Die vorerst letzte Tour. Ob die Fans wieder so lange warten müssen? Ende der 90er wurde es ruhig um die Kelly Family. Der große Hype war vorbei, die ersten Mitglieder verließen die Band. 2004 gab es das letzte Album („Homerun“) vor der Pause, die so viele Jahre in Anspruch nahm und zwischenzeitlich den Anschein erweckte, dass eine Rückkehr ausgeschlossen sei. Doch Ende 2016 entflammte in nur wenigen Stunden eine neue Hysterie: ein Comeback sollte im Mai 2017 folgen. Der Rest ist bereits ein weiterer Teil der unglaublichen Familiengeschichte. Aus einem einzigen Konzert wurden gleich drei an einem Wochenende, daraufhin drei (!) Tourneen, zwei Live-Veröffentlichungen und bereits zwei Alben. Nach fast drei rastlosen Jahren soll dann vorerst wieder Ruhe einkehren. Am 23.2.2020 fällt in München der zunächst letzte Vorhang und die sechs der ursprünglich neun Mitglieder kehren in ihre Soloprojekte und Familien zurück.
Bis dahin wird aber ordentlich gefeiert. Grund genug hat die irische Band allemal. Vor 25 Jahren erschien Over The Hump (lest HIER nochmal unseren Plattenkrach). Immer noch eins der zehn bestverkauften Longplayer Deutschlands und natürlich der Meilenstein der Gruppe. Nachdem das erste Album nach der Reunion, „We Got Love“, auf so vielen Konzerten bereits genug vorgestellt und bespielt wurde, ist also ein neues Konzept gefordert. Die alte Show hat gefühlt jeder gesehen, deswegen ist nun Kreativität gefragt – und da kommt das Jubiläum des Klassikers wie gerufen. Erstmalig soll das Erfolgsalbum komplett und in Reihenfolge auf einem Gig gespielt und das Konzert anschließend mit Überraschungen aufgefüllt werden. Ob das gut geht?
Eine gar nicht so unberechtigte Frage. Immerhin sind es nur noch sechs statt neun Bandmember. Paddy (lest HIER nochmal unsere Kritik zum Solokonzert von Michael Patrick Kelly) und Maite sind mit ihren eigenen Songs unterwegs, Barby seit fast zwei Jahrzehnten krankheitsbedingt aus der Öffentlichkeit verschwunden. Zwar hat sie bei beiden neuen Alben im Studio mitgewirkt – live ist aber für sie keine Option. Wer singt denn nun die Songs der drei, die nicht mehr am Start sind?
Aufgelöst wird diese Frage unter anderem auch in Dortmund. Konzert Nr. 22 und 23 der 42 (!)-Gigs starken Tournee finden in dem „Kelly-Wohnzimmer“ statt. Auch Patricia spricht in einer Ansage von dem „eigenen Haus“. Hier fand ebenfalls 1994 das legendärste Konzert der Band statt – eine ausverkaufte Dortmunder Westfalenhalle ohne ein Album in den Charts zu haben, ohne Plattenfirma. Alles im Alleingang auf der Straße selbst promoted und verkauft. Hat funktioniert und bleibt bis heute sowohl bei den Fans als auch bei den Musikern unvergessen. Deswegen wurde fürs Comeback 2017 die Westfalenhalle ausgewählt und auch dieses Jahr die Halle gleich zweimal für die letzten Auftritte des Jahres gebucht.
Der Samstagabend ist ausverkauft und lockt, wie man es von der Gruppe kennt, die Jüngsten und die Ältesten an. Selten gibt es so ein heterogenes Publikum. Mama, Papa, Sohn, Tochter, Oma, Opa. Alle dürfen mit. Menschen mit Handicaps oder Fans der ersten Stunde. Kaum jemand trägt kein Kelly-Shirt oder -Schal. Dementsprechend ist die Stimmung schon vor dem Beginn gut und hält auch bis zum letzten Ton an.
Pünktlich wie das in wenigen Stunden anstehende Neujahr geht um 19:30 das Licht aus. Keine Vorband, nur die Kellys. Erst 60 Minuten, dann 75 Minuten, dazwischen 25 Minuten Pause. Die Setlist der ersten Hälfte ist das, was versprochen wurde: das Over The Hump-Album in voller Länge. Allerdings mit einigen Abstrichen. Natürlich funktionieren „Why Why Why“, „First Time“, „Cover The Road“ und „An Angel“ wie eh und je. Alle Titel sind seit fast drei Jahren bei jedem Auftritt zu hören gewesen. Auffällig ist stattdessen bereits bei Song 2, „Father‘s Nose“, dass Kathy nicht auf der Höhe ist. Der Song wird gekürzt, hohe Stellen singt sie gar nicht erst. Im Laufe der Show bleibt sie größtenteils an den Instrumenten, wechselt zwar häufig zwischen Keyboards, Gitarre und Akkordeon, greift aber nur selten zum Mikro. Ihr Solo in der zweiten Hälfte, „Baila Mi Coracon“, fällt sogar komplett aus dem Programm. Eine Ansage, ob sie erkältet sei, gibt es leider nicht.
Natürlich möchte man wissen, wie nun die anderen Songs besetzt sind. Barby hat gleich drei Soli auf dem Album. „Baby Smile“ wird auf der Tour von Patricia und John übernommen, was nur bedingt klappt. John kommt nicht gut in den Song, Patricia macht es solide. Es fehlt bei dem Ohrwurm einfach die leicht schräge, aber eben einzigartige Art von Barby. Ihr „She’s Crazy“ scheint keinem der restlichen Mitglieder gelegen zu haben – das wird ausschließlich von der ebenfalls sechsköpfigen Zusatzband vorgetragen mit einem sehr schönen, aber halt instrumentalen Violinen-Solo. Der beste Austausch klappt bei „Break Free“, das in seinem Neuarrangement richtig Zunder gibt und von Angelo mit viel Enthusiasmus vorgetragen wird. Knallt und macht wirklich Bock! Gerne ab sofort immer im Programm. Den Totalausfall leistet sich John bei Maites „Roses of Red“, zu dem er ein mit Rosen bestücktes Buch, das einer Bibel ähnelt, in Händen trägt und tatsächlich daraus den Songtext abliest. Ernsthaft!? Das hinterlässt doch schockierte und irritierte Blicke. „Ares Qui“ kommt ohne Kathy aus, obwohl sie auf der Bühne steht. Offensichtlich scheinen dort spontan Dinge umgeworfen zu sein – tatsächlich werden nämlich in der ersten Hälfte hier und da Einsätze verpasst, was so bei der Truppe nie passiert.
Vieles wirkt in der ersten Hälfte gehetzt, ein wenig chaotisch und unorganisiert. Man merkt, dass es sich eben nicht um das erste, sondern bereits 22. Konzert der Tour handelt und das innerhalb eines guten Monats. Trotz Heimspiel fehlt es bis auf Angelo allen ein wenig an Energie. Die etwas freier gestaltete zweite Hälfte des Konzerts fluppt hingegen besser. Die Hälfte des zweiten Sets besteht aus neuen Songs der letzten Veröffentlichung „25 Years Later“ (lest HIER nochmal unsere Kritik zum aktuellen Album). Alles keine schlechten, aber eben noch nicht etablierte Titel. Highlights sind das sehr beschwingte „Fire“ von Patricia, das mit passenden Feuereffekten unterlegt wird und das erste Paul-Solo „Star Of The County Down“. Der Underdog der Gruppe war in den 90ern nicht dabei, ist aber ebenfalls ein Bruder der Band und seit dem Comeback ein kleiner Publikumsliebling. Seine irischen Folkloretänze sind charmant und bringen Beifallstürme. Angelo zeigt in seinem beliebten Drumsolo, dass er wirklich unglaubliches Talent besitzt und zu Unrecht nicht bei den Toplisten der besten Drummer Deutschlands aufgelistet wird.
Wenn zwei große Alben präsentiert werden, bleibt für Classics nicht mehr viel Platz. Dennoch haben es natürlich „Take My Hand“, „Good Neighbor“, „I Can’t Help Myself“, „Nanana“ und „Fell In Love With An Alien“ auf die Setlist geschafft, die auch alle stimmungstechnisch den Gipfel darstellen und das Kelly-Konzertfeeling spüren lassen, was die Fans möchten. Trotzdem Weihnachten am 28.12. bereits vorbei ist, wird „White Christmas“ gesungen. „Oh Holy Night“, das ebenfalls bei den vorigen Gigs dabei war, wurde gestrichen. Stattdessen singen Joeys Kinder als Special Guest „Leise Rieselt Der Schnee“. Süß, aber auch ein wenig deplatziert. Zum Finale wird „Fröhliche Weihnachten“ gewünscht, was ein wenig auswendig gelernt klingt – eben so, als ob es auf der Tour immer an der Stelle gesagt wurde. Hoffentlich ist das ab Mitte Januar nicht weiterhin so.
Am Ende bleibt ein etwas verwirrendes Kelly Family-Konzert, das keinesfalls schlecht ist, aber eben nicht vollends befriedigt. Die letzten, vollgepackten drei Jahre hinterlassen Spuren. Die Energie wirkt ein wenig aufgebraucht. Nach der Extrashow in Dortmund ist knapp drei Wochen Urlaub, um schließlich die 18 letzten Konzerte, u.a. auch in Polen, Belgien, der Niederlande und der Schweiz über die Bühne zu bringen. Eine etwas längere Pause ist dann mehr als verdient und angebracht. Nur bitte nicht zu lang.
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