Wie oft wart ihr schon mal bei einer Preisverleihung? Wir auch noch nie – zumindest bis vergangenen Dienstag. Da durften wir nämlich beim popNRW-Preis 2021 vorbeischauen und haben viele spannende Eindrücke mitnehmen dürfen:
Doch ganz von vorne. Zum zehnten Mal wurde einer der wichtigsten Förderpreise für die deutsche Popkultur verliehen. Beim popNRW-Preis werden, wie es der Name schon vermuten lässt, Künstler*innen geehrt, die in NRW ansässig sind bzw. arbeiten. Das NRW KULTURsekretariat, das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW und der Landesmusikrat NRW verleihen in je zwei Kategorien eine*r Gewinner*in einen tollen Preis, der anschließend in die Musikkarriere gesteckt werden kann. Eine Kategorie ist der Newcomer-Preis, die andere der Preis für den Outstanding Artist des Jahres. Die Jury setzt sich zusammen aus einflussreichen Journalist*innen, Organisator*innen oder Menschen, die selbst Musik machen.
Bereits im Juli wurden die Nominierten bekanntgegeben. Vorab hieß es also, so gut es geht auf sich aufmerksam zu machen. Immerhin möchte man doch in einem Atemzug mit Giant Rooks, Keshavara oder Roosevelt genannt werden, die alle schon siegen durften. Übrigens hat man, wenn man bereits den Newcomer-Preis einsacken konnte, durchaus noch später Chancen auf das große Ding. So war es zum Beispiel dieses Jahr bei International Music, die 2018 dank ihres Debütalbums in aller Munde waren und nun mit ihrem Zweitwerk auf den Hauptpreis hofften. Spoiler Alert: Gewonnen haben sie nicht.
Wo gab es überhaupt etwas zu gewinnen? Im Gloria in Köln, und zwar am 19.10., einem Dienstag. Stilecht wird mit Sekt und Brezel am Eingang begrüßt, sowieso gehen sämtliche Getränke aufs Haus – zumindest bis zum Ende der Verleihung, die pünktlich um 20:15 Uhr zur besten deutschen Sendezeit losgeht. Anja Backhaus, die man von diversen WDR-Radiosendern kennen sollte, moderierte zum wiederholten Male die Verleihung und zeigte sich von Sekunde eins sichtlich begeistert. Laut ihr ist die Stimmung beim popNRW-Preis immer eine besondere. Das wirkte auf uns in den ersten Minuten zwar nicht so, war das Publikum doch trotz voller Ausschöpfung ein wenig verhalten, lockerte sich aber recht schnell. Ist ja auch naheliegend, wenn geschätzte 90% Zuschauer*innen aus den Künstler*innen selbst und ihren Angehörigen besteht. Ganz persönlich. Nur wenige Pressevertreter*innen bzw. Vertreter*innen aus den Ministerien waren irgendwo zwischen den Artists verteilt.
Gute 100 Minuten, quasi Spielfilmlänge, dauerte die Verleihung. Nach eingehenden Worten seitens Moderatorin und Ministerium wird ein gelungener Imagefilm gezeigt, bei dem einige Jury-Mitglieder zu Wort kommen und die Gewinner*innen des vergangenen Jahres – Keshavara und IUMA – bei Studiosessions zu hören sind. Anschaulich, persönlich, interessant. Noch interessanter wird’s jedoch im Anschluss bei der Verkündung der Newcomer-Gewinner*innen. Denn wurden die Jahre zuvor immer nur die ersten Plätze berücksichtigt, bekommen diesmal auch die zweiten Plätze etwas – und zwei Leute aus 19 möglichen pro Kategorie ist definitiv überschaubar.
Der Famemoment ist aber wohl für die meisten im Raum eh der Augenblick, in dem alle Nominierten für circa 30 Sekunden mit einem Video auf der großen Leinwand erscheinen. Nicht alle, aber dennoch viele sind anwesend und feiern sich richtig. Es wird geschrien, gejubelt, geklatscht und sich in den Armen gelegen – so, wie es auch zu sein hat. Doch Tom Taschenmesser aus Wuppertal darf das Ganze noch etwas mehr genießen. Er geht als Platz 2 nach Hause. Das heißt zwar konkret, dass er ein Marketingpaket in Höhe von 50€ gewonnen hat, aber obendrauf eben auch gute Publicity, die wesentlich mehr wert ist. Seine fragile Erscheinung im gezeigten Musikvideo zu “verzeih dir deine schönheit” fällt sofort ins Auge. Fans von AnnenMayKantereit oder Faber dürfen einen Blick wagen.
Das Highlight des Abends folgt direkt im Anschluss. Denn erstaunlicherweise gewinnt eine in Togo geborene Frau, die schon durch ihre Optik sämtliche Blicke auf sich zieht. Donia Touglo darf einen Scheck im Wert von 2500€ für sich beanspruchen, und das völlig zurecht. Die in Deutschland aufgewachsene, junge Künstlerin weiß ihre Muttersprache Ewe mit englischen Fragmenten zu kombinieren, Sounds aus ihrem Land mit gefühlt jedem Stil der Weltmusik zu paaren und dabei extrem cool, lebensfroh, musikalisch und energetisch zu wirken. Ihr knapp zehnminütiger Auftritt, bei dem sie ein Medley aus sämtlichen Songs präsentiert, fesselt direkt und bleibt nachhaltig im Kopf. Bitte einmal alle bei Instagram und Facebook abonnieren. Verdient ganz viel Aufmerksamkeit. Ihre Laudatio wurde im Übrigen von der nicht weniger sympathisch wirkenden Künstlerin Mariama Jalloh gehalten.
Doch ein Teil im Publikum schielt einem weitaus höheren Betrag entgegen. 10.000€ warten auf den*die eine*n. Moglii, den man bereits von seinem vorigen Bandprojekt Moglebaum kennen könnte, schlenderte leider knapp am Sieg vorbei. Dennoch scheinen fast 10.000-Instagram-Follower*innen dafür zu sprechen, dass man mit ihm auch in naher Zukunft noch rechnen darf. Einerseits mit dem leicht elektronischen Singer/Songwriter-Pop, den er spielt – andererseits mit Plakaten an den Wänden. Er gewann als Zweitplatzierter nämlich eine Kampagne, die ihn demnächst im öffentlichen Raum einer Stadt seiner Wahl zeigt. Cool.
Die größere Laudatio gehört an dem Abend einen alten Bekannten, nämlich Curse, der seit Jahren neben der Rapmusik auch in anderen Sparten wie Podcasts oder Radio unterwegs ist. Und beim bloßen Verraten seines Namens hätte man schon eine Vorahnung haben können, in welche Richtung wohl der letzte Preis gehen könnte. Und ja, Rap siegte – allerdings nicht so, wie man es wohl zunächst denkt. Denn auch hier gab es eine Gewinnerin. Da Diversität glücklicherweise endlich angekommen zu sein scheint, gewinnt nicht nur eine Frau sondern auch hier noch eine mit Background aus Angola. Die P ist zwar in München geboren, aber seit ihrem sechsten Lebensjahr in Bonn beheimatet. Schon 2017 kam ihre erste Veröffentlichung. Vier Jahre später scheint der große Wurf zu klappen. Die Jubelstürme im Publikum sind laut. Zufälligerweise sitzen wir genau neben ihr und ihren Angehörigen. Hier und da fließen auch ein paar Tränen. Dann geht es für gute 15 Minuten auf die Bühne, in der sie auch einige Tracks zum Besten gibt und zeigt, dass sie ziemlich gut flowt. Die P macht zweifelsohne sehr klassischen Deutsch-Rap, jedoch mit moderner Sozialkritik kombiniert. Fordernd, laut, ein wenig aufmüpfig, aber keinesfalls stumpf. Sollte Genrefans durchaus begeistern – aber das tut es wahrscheinlich eh schon längst.
Was übrigens gar nicht zu begeistern weiß, sind schlechte Verlierer*innen. Davon scheint es gleich mehrere im Raum zu geben. Zwar fallen keine Buhrufe, aber während der Performance der Gewinner*in oder gar schon davor den Saal zu verlassen, ist in etwa das Gleiche. Schwache Leistung und dermaßen peinlich und uncool, dass es wohl keine große Überraschung wäre, wenn es für so manche die einzige Preisverleihung bleibt. Auch lautstarkes Unterhalten an der Bar und offensichtliches Desinteresse zeigen, hat wenig bis gar keinen Anstand. Soll es aber wahrscheinlich auch nicht.
Ein paar kurze Abschlussworte von Anja Backhaus und that’s it. Einige nette Grüppchen, die mit Bier anstoßen, versammeln sich im Raum an den Stehtischen. Einige tragen Abendgarderobe, manche ein Kostüm, andere ganz Understatement-like Hipster-chic. Glückwunsch an die Gewinner*innen. Die Konkurrenz mit International Music, Walking on Rivers, Muff Potter oder Bukahara war beachtlich. Respekt für alle Nominierten. Feiert euch. NRW kann mehr als es scheint.
Und so hört sich Die P an:
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Foto von Christopher.
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