Andrew Lloyd Webber und Tim Rice sind alles andere als unbekannte Namen. Webber schrieb für mindestens zwei Hand voll der bekanntesten Musicals aller Zeiten die Musik, Rice für genauso viele die Texte. Mit Jesus Christ Superstar gelang ihnen 1970 der erste Achtungserfolg. Nächstes Jahr feiert es seinen 50. Geburtstag und ist weiterhin ein beliebtes Stück, das nahezu täglich irgendwo gesehen werden kann. Die Inszenierungen über die letzten Tage von Jesus Christus häufen sich – somit ist es umso schwerer eine gute zu erwischen. Da sollte man schon zweimal hinschauen beim Ticketkauf.
Eine der auffälligsten Produktionen ist die aktuell durch Europa ziehende Tour mit Ted Neeley als Hauptdarsteller. Laien werden sich fragen, wer das sein soll – Insider hingegen staunen nicht schlecht, dass der mittlerweile 75-jährige (!) Originaldarsteller aus der Verfilmung von 1973 immer noch diese Rolle spielt und das nun sogar in mehreren Ländern. Erstmalig ist er auch in Deutschland anzutreffen, wenn auch nur für drei Tage und insgesamt vier Vorstellungen im Kölner Musical Dome. minutenmusik durfte bei der letzten Vorstellung am 28.04. im Publikum sitzen.
Sonntagnachmittag, 14:30. Der Musical Dome ist brechend voll. Die Plätze, die nicht besetzt sind, sind schnell gezählt. Das Publikum ist schon ein wenig in die Jahre gekommen und durchschnittlich schätzungsweise zwischen 40 und 50. Auf der Bühne gibt es gar nicht so viel zu sehen. Zwei hohe Baugerüste an den Seiten, in der linken Hälfte Musikinstrumente auf einem drehbaren Podest, auf der rechten Seite eine große Treppe, die zu einem erhobenen Steg führt und eine große Leinwand im Hintergrund. Häufig wird sich das Bühnenbild in dem Zweiakter nicht ändern. Zwar zeigt das drehbare Podest, auf dem sich sechs der insgesamt acht Bandmitglieder positionieren, auf der anderen Seite den Palast der Hohepriester, ansonsten bleibt das meiste aber so, wie es von Anfang an ist. An Requisiten gibt es für mehrere Szenen einiges zu sehen, z.B. Palmzweige oder Tücher. Das Kostüm ist meist Hippie-like und eher schlicht.
Leider stellt sich die Produktion als schwierig heraus. Die durchkomponierte Rock-Oper, die somit nur wenige Momente der Stille vorweist und vorgetragene Texte nahezu ausschließlich gesungen und nicht gesprochen werden, ist auf musikalischer Ebene natürlich nicht mehr ganz zeitgemäß. Die Band spielt dennoch stets auf dem Punkt, ist schön on time und gibt den etwas angestaubten Songs einen Sound, der manchmal auch richtig knallen darf. Die zwei Bläser, die sich in einem der beiden Gerüsten befinden, setzen Akzente und sorgen für ein schönes Klangerlebnis. Das wird durch die durchweg hervorragenden Gesangsleistungen der Darsteller noch verfeinert. Hier gibt jeder sein Bestes und ist wirklich toll besetzt. Ted Neeley ist selbstverständlich eine Kategorie für sich. Auch wenn er körperlich vielleicht nicht mehr der Fitteste ist, liefert er in seinem stolzen Alter dennoch eine sehr beachtliche Performance. Dass er gesanglich noch solche Höhen in der Kopfstimme erreicht, lässt einen staunen. In den Tiefen berührt er zutiefst, nur in der Brust schafft er es nicht mehr bis ganz nach oben. Das macht aber wenig, da er mit seinem Ausdruck besonders im Solo „Gethsemane“ für absolute Gänsehaut sorgt. Aber auch der Judas (Nick Maia) und die Maria Magdalena (Simona Distefano) sind ein Ohrenschmaus.
Viel mehr Highlights gibt es dann aber leider auch nicht. Im Sound stimmen häufig die Relationen nicht, sodass die Band zwar sehr gut abgemischt klingt, der Gesang aber gerne zu leise und undeutlich wirkt, was ein erhebliches Problem darstellt, ist das Stück immerhin komplett auf Englisch und dazu manche Darsteller mit starken Akzenten behaftet. Ein Handzettel mit kleinen Erklärungen oder Übertitel hätten zum Verständnis positiv beigetragen. Am Anfang laufen noch ein paar Songtextschnipsel durchs Bild, das hört aber viel zu schnell auf. Das eher statische Bühnenequipment macht es nicht besser, sodass bei vielen Rollen nicht sofort zu erkennen ist, welcher Charakter gerade dargestellt oder in welcher Szenerie gespielt wird. Schade. Das größte Problem stellt jedoch die freie Inszenierung dar, die zunächst sehr klassisch wirkt, dann irgendwann aber völlig aus den Fugen gerät. Eine völlig überdrehte erotische Szene mit eindeutigen Bewegungen wirkt deplatziert und gewollt edgy. Gleiches gilt für die übertriebene Gay-Glitzer-Attitüde in „Herod’s Song“. Dass Jesus Christ Superstar zeigen soll, wie unnormal Jesus von seinen Anhängern gefeiert wird und das Thema auch heute noch aktuell ist, ist kein Geheimnis – warum aber in der Geißelungsszene plötzlich unzählige Bilder aus dem 2. Weltkrieg, vom World Trade Center, sterbenden Kindern und anderen allseits bekannten Gräueltaten gezeigt werden, bleibt fragwürdig. Ja, es hat sich nichts getan. Schon klar. Aber musste das sein? Mit dem Song „Superstar“ soll ins gegenwärtige 2019 gesprungen werden, bei dem das Publikum mit einbezogen wird und auch Handykameras zum Einsatz kommen. Kann man machen, kann man lassen. Der einzige inszenatorische gute Kniff: Jesus wird auf der höchsten Ebene der Bühne hinter einer Art Gitter gekreuzigt und ist schwer erkennbar. Stattdessen wird sein Gesicht gefilmt und auf Splitscreens stückweise projiziert. Neeley gibt hier schauspielerisch alles und macht das so gut, das Zuschauen weh tut. Großes Kompliment!
Insgesamt schleppt sich aber die hoch angepriesene Produktion mit Ted Neeley in der Hauptrolle nicht übers Mittelfeld hinaus. Zwar liefern die Darsteller tolle Kunst und sind zurecht in mehreren Ländern unterwegs – das gleicht nur leider die einerseits schleppende, andererseits stark aneckende und oft unverständliche Inszenierung und den schwammigen Ton nicht wirklich aus.
Und so sieht das aus:
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Bild von minutenmusik.
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