Zwei Jahre lang haben alle Anwesenden auf diesen Abend gewartet. Fast zwei Jahre lang ist das Kölner Carlswerk bereits bis auf den letzten Zentimeter ausverkauft. Und nun steht Joe Talbot doch noch auf dieser Bühne und nuschelt begeistert in sein Mikrofon: „This is a Deutschland miracle!“ Momente später schwirren Flanellhemdträger, Glatzköpfe und Indie-Kids durch die hochdeckige Industriehalle, die nächsten Zeilen schon im Mund. „I’m scum“ schmettert der Chor die Schlüsselzeile aus dem ebenso betitelten Song.
Zwei Alben haben Idles seit ihrer letzten Deutschland-Tour herausgebracht. Das experimentell-tanzbare „Ultra Mono“ und das sperrige „Crawler“. Letzteres scheint der Band gerade mehr Freude zu bereiten. Sechs der 20 gespielten Songs stammen von „Crawler“, gerade einmal vier von „Ultra Mono“. Ganze sieben hingegen kommen vom Monumentalwerk „Joy As An Act Of Resistance“. Dessen Eröffnung und Abschied bilden auch nach wie vor den Rahmen eines Idles-Konzertes. Am Anfang stehen die heute unendlich langsamen und schweren Takte von „Colossus“, am Ende der lärmende Instrumentalausbruch von „Rottweiler“, die Band im Kreis arrangiert, Talbot an den Drums, die Halle zunehmend im Blitzlicht untergehend.
Manchmal meint man die Zeit sei in den drei Jahren seit der letzten Show der Band in der Stadt stehengeblieben. Talbots Fuß ruht noch immer bequem auf der Stagebox, wenn er seine Parolen in das Mikro bellt, oder aber er stampft gebeugt über die Bühne. Gitarrist Mark Bowen trägt zwar mittlerweile lieber Kleid als Boxershorts, die Ausflüge auf das Publikum aber und die Runden, die er mit seinem Instrument dreht, sind dieselben geblieben. Ähnliches gilt für seine drei Kollegen. Die Rhythmusfraktion Beavis und Devonshire unauffälliger im Hintergrund, Lee Kiernan mit seiner Gitarre in stetiger auf und ab-Bewegung, gerne auch mal in der Menge. Euphorisiert ist die Band heute, vielleicht immer noch vom Coachella-Auftritt am vorausgegangenem Wochenende. Ein Moment, der das einfängt: Als der 30-Sekunden-Punk-Center-Shock „Wizz“ durch ist, schmeißt sich Talbot in das Drumkit, die restliche Band reißt begeistert die Arme hoch. Er habe den Song das erste Mal komplett richtig gesungen erklärt der Sänger anschließend die kindliche Freude. Verwirrte Gesichter weichen verständnisvoll lächelnden.
Und doch hat die Band schon bessere Konzerte gespielt. Obwohl die sperrigsten „Crawler“-Songs ausgespart werden, fallen die Publikumsreaktionen verhaltener aus als bei den Althits. Das Set generell ist an manchen Stellen zu lang, könnte tighter sein. „Never Fight A Man With A Perm“, den an reinen Zahlen populärsten Idles-Song, etwa streckt die Band gerade vor dem letzten monumentalen Chorus mit einem zu langen Schlagzeugsolo. Talbot außerdem ist etwas heiser und auch die Musik klingt etwas rougher als sonst. Und auch die von Talbot vor der riesigen „Colossus“-Wall of Death geforderte Rücksicht scheinen einige Fans im Konzertverlauf zu vergessen.
Fernab dieser Abzüge in der B-Note ist der Abend ein Triumph für die Band. Als wenige Minuten nach Setbeginn der Bass von „Mother“ einsetzt sind die Fans gleich am Start, die repetitiven Zeilen hallen von den Lüftungsanlagen an der Hallendecke zurück. Alles macht sich bereit für den simplen zwei-Wort-Chorus. Zwei Jahre immerhin haben alle Anwesenden auf diesen Abend gewartet. Die Energie entlädt sich.
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Fotorechte: Jonas Horn.
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