Musik hat die Kraft etwas zu bewegen – sei das auf politischer, auf gesellschaftlicher oder gar auf persönlicher Ebene. Über eine reine Weste scheinen Ruby Da Cherry und $crim nicht wirklich zu verfügen – als Suicideboys rappen sie über exzessiven Drogenmissbrauch, sprechen über ihren tiefen Welthass, skizzieren ihren eigenen Selbstmord. Ihre Texte durchziehen Gewaltphantasien, Nennungen jeglicher Drogensorten, ja, die beiden scheinen ganz schön viele „Mütter zu ficken“. Trotzdem erreichen Scott Areneaux und Aristos Petros, wie die in New Orleans geborenen Musiker bürgerlich heißen, mit ihrer nicht selten anstrengenden Mischung aus krachigen Trap-Beats, aggressiv gespitteten Rhymes und Hardcore-Einflüssen eine immer wachsende, vor allem junge Zielgruppe, die sich in die Depressionen der beiden hineinfühlen kann und der Drogen auf gleicher Weise als Flucht vor der Realität dienen.
„I Want To Die In New Orleans“ heißt das erste kommerzielle Album der Gruppe, das die Tage erscheint. Eigentlich sollte die Platte den Titel „I Don’t Wanna Die In New Orleans“ tragen, bereits Ende des letzten Jahres erhältlich sein und von Erfolg handeln – davon wie erfüllend das Leben auf Tour und der damit verbundene Lifestyle ist. Nach und nach wurde $crim und Ruby jedoch bewusst, dass auch ihr großer Traum nichts am Gemütszustand der Welt und ihren eigenen Empfindungen ausrichten kann. Deshalb warf man die komplette Platte um, änderte den Titel, die einzelnen Songs. Das Ergebnis dieses Wandels sind 42 verstörend ehrliche Minuten Musik (wer ein Wortspiel findet, darf es behalten), die einen lyrisch noch tiefer in den düsteren Strudel der beiden Charaktere zieht, sich musikalisch hingegen etwas mehr Melodie öffnet.
„They changed so much! How do these two motherfuckers from New Orleans change music?“, hört man eine männliche Stimme gleich zu Beginn der Platte sagen. Ja, die beiden scheinen schon viel von sich zu halten – naja, sie sind ja auch Rapper. Gegen Ende der Platte, die immer wieder von kurzen Rede-Einspielern unterbrochen wird, heißt es dann auf einmal; „We are gathered here today to remember the lifes of Ruby and $crim, also known to many as the Suicideboys.“ Puh, was ein krasser Bogen von Selbstbeweihräucherung zum eigenem Begräbnis! Aber was geschieht dazwischen?
Gerade diese Dramaturgie zwischen Wahnsinn und tiefer Trauer zieht sich durch das gesamte Album. Während der vierzehn Songs sehnen sich die beiden Rapper immer wieder ihren eigenen Tod und ihre eigene Beerdigung herbei. So heißt es im erstaunlich eingängigen „Long Gone (Safe Me From This Hell)“ beispielsweise: „Safe me from this hell. I will rest in peace.“ Das Gegenstück davon bildet der tiefe Hass, den die Suicideboys gegenüber der Gesellschaft, der Rap-Gemeinschaft und ihren Mitmenschen empfinden. So heißt es im Verlauf auch mal „Fuck the rap industry. I’m not a motherfucking cow“.
Während einiger weniger Momente hat man zwischenzeitlich sogar das Gefühl, die Amerikaner würden sich auf „I Want To Die In New Orleans“ dem Pop öffnen und voller Gier in Richtung Charts und Radio schielen. Tolle Melodien konnten die beiden ja schon immer schreiben – trotzdem sang Ruby auf noch keiner Suicideboys-Veröffentlichung so viel. Der dann tatsächlich niemals in den Mainstreampop abrutschende, gelegentlich etwas eingängigere Sound tut dem Gesamtwerk jedoch nur gut. Konnte man in der Vergangenheit bei den knallenden Bässen auch schnell mal Kopfschmerzen bekommen, bieten die ausgewählten ruhigeren Momente eine mit Handkuss genommene Abwechslung und Erholung. Der 7-minütige Closer und vierte Teil der „I no longer fear the razor guarding my heal“-Reihe zeigt dann zum Schluss nochmal die ganze Bandbreite und Vielschichtigkeit der Band auf – gleich mehrfach bricht der Song, wird von Einspielern unterbrochen, wechselt seine Stimmung.
Von dieser Jugendbewegung, die hierzulande momentan aus Amerika überschwappt, kann man halten, was man will. Klar, man kann die vielen illegalen Substanzen verurteilen, die nicht selten sexistische Sprache, das düstere Image. Was man jedoch nicht aberkennen kann, ist der riesige positive Einfluss den Künstler, wie die Suicideboys, auf das Leben vieler junger Menschen haben – Menschen, die sich im Alltag nicht verstanden fühlen, denen gezeigt wird, dass sie mit ihren Problemen und Gedanken nicht allein sind. „I Want To Die In New Orleans“ ist eine Momentaufnahme dieser schrägen Szene, die häufig gar nicht anbiedern will, ein Album, das für die Anhänger der Richtung wohl bald als Meilenstein gelten wird und aufzeigt, dass man mit Schwarz-Weiß-Denken im Rap oft nicht weit kommt. Aus etwas Bösartigem und Düsterem kann nämlich durchaus etwas positives entstehen, auch wenn man dadurch mit Unangenehmen umgehen muss.
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Die Rechte für das Albumcover liegen bei G59 Records.
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