Musikfilme sind immer großes Drama. Musikfilme sind Kitsch. Musikfilme sind eigentlich Romanzen, bei denen irgendwie künstlich Songs eingebaut wurden, damit gesungen oder getanzt wird. Musikfilme sind wie Disney, ab von jeglicher Realität. Oder sie heißen Once und sind nichts von dem gerade erwähnten.
2007 erblickte ein No-Budget-Film – in Zahlen: 130.000 Euro Produktionskosten – aus Irland das Licht der Welt und entwickelte sich zu einem der größten Indie-Überraschungen überhaupt. Noch nie war ein Musikfilm so puristisch, so nihilistisch, so erfrischend anders und authentisch zugleich. Once schlug ein wie eine Bombe, ohne einen lauten Knall zu hinterlassen. Zig Kritiker*innen überschlugen sich mit Komplimenten, 2008 gab es für den Titelsong sogar einen Oscar. Das ungleiche Leinwandpaar bestehend aus dem nicht namentlich erwähntem Straßenmusiker in Dublin und der Pianistin ließ mitfühlen, weil es eben keine aufgeplusterte Lovestory war, sondern sich haargenau so in jeder Stadt abspielen könnte. Über Nacht wurden Glen Hansard und Markéta Irglová Identifikationsfiguren und Underground-Stars sowie privat ein Paar.
Fünf Jahre später schafft es die Musicaladaption nach einer kurzen Eingewöhnungsphase in kleineren Theatern an den Broadway und sackt stolze 8 Tony Awards ein, darunter auch den Hauptpreis als “Bestes Musical”. Daraufhin geht es erst auf die irischen Bühnen und schließlich für zwei Jahre an den Londoner West End, unter anderem mit Ronan Keating in der Hauptrolle. Once bietet als Gegenentwurf zum Höher-Schneller-Weiter-Prinzip dermaßen viel Charme, dass man sich ihm nur schwer entziehen kann. Umso verwunderlicher, dass es knapp eine weitere Dekade dauert, bis es auch hierzulande als Bühnenstück läuft.
Im Oktober 2021 können Neugierige erstmalig Once in Deutschland sehen. Mit einer Bühneninszenierung von dem Musical-erprobten Gil Mehmert – aktuelle große Produktion: “Cabaret” am Theater Dortmund – und Mehr-BB-Entertainment als Co-Produktion – momentan mit Moulin Rouge in Köln groß im Rennen – nehmen sich die Hamburger Kammerspiele den federleichten Stoff an, der aber schwer ist, gekonnt herübergebracht zu werden. Nach mehreren Vorführungen in Hamburg und einer Wiederaufnahme im Herbst 2022 zieht man nun für mehrere Wochen durch die Nation und tritt in vielen Theaterhäusern des Landes auf. Am 9.2., einem Donnerstagabend, spielt man einmalig im äußerst schicken, fast schon museumsähnlichen Theater Gütersloh – und scheitert gnadenlos auf fast allen Ebenen.
Überpünktlich gibt es bereits während des Einlasses eine Spielszene. Das Publikum, das sich wahrscheinlich viel mehr aus typischen Abonnementinhaber*innen als aus Musical-Fans zusammensetzt, macht es sich gemütlich auf den Plätzen. Gleichzeitig ertönt auf der Bühne die erste Geige. Das achtköpfige Ensemble ist fast vollständig schon zu sehen, bevor es um 19:30 Uhr offiziell losgeht und spielt auf mehreren akustischen Instrumenten irische Folklore, wie man sie bei einem Guinness im Pub hören und zelebrieren möchte. Der Einstieg ist also gleich stimmig und atmosphärisch. Im Bühnenbild orientiert man sich zweifellos am Purismus des Films. Kammerspielartig sind nur einige Instrumente zu entdecken, im Hintergrund wird ein kleiner Aufbau mal als Leinwand für Texte genutzt, oft aber fensterartig aufgeklappt, sodass dort Getränke und anderes ausgeschenkt werden kann, je nach Szenerie. In der Requisite bleibt es ebenfalls auf Stühle, Laken, Gläser und andere Kleinigkeit reduziert. Die Darsteller*innen behalten fast durchweg ihr ganz gewöhnliches und alltagstaugliches Kostüm an, was sie so auch beim Spazieren durch die Innenstadt tragen könnten.
Bei der Produktion des Films entschied man sich dazu, Glen Hansard als Hauptdarsteller nicht auszuwählen, weil er so ein begnadeter Schauspieler ist, der auch singen kann, sondern umgekehrt. Genau das scheint bei der Tourproduktion von Once nicht beachtet worden zu sein. Der Gesang ist fast durchweg nicht ausreichend, die schauspielerische Leistung maximal noch ausreichend. Besonders Eiko Keller als der Straßenmusiker, um den sich alles dreht, lässt so viele nicht korrekt gesungene, unangenehme Töne von sich hören, dass es manchmal schwierig wird, durchzuhalten. Die Pianistin, gespielt von Lina Gerlitz, ist im Schauspiel mit einer Mimik zwar auch eher eindimensional unterwegs, liefert aber dafür im zweiten Akt mit ihrem Solo “Dunkel” (im Original: “The Hill”) die beste und einzige Performance ab, bei der wirklich Gefühl transportiert wird. Gemeinsam agieren die Beiden jedoch wie zwei, die sich zwar suchen, aber niemals finden. Liebe, um vollends mitzugehen? Nicht erkennbar.
Um das nochmal zu betonen: Once als Vorlage ist nichts anderes als absolut stimmiges Miteinander, das wirkt, als sei es echt. Menschen, die gemeinsam besser musizieren als einzeln, die perfekt im Charakter wie in den Stimmen harmonieren. Damit steht und fällt alles. Komplett alles. Once ist kein Stück, bei dem man danach die Story lobt. Man muss es fühlen, nicht von irgendwelchen Wendungen oder Effekten überwältigt sein. Zwar entscheidet sich die Hamburger-Kammerspiele-Produktion richtig, in dem sie nicht mit viel Bumbum ablenkt, aber gerade, wenn man sich auf Kernkompetenzen konzentriert, müssen die ohne Einschränkung funktionieren. Tun sie aber nicht. Stattdessen wird aus dem nicht mal 90 Minuten langen Film eine viel, viel, viel zu lange 150-Minuten-Fassung – aufgeteilt auf zwei Akte à 75 Minuten – bei der die sowieso schon eher kargen Handlungsstränge endlos gezogen werden und ganz viel dazubekommen, was sie nicht brauchen oder gar voranbringen.
Das ist nicht schlimm, wenn es dann musikalisch und schauspielerisch funktioniert. Stattdessen zeigt aber die achtköpfige Cast, dass sie lediglich in einer Kompetenz akzeptabel ist, und das ist als Instrumentalist*innen. Nahezu alle Charaktere dürfen gleich mehrfach zwischen Saiten-, Tasten- und Schlaginstrumenten wechseln, was keinesfalls eine leichte Aufgabe ist. Dadurch funktionieren einige Sachen besser. Positive Beispiele kommen immer dann auf, wenn von Intimität und Ruhe zu etwas lauteren, mitreißenden Tönen gewechselt wird und alle sich frei bewegen. Aber auch hier geschehen, insbesondere immer dann, wenn der Straßenmusiker als Gitarrist zockt, unzählige Tempi-Wechsel, bei denen nicht alle hinterherkommen oder manches auch schlichtweg nicht korrekt gestimmt klingt. Man muss schon äußerst ungeübte Ohren haben, um das Kuddelmuddel, was in den Bandraumszenen entsteht, als angenehm zu empfinden.
Es ist wahnsinnig traurig, unglaublich schade und enttäuschend zugleich, aber Once als deutsche Erstaufführung wirkt äußerst unprofessionell, nicht gut ausgearbeitet und zugleich super langweilig. Das mag eventuell daran liegen, dass in Gütersloh vielerlei nicht die Originalbesetzung zu sehen ist, die womöglich besser abliefert. Auch die hölzernen Übersetzungen – Negativbeispiel par excellence: “Augenblick”, das “Falling Slowly” nicht mal zur Hälfte gerecht wird – tun ihr Übriges. Man spürt, dass hier die Darsteller*innen sich wirklich anstrengen und wollen, aber es leider kaum können. Am Ende bleibt das Gefühl, man hätte eine Student*innen-Aufführung gesehen. Wer unvoreingenommen in die Aufführung geht und hiernach keinerlei Ambitionen mehr hat, den Film oder eine größere Produktion im Ausland anzuschauen – man kann es dem*derjenigen nicht verübeln. Vielleicht ist es aber auch einfach nicht das richtige Musical für Deutschland. Riesiges Potential, eine riesige Vorlage, eigentlich wie gemacht für eine Theaterbühne, nur komplett mies umgesetzt. Sorry.
Und so sieht das aus:
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