Zwischen Stevie Wonder, 60s Jazz Balladen und fuzzy Bluesriffs erfindet sich der texanische Gitarrenheld Gary Clark Jr. unaufhaltsam neu
Zwischen John Mayer, Derek Trucks und Tim Henson gibt es heutzutage noch wenige moderne Gitarrenhelden. Einer meiner persönlichen Favoriten der letzten Jahre und eine riesige Inspirationsquelle war und ist die erst 40 Jahre alte Blueslegende Gary Clark Jr. Der 4-fache Grammy-Gewinner und Stoner-Dad hat sein viertes Studioalbum veröffentlicht und klingt so vielseitig wie nie zuvor.
I’ve got habits that I just can’t break
Ob Musikindustrie-Giganten wie Stevie Wonder oder George Clinton, Sängerinnen wie Valerie June oder Naala oder Jazztrompeter Keyon Karim Harrold: Gary Clark Jr. wagt sich auf neues Terrain; jenseits seiner Blues-„Guitarhero“-Karriere, allerdings ohne ihr wirklich fremd zu werden. Ein Drahtseilakt, den er in seinem neuen Album JPEG RAW virtuos zwischen unterschiedlichsten Samples, aufreibenden Beats, 60s Jazz Balladen, Konzertgitarren-Riffs sowie fuzzy E-Gitarrensolos ausbalanciert.
JPEG RAW entstand zwei Jahre nach der politischen Verunsicherung in Amerika. Zwischen der Corona-Pandemie, der Ermordung Georg Floyds, gefolgt von unzähligen Demonstrationen und dem Angriff auf die amerikanische Hauptstadt nach der Abwahl von Donald Trump, versuchte Gary Clark Jr. ein zweiteiliges Album zu schreiben. Während es im ersten Teil um die Ungewissheit und die damit einhergehende Angst und Verunsicherung eines schwarzen Vaters in einer sich rasant und unaufhörlich sich verändernden Welt geht, soll der zweite Teil des Albums ein hoffnungsvoller sowie triumphaler Ausblick sein.
Über den Titel des Albums JPEG RAW lässt sich in diesem Kontext bloß philosophieren. Ob der dem Album namensgebende Song seinen Teil hierzu beiträgt, der eine Abbreviatur für „Jealousy, Pride, Ego, Greed … Rules, Alter Ego, Worlds“ sein soll, und die mangelnde Authentizität im Social-Media-Zeitalter beklagt? Oder soll das Bildformat RAW – welches ermöglicht möglichst authentische Bilder zu produzieren – und seine komprimierte Variante JPEG – die diese riesige Bilddatei in eine auslesbare Größe zu fassen versucht – beschrieben werden? Angemerkt sei, dass RAW-Dateien inkompatibel mit vielen Bearbeitungssoftwaren sind. Wie dies wohl in die Selbstwahrnehmung eines Gary Clark Jr. passt? Oder soll doch einfach bloß der rohe Sound des Albums in Worte gefasst werden? Gerade Letzteres ist nämlich das eigentlich Grandiose an diesem Album!
Zusammen mit seinem musikalischen Team, dem Gitarristen Zapata, Bassisten Elijah Ford und Alex Peterson, Schlagzeuger JJ. Johnson und Keyboarder Jon Deas, kreiert Gary Clark Jr. ein musikalisch dichtes, aber stimmiges Album. In alter Gary-Clark-Jr.-Manier steigt das Album mit dem Song Maktub und dessen fuzzy Gitarrenriffs ein. Laut und chaotisch, zwischen backing vocals, rapähnlichen Gesängen, stimmt sich Gary Clark Jr. thematisch in sein Album ein und verhandelt das Thema „Schicksal“ (arabisch: „maktub“). Direkt gefolgt von dem Song JPEG RAW und einem Jazzpiano-Lick geht es ähnlich aufgeregt mit Rap-Passagen weiter, bloß aufgebrochen durch Jazzpiano-Zwischenspiele, Gitarrensolos und Samples von Thelonious Monk (Hackensack) und der Jackson 5 (Maria).
What About The Children? Diese Anklage, die all den „heartless people“ entgegengeworfen wird, die ihrerseits die bestehende Armut auf den Straßen abfällig ignorieren, kommt von niemand anderem als Stevie „fucking“ Wonder. Zusammen mit seiner Soulstimme und seinem Hohner Clavinet unterstützt er Gary Clark Jr.‘s, für seine Verhältnisse sanfte Gitarrentöne, in dem nach Stevie Wonder klingenden funky Soul/Blues-Song. Eine weitere Facette Gary Clark Jr.’s folgt in dem letzten Song des Albums: Habits. Seine Imitation des Country-Rock Sängers Jason Isbell wird gefolgt von seinem Versuch, Gut und Böse in seiner Person zu verhandeln. Und wer denkt, der Song ist nach dem Schlussakkord in Minute 4 zu Ende, der täuscht sich. Während das Flamenco und Boss Nova angehauchten Konzertgitarrenriff nun beginnt, gibt sich Gary Clark Jr. in alter Manier einem minutenlangen, virtuosen Gitarrensolo hin, um die insgesamt 9 Minuten des Songs zu füllen.
JPEG RAW wird mir nicht nur viele weitere Morgen versüßen, in denen ich, zum Missmut meiner Nachbar*innen, meinen Kaffee in den ersten Sonnenstrahlen mit ohrenbetäubender Musik genießen werde, sondern mich auch wieder zu meiner Gitarre – spezifisch meiner Gary Clark Jr.-styled Epiphone Casino Special – greifen lässt. Eine Hörempfehlung für jede*n!
Und so hört sich das an:
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