Dass Beth Hart eine düstere Seite in sich trägt, ist mittlerweile wohlbekannt. Einst hätte sie ihre Drogensucht fast umgebracht, immer noch sieht man die Angst und Ehrfurcht in ihren Augen, wenn sie von ihrer Vergangenheit spricht. Doch dass sich hinter dem Albumnamen You Still Got Me ein überwiegend darkes Werk verbirgt, überrascht trotzdem ein wenig.
Besonders nach dem letzten regulären Studioalbum “War In My Mind” (2019), das starke Kritiken erhielt und auch in vielen Charts recht gut performte, wäre eine wesentlich poppigere LP nicht verwunderlich gewesen. “War In My Mind” hatte einen höheren Anteil an radiotauglichen Songs, Melodien gingen etwas sanfter ins Ohr. Und wenn das gut ankommt, ist doch der nächste Schritt, genau das weiterzuverfolgen, oder?
Aber Beth Hart ist sowas von gar nicht an Konventionen interessiert. Stattdessen lässt sie erstmalig ganz easy going über fünf volle Jahre vergehen, tourt ausgiebig um die Welt und geht dazwischen mit einem reinen Led-Zeppelin-Coveralbum (2022) ein extremes Wagnis ein – was jedoch hervorragend funktioniert. Warum? Weil ganz viele es nicht können, sie aber halt schon. Schlecht für die anderen, good for her. In ihren Shows fällt man ihr eh reihenweise zu Füßen. Die Acts, die in den letzten Zeiten so abgeliefert haben wie sie, lassen sich wenn überhaupt an einer Hand abzählen.
Nächster konsequenter Schritt: Es gibt keinen. Beth macht das, was sich gerade ergibt und richtig anfühlt. Bei dem Albumtitel You Still Got Me hätte man wohl als Erstes an eine Balladensammlung gedacht, die mit Sicherheit auch viele Fans fände. Allerdings hat sich der Titeltrack mal wieder aus einer eher traurigen, stark depressiven Situation herausentwickelt. Die unbeschreiblich talentierte 52-jährige Sängerin aus LA fühlte innerlich nichts. Als ob alles in ihr gestorben wäre. Ihr langjähriger Partner Scott, mit dem sie seit Anfang der 2000er verheiratet ist, sagte zu ihr, dass selbst wenn sie denkt, nichts mehr zu haben, doch immer noch ihn hätte. Schöne, liebestrunkene Geschichte, um die sich herum dann aber eben nicht der Kitsch-Overload bildet.
You Still Got Me ist ihr elftes Studioalbum und besitzt nicht durchgehend, aber doch in großen Teilen eine beklemmende, sehr energiegeladene, wütende, leicht apokalyptische Stimmung. Beth Hart fegt wie ein Orkan durch die überwiegend Blues-Rockigen Songs, neben denen aber auch einige Überraschungen Platz nehmen. Ein verdammt starker Einstieg gelingt im Opening “Savior With A Razor”, bei dem sie Guns’n’Roses-Gitarrist Slash an ihrer Seite begrüßen darf. Der veröffentlichte selbst erst vor Kurzem eine ganze Blues-Rock-Platte, auf der Beth Hart auch einen Gastbeitrag zusteuerte – nun wird das Spiel eben umgekehrt. Nur fair. Dunkle Gitarrengewitter, ein Spannungsaufbau über mehrere Minuten, um dann im Finale furchterregend loszufauchen. Das ist eine Ansage.
Ähnlich intensiv ist übrigens der kongeniale Rauswurf “Machine Gun Vibrato”, bei dem die Ausnahmesängerin über weite Teile ins Mikro haucht und flüstert, währenddessen sich Klavier, Gitarre, Drums und Bass erst zurückhalten, um dann auch hier in den letzten 20 Sekunden wie ein freigelassener Tiger das Gesicht zu zerfetzen. Da braucht es auch keinen klar erkennbaren Refrain, wenn die Atmosphäre allein genug Mut besitzt, für sich einzustehen.
“Suga N My Bowl” ist wohl einer der Songs, wofür man Beth Hart liebt. In Zusammenarbeit mit ihrem langjährigen Musikerfreund Eric Gales an der Gitarre wird im stampfenden Rock-Gewitter mit an die Wand schleudernden Belting-Tönen voll aufgefahren. Dem entgegengesetzt steht die lupenreine Country-Nummer “Wanna Be Big Bad Johnny Cash”, die dem Repertoire der Kalifornierin eine weitere Nuance hinzufügt und äußerst retro wirkt. Am meisten überrascht aber das Dixieland-like “Never Underestimate a Gal”, das wirkt, als wäre es aus der Zeit gefallen. Vor dem inneren Auge blitzt Beth auf, wie sie dazu eine ihrer nächsten Konzerthallen betritt und unmittelbar zeigt, wer in der Manege das Sagen hat.
Große Highlights sind die verträumte Rockballade “Wonderful World”, die ganz besonders im uplifting Refrain wunderbar aufgeht. Ebenso gehört der Titelsong “You Still Got Me” mit seiner epischen Länge von sechs Minuten, Streicher- und Choreinsätzen sowie viel hörbarem Schmerz zu den hervorstechenden Nummern. Das gar sechseinhalb-minutenlange Werk “Don’t Call The Police” dreht sich um den erschütternden Fall George Floyds und zeigt sich als besonders politischer Titel.
Einzig der etwas zu berechenbare Gospel-Country-Mitklatsch-Song “Little Heartbreak Girl” verfehlt die dichte Kompositionsqualität. Im stark repetitiven Chorus werden zwar viele schöne Durchhalteparolen mitgegeben, musikalisch ist das aber doch arg unspannend. Dagegen ist das jazzigste Stück, “Drunk On Valentine”, besonders in der Produktion ein Hörerlebnis, nicht zuletzt dank der prägnanten Bläsersoli.
Wobei ganz ehrlich: Sowieso ist natürlich auch auf You Still Got Me die sehr aufwändige, ausgefeilte und handwerklich perfekte Produktion wieder eines der Merkmale, die Beth Harts neuste Arbeit ausmachen. Ihr 2024-Output ist kein einfaches Easy-Listening-Album, schon etwas weniger gefällig als gedacht, weil gar nicht so eingängig. Dafür machen die komplexen Strukturen viel Spaß beim Entschlüsseln und der kraftvolle Gesang der Meisterin sprachlos. Mal wieder. Gelungen.
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