügenden Boyfriend abserviert und sich eingestehen muss, dass man eine Essstörung hat. Themen, an die man andockt. Nichts von Money machen oder Filler in den Lippen. Ob dafür immer die richtige Wortwahl getroffen wird, ist zweitrangig. Wenigstens hat es aber einen klar definierten Inhalt, den LaFee auch heute noch selbstsicher präsentiert. 15 Jahre keine Bühne mehr gesehen? Merkt man nicht. Stattdessen ist man eher davon beeindruckt, wie viel Erfahrung sie haben muss, um so locker durch das fast zweistündige Programm zu kommen. Der Gesang ist komplett live und tonal immer richtig. Ja, die Songs sind jetzt auch nicht schwer zu singen, aber lieber leichte Melodien und korrekt gesungen, als schwere Melodien mit falschen Tönen. Isso.
Auch die Band um sie herum ziehen durch. Die Besetzung ist klassisch: Gitarre, Bass, Keys, Drums. Zwei von ihnen gehören zu der Power-Metal-Band Rage aus Herne, was man hört und sieht. Gleich mehrere Intros könnten exakt so von einem richtig derben Rockfestival stammen, erst durch die Gesangsmelodien und Texte wird es dann Teenie und vielleicht auch mal etwas schlagerig. In den reinen Instrumentals ballern besonders “Krank”, “Verboten” oder auch “Beweg dein Arsch” richtig los, sodass man kurz irritiert wird – auf welchem Konzert bin ich nochmal? Übrigens ist auch auf der technischen Seite alles ausserordentlich gut. Die Instrumente und Mikros werden ab der ersten Sekunde extrem gut abgenommen, hier patzt niemand. Dazu Strobo-Licht, viele Spots, ein Outfitwechsel und ein fettes LaFee-Banner im Hintergrund. Ende. Nachdem man nun gemerkt hat, wie hoch die Nachfrage ist, könnte man vielleicht für den Sommer noch mit einigen geilen Visuals auf Leinwänden oder Konfettikanonen aufstocken. Ist aber kein Muss.
Denn LaFee unterhält auch so fast zwei Stunden lang mit sympathischen Ansagen. Sie ist unglaublich dankbar, dass nach so einer langen Abstinenz alle zurückgekommen sind. Auf der Setlist vermisst man wenn überhaupt “Ich bin”, die einzige Single, die nicht gespielt wird. Ansonsten sind Klassiker wie “Prinzesschen” und das abschließende “Virus” heute pure Attitüde und triggern Erinnerungen an unbeschwerte Tage. Mit “Kriegerin” steht gar eine Weltpremiere an: Nur kurz nach der Show droppt die neue Single, die der Tour ihren Namen gibt, auf den Streaming-Portalen, die Sängerin spielt sie exklusiv vorab zum ersten Mal und dreht dazu in der Halle sogar parallel das Musikvideo. Ein Song, der den 00er-Stil gut adaptiert, in den Lyrics aber das Ganze auf ein Erwachsenen-Level hebt. Echt gelungen. Für “Danke” darf ein ganz kleines Mädchen zu ihr auf die Bühne. Die ist mit ihrer Mama da, die damals Fan war. Generationenübergreifendes Konzert also. LaFee weiß Kleinkinder zu händeln, das sieht man sofort. Das absolute Highlight ist jedoch “Heul doch”, ihr einziger Top-3-Hit, der mit so viel Energie auffährt, dass sämtliche Kehlen überstrapaziert werden und die Crowd vollkommen loslässt. Hätte man vor einem Jahr nicht gedacht, dass man es braucht. Aber doch, braucht man.
Ende 2025 wird LaFee nicht in sämtlichen Jahresrückblicken unter dem Aspekt “Beste musikalische Darbietung” auftauchen, aber dafür in den Listen “Am meisten Bock gemacht”. Mit genau dem richtigen Reifeprozess funktioniert das Konzept heute fast noch besser als in den 00ern, die Künstlerin bekommt auf Meta-Ebene den Respekt, den sie verdient und alle sind irgendwie happy. Hausaufgaben gemacht, gutes Konzert, gerne wieder. Mic Drop.
Und so hört sich das an:
Foto von Christopher Filipecki
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