Plattenkrach: K.I.Z – Hurra die Welt geht unter

Cover des K.I.Z. Albums "Hurra Die Welt Geht Unter".

K.I.Z polarisieren. Das ist bekannt. Mit ihren sarkastischen und derben Texten stoßen sie die einen vor den Kopf, während sie von den anderen für genau das geliebt werden. Während Emilia eher zu letzterer Gruppe zählt, konnte Julia der Berliner Rap-Crew noch nie so wirklich etwas abgewinnen. Dementsprechend unterschiedlich fallen auch die Meinungen der beiden zu dem 2015er Album “Hurra die Welt geht unter” aus. 

Emilia findet:

Wenn es ein Album gibt, das in meinem Kopf für immer mit dem Sommer 2015 verbunden sein wird, dann ist das wahrscheinlich “Hurra die Welt geht unter”. Egal ob über die Anlage in meinem Zimmer, die Bluetooth-Box meiner Freund*innen am See oder meine Kopfhörer, wenn ich im Bus saß (damals noch auf dem Weg zur Schule) – die Stimmen von Maxim, Nico und Tarek folgten mir nahezu überall hin und die Texte haben sich bis heute tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Manchmal frage ich mich, ob es auch den Umständen geschuldet war, dass die Platte bis heute zu meinen liebsten und meistgehörten deutschsprachigen Alben zählt. Aber ich glaube, es liegt auch daran, dass die Platte wirklich gut ist. Und das hat mehrere Gründe.

K.I.Z sind bekannt für Ironie, Sarkasmus, Provokation und Gesellschaftskritik. Und zwar nicht dezent und zwischen den Zeilen, sondern mit Ansage und Vorschlaghammer. Ein Image, wie die Berliner Rapper es haben, kommt eben nicht von irgendwoher. Diese Tradition führen sie auch auf “Hurra die Welt geht unter” fort – allerdings etwas ernster und auf, für K.I.Z-Verhältnisse, nahezu subtile Art. Fans von Platten wie “Sexismus gegen Rechts” oder “Hahnenkampf” mögen vielleicht die richtig derben Lines vermissen. Auch ich höre diese Alben gerne – mir gefällt der etwas andere Stil aber genauso gut, denn K.I.Z zeigen hier, dass sie auch “seriös(er)” können und dass manchmal auch ein paar gemäßigtere Worte reichen, um die gewünschte Message zu vermitteln. Und genau das ist für mich die große Kunst im Deutschrap: Sarkastische Gesellschaftskritik nicht mit dem Zaunpfahl, sondern durch die Hintertür – dafür aber mit genau so viel Wucht.

Denn trotz des teils gemäßigteren Tons kommt diese nicht zu kurz: Von Kapitalismus über Flucht und Migration bis hin zu toxischer Männlichkeit, Drogen und Alkohol holen K.I.Z zum verbalen Roundhouse Kick gegenüber der in ihren Augen pre-apokalyptischen Welt aus. Die oft monothematischen Songs wie “Geld”, “Käfigbett” oder “Ariane”, die sich mit szenischen Bildern in gewohnt sarkastischer K.I.Z-Manier als roter Faden durch das Album spinnen, enden konsequenterweise im Titeltrack des Albums, der uns mit Henning Mays markanter Stimme und einem ebenso bedrückenden wie hoffnungsvollen Text aus der Platte entlässt. Aber auch dazwischen plätschert das Album keinesfalls nur vor sich hin, sondern hält definitiv einige überraschende Momente bereit, die zeigen, dass sich K.I.Z auf dieser Platte auch auf anderen Ebenen etwas trauen: Von dem sehr ruhigen “Freier Fall” mag man halten, was man will, aber bei mir löst es bei jedem Hören Gänsehaut aus – und der wildeste Song des Albums “Was würde Manny Marc tun” schiebt auf knapp sechs Minuten trotz oder vielleicht auch gerade durch den Kontrast von ernsten Lyrics und Atzen-typischer Party-Hook einfach anders

Aber abgesehen von diesem Ausreißer gegen Ende der Platte ist der Sound analog zu den Texten gefühlt etwas ernsthafter geworden – schlüssiger, zusammenhängender, straighter, besser ausproduziert. Und einfach eine Spur weniger verrückt. Da ist kein wildes Geschrammel, kaum wirre elektronische Beats. Fühlte sich der “alte” Sound von K.I.Z manchmal wie Stroboskop-Lichter zum Hören an, so flackern diese auf “Hurra die Welt geht unter” nur noch hier und da mal auf und wurden ansonsten gegen etwas dezentere Scheinwerfer ausgetauscht, die zwar noch mit genauso viel Watt, aber etwas reduzierteren Lichteffekten scheinen.

Eine Tatsache, die mich an der Platte fast schon ein bisschen nostalgisch zurückblicken lässt, ist die Länge des Albums – und vor allem die der Songs. Sind knapp sieben Jahre später gerade im Deutschrap viele Songs für Streaming-Plattformen optimiert und selten länger als gut drei Minuten, pendeln sich die Songs hier irgendwo zwischen viereinhalb und fünf Minuten Länge ein. Und das, ohne langweilig, redundant oder unnötig in die Länge gezogen zu wirken. Ich fühle mich fast ein bisschen alt, während ich das schreibe, aber: Manchmal wünsche ich mir die Zeit zurück, als das noch die Regel und nicht die Ausnahme war.

Nicht nur deshalb ist die fünfte Platte von K.I.Z für mich bis heute ein outstanding Album im Deutschrap der vergangenen zehn Jahre. Vielleicht, weil sie mich genau zur richtigen Zeit erwischt hat – wahrscheinlich aber auch, weil auf ihr einfach alles stimmt: Sarkasmus und Ironie mit Fingerspitzengefühl auf intelligenten Texten ohne stumpf zu wirken und untermalt von epischen Beats, die auch noch geil produziert sind. Die Berliner Crew schafft es durch diese Kombination eine düstere Weltuntergangsstimmung mit gleichzeitiger Leichtigkeit zu malen, ohne den Zuhörer*innen die Lust daran zu nehmen, die Songs in jeder Stimmung komplett abzufeiern. Und das muss man erst mal schaffen.

Julia sieht das etwas anders: 

K.I.Z sind für mich wie Brokkoli. Natürlich weiß ich dank verschiedenster Quellen und unzähligen Lobhudeleien, wie toll sie sind und ja überhaupt ganz anders. Und dieser intelligente Sarkasmus, der das ganze Genre aufs Korn nimmt erst! Am Ende kann ich dem grünen Gemüse genau so wie der Rap-Institution jedoch nichts abgewinnen. Dem einen wegen meiner Geschmacksknospen, dem anderen vielleicht auch deswegen, aber eben auch wegen einer gewissen Grundabneigung gegen die Attitüde der Musik.

Während sich dann gerade bei vegetarischen Pizzen doch das ein oder andere Brokkoli-Röschen unter der Käsedecke versteckt und ganz trojanisches-Pferd-mäßig meine Mundhöhle erklimmt, konnten sich auch K.I.Z trotz meines großen Bogens um Deutsch-Rap generell in mein Bewusstsein schleichen. Zum einen auf dem Festival-Line-Up des Vainstream, wo ich den Auftritt der Band – und ja so fühlte es sich an – ertragen musste. Zum anderen aber auch durch wirklich coole Aktionen wie dem regelmäßigen Konzert nur für Frauen. Und zu guter Letzt eben auch durch die großen Überhits wie „Ein Affe und ein Pferd“ oder eben „Hurra die Welt geht unter“.

Zu letzterem erschien 2015 ein Album, das in diversen Plattenregalen von Freund*innen und Bekannten steht und das ich bisher dennoch gut umgehen konnte. Emilia lädt mich aber nun dazu ein, dem Ganzen nochmal eine Chance zu geben. Vielleicht verdeckt die Würze drumherum ja meine Vorurteile?

„Es liegt an eurem geistigen Fassungsvermögen / Wenn ihr bei K.I.Z nicht lacht, ihr Amöben“ – kaum eine Strophe vorbei und schon eine neue Erkenntnis: Amöbe statt Homo sapiens, auch gut. Witzige Musik hat es bei mir eh schwer, Alligatoah steht schon lange auf der schwarzen Liste. Deswegen entlocken mir die Punchlines auch nicht wirklich ein Schmunzeln. Intelligent geschrieben ist der Track „Wir“ natürlich trotzdem, hat den coolen Sprechchor „Ihr seid alles, wir sind nichts / Nehmt uns auf das Raumschiff mit“ und ist mit seiner Gott-Perspektive zumindest amüsant.

Folgerichtig schließt der bereits bekannte und aktuell doch etwas bedrückend aktuelle Titeltrack die Platte ab und schreitet von der gottgleichen Perspektive hinunter zu den Diskriminierten der Gesellschaft. Davor überrascht mich vor allem die erste Hälfte der Platte – und teils sogar positiv. Zum einen gibt es hier doch deutlich weniger aggressive Attitüde als gedacht und auch weniger Provokation um der Provokation willen. Mit dem unterhaltsamen „Geld“ und „Glücklich und satt“ kriegen mich die drei sogar beinahe.

Auf der anderen Seite gibt es dann Tracks, die inhaltlich überzeugen, soundtechnisch aber für meine ungeübten Rap-Ohren recht billig klingen, beispielsweise „Boom Boom Boom“ oder „AMG Mercedes“. Weder die Melodien im Sprechgesang noch die Refrains zünden hier irgendwie. Erwartbar unschön wird es dafür in Tracks wie „Ariane“ oder „Verrückt nach dir“, die die Position eines übergriffigen Mannes zwar sarkastisch nachzeichnen, aber ja am Ende doch wieder die altbekannte Dominanz herstellen und den Täter ins Zentrum heben. Der Zweck heiligt die Mittel? Ich weiß ja nicht.

Call me Spielverderberin, aber Lines wie „Und er sitzt da wie Stephen Hawking“ oder ” Zeig mal dein Ausweis, gnade dir Gott wenn du Schlampe schon über 18 bist“ brauche ich gerade von able-bodied Cis-Männern einfach nicht. Egal, wie viel doppelter Boden dahintersteckt.

Aber es gibt sie eben doch, die guten Momente. Gerade dann, wenn statt Unterhaltung und Humor komplexere und überraschendere Narrative im Fokus stehen, überzeugt mich die Mischung aus Sound, Text und Dynamik. Die besten Beispiele dafür sind „Käfigbett“ und „Was würde Manny Marc tun?“.

Nein, auch nach diesem Plattenkrach sind K.I.Z keine Tomaten geworden. Immerhin erwarteten mich ein paar positive Überraschungen, die deutlich tiefer gingen als erwartet. Mit der überwiegenden Sound- und Text-Arbeit landet das Trio bei mir aber auch weiterhin im Bio-Müll – auch wenn natürlich viele Gründe dagegensprechen. Sorry, Emilia!

Mehr Plattenkrach: Hate it or love it – was für den einen ein lebensveränderndes Monumentalwerk ist, ist für die andere nur einen Stirnrunzler wert! Ein Album, zwei Autor*innen, ein Artikel, zwei Meinungen! Mehr Auseinandersetzungen findest du hier.

Mehr K.I.Z gibt es hier.

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Die Bildrechte für das Albumcover liegen bei Vertigo Berlin. 

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