Guildo Horn & Die Orthopädischen Strümpfe, Christuskirche Bochum, 29.11.2025

guildo horn 2025

Kennt ihr diese „Defrosting“-Videos von Mariah Carey, die jährlich am 1.11. veröffentlicht werden? Halloween ist nur wenige Stunden vorbei, schon beginnt ihre Saison. Die Zeit, in der man unbedingt „All I Want For Christmas Is You“ laut hören will, um es intensiv zu fühlen und mitzugrölen. Wir möchten bitte, dass Guildo Horn ab kommendem Jahr auch solche Videos veröffentlicht! Für uns ist er quasi unsere deutsche Mariah – denn die Vorweihnachtszeit gehört niemandem so sehr wie ihm.

Weihnachtskonzerte. Ja, die findet man zuhauf. Man wird mit Angeboten regelrecht erdrückt, was es besonders erschwert, auszuwählen, wo man denn nun am Ende am ehesten hingehen sollte. Seit 2021 sind wir Guildo-infiziert. Wir bekommen automatisch hohen Puls, wenn die Tage immer weniger werden und finally wieder die ganz besondere Weihnachtsfeier in der Christuskirche in Bochum ansteht. Dort, wo alles zusammenkommt. Wo sich Tradition, Glaube, Entertainment, Humor, Musik und ein Hauch von friedlichem Beisammensein nicht ausschließen. Gerade letztes wird im Alltag Stück für Stück spürbar rarer.

Doch am 29.12., dem Samstag vor dem ersten Advent, ist alles gut. Der ganze Ballast an Unfug, Schreckensnachrichten und psychischem Ballast bleibt vor den großen Türen. Schon von außen wird die schöne und heimelige Christuskirche in lila Tönen gehüllt und vermittelt ein Gefühl von Wärme. Seit Kriegsbeginn unterstützt sie Menschen aus der Ukraine, die auch heute wieder an dem Tresen stehen und Getränke ausgeben. An einem Stand im Eingangsbereich werden Kleinigkeiten auf Spendenbasis verkauft. Guildo Horn selbst steht schon immer für Nächstenliebe, probiert besonders Menschen mit Behinderungen mit Engagement und Präsenz zu unterstützen. Während des Konzertes nimmt er gleich mehrfach Rollstuhlfahrer*innen in den vordersten Reihen in den Arm, was wahnsinnig authentisch und wirklich null nach Imagearbeit wirkt. Gerade ist alles irgendwie gut.

Wer Teil der Weihnachten mit Guildo 2025-Tour sein möchte, muss schon dann an Weihnachten denken, wenn es sich noch so gar nicht danach anfühlt, nämlich allerspätestens im Frühjahr. Auch der Gig in Bochum ist von Jahr zu Jahr immer früher ausverkauft. Mittlerweile hat die Idee, Guildo Horns Heimatstadt Trier kurz vor Heiligabend mit einer aufwendigen, energiegeladenen Show alle in besinnliche Laune zu bringen, sämtliche jemals vorstellbaren Rahmen gesprengt. 23 Termine in 40 Tagen, nahezu alle ausverkauft. Der 62-jährige in Much – im Bergischen Land gut eine halbe Stunde von Köln entfernt – lebende Künstler braucht niemandem mehr irgendetwas zu beweisen. Er war mal skurrile Randgestalt im deutschen Schlager, dann ein fast schon absurd erfolgreicher Eurovision-Teilnehmer, zwischenzeitlich Musicaldarsteller und nerdiger Radiomoderator. Vom Insider-Act zur Kultfigur zum Weihnachtsgott. Dass so mancher immer noch die Stirn runzelt, wenn sein Name in Kombination mit Musikalität fällt – geschenkt! Wer nicht will, soll einfach zuhause bleiben und „Der Grinch“ gucken.

Es ist ganz große Kunst, dass es völlig egal ist, ob man das erste, das zweite oder das zwölfte Mal zu Weihnachten mit Guildo geht. Es ist ebenso egal, ob man sich vorab überschäumend gefreut hat oder aufgrund von privaten Turbulenzen so gar nicht in Stimmung war – nach den 135 Minuten Programm ist man beseelt, beflügelt, berauscht. Einer der seltenen Abende, an denen man sich auch mit größter Abwehrhaltung der mitreißenden Aura im Raum so gar nicht entziehen kann. Wenn locker zwei Drittel im Publikum glitzernden Haarschmuck trägt und sich mit Ugly-Christmas-Sweatern in Schale geworfen hat, wenn das übriggebliebene Drittel es schnell bereut, es nicht ebenso getan zu haben. Wenn alle nach der Hälfte schon ihre Muskeln in den Armen spüren, weil das Mitklatschen und Hände-in-die-Luft-Strecken ganz schön anstrengt, aber eben einfach Spaß macht. Wenn man alle paar Sekunden aufs Neue überlegt, woher die Hook, die das Keyboard spielt oder die Gitarre zupft, nun wieder welchem Megahit der Musikhistorie entnommen wurde. Wenn man beim ersten Besuch im völligen ADHS-Overkill nicht mehr weiß, was alles gerade auf einen einprasselt und man einfach nur mit „Wow“-Effekt nach vorne blickt. Oder wenn man sich beim wiederholten Male nicht entscheiden kann, welcher der Songs, die in den restlichen elf Kalendermonaten in der Kiste verstaut werden, einen jetzt gerade am intensivsten anzündet. Ja, dann ist alles gerade wieder richtig gut.

Zwei Stunden und 15 Minuten lang beweist Guildo Horn mit seiner fünfköpfigen, komplett herausragenden Band Die Orthopädischen Strümpfe, dass Grenzen nur im Kopf bestehen. Dass es überhaupt gar kein Problem ist, in wenigen Minuten fünf, sechs Disco-Classics der 70er in sensationeller Mashup-Manier so ineinandergreifen zu lassen, dass es wirkt, als ob die schon immer genau so zusammen gehörten. Schon Monate im Voraus trifft sich Guildo mit dem musikalischen Leiter Addi Mollig (Keyboards, Piano), um zu gucken, welche tollen Titel der letzten 60 Jahre Popgeschichte noch gut ins Œuvre passen. Ein paar wenige kommen in der Saison dazu, ein paar genauso wenige müssen dafür weichen – 2025 übrigens schweren Herzens das sehr interaktive „Der kleine Christbaum“ in Anlehnung an Europes „The Final Countdown“ -, doch so viele Coverhits sind zu ihren eigenen Klassikern geworden. Manche gar so gelungen, dass man sich, wenn mal wieder das Original irgendwo läuft, wünscht, dass es die Guildo-Version ist.

Ob „Unter dem Weihnachtsstern“ („Under The Moon Of Love“, Showaddywaddy), „Es weihnachtet sehr“ („Y.M.C.A.“, Village People), „Juppheidiheida“ („Que Sera, Sera“, Doris Day) oder „Schöne Weihnachtszeit“ („Everlasting Love“, Robert Knight) – das ist uplifting, herrlich witzig und so gekonnt im Arrangement, dass Musikkenner*innen genauso begeistert zujubeln wie die, die sich einfach nur berieseln lassen. Der Frontmann ist auch tänzerisch mittlerweile mit seiner Saxophonistin Mademoiselle Gazelle so zusammengeschmolzen, dass jeder Schritt wie ein anschmiegsamer Paarungstanz ausschaut. Dazwischen warten kitschige und campy Schnulzen darauf, den Gehörgang warm zu kuscheln. Das gelingt mit „Ich hab‘ den Weihnachtsmann so lieb“ („You Are So Beautiful“, Joe Cocker) genauso gut wie mit „Ich hab’s Christkind gestern schon geseh’n“ („Eternal Flame“, The Bangles) in stylischen Engelsflügeln, natürlich oberkörperfrei. Und bei „Mein Freund, der Tannenbaum“ („The Winner Takes It All“, ABBA) wird Guildo einfach selbst zu einem. Es ist eben alles wieder gut.

Dass manche von der sog-erzeugenden Endorphin-Schlittenfahrt noch mehr wollen, sorgt in Bochum kurz für einen kleinen Moment, in dem die Stimmung droht zu kippen. Eine große Gruppe verkleideter Tannenbäume hat es sich ebenso zur Tradition gemacht, jährlich mit dem Meister in die Ruhrstadt zu pilgern. Vor der Show stellen sie sich vor der Bühne auf und singen gemeinsam „Oh, Tannenbaum“. So weit, so schick. Wenn dann aber mitten im Konzert das Verlangen so groß wird, sich vor dem Entertainer zu positionieren, um mit ihm ein Selfie zu machen, ist das schon etwas dreist. Noch dreister wird es nur, wenn man ihn dann auch noch nach einem Gruppenfoto fragt – mitten im Konzert. Und der Gipfel ist erreicht, wenn auch das nicht genügt und man mit einem weiteren „Oh, Tannenbaum“-Chor anschließt – mitten im Konzert. Da setzt Guildo dann völlig richtig eine Grenze und verlässt die Bühne. Merkt ihr selbst, Leute, oder? Beim nächsten Mal bitte 80 Prozent weniger Egozentrismus.

Aber das ist schnell vergessen. Viel zu schön ist der Rausch an guter Laune, weil doch alles gerade wieder so gut ist. Dass es sich hier um Eskapismus handelt, weiß die Band selbst. Zu ihrem „Hey, Christkind!“ („Another Brick in the Wall“, Pink Floyd) werden erneut Fahnen hochgehalten, auf denen aktuelle politische Themen für einige Augenblicke Raum finden. Allen voran sorgen „Mehr Lametta im Stadtbild“ als auch „Drei Heilige Könige statt einem Orangen“ für riesigen Beifall. An anderer Stelle gibt es lyrisch in harschen Worten sogar die volle Breitseite für Trump und Putin. Das sind die angstmachenden Dinge, mit denen wir uns nach den 135 Minuten wieder beschäftigen müssen. Doch davor ist alles gut, denn mit „Das Christkind ist da!“ („Video Killed The Radio Star“, The Buggles) und „Der dicke Dieter“ („Chiquitita“, ABBA) und sogar einer brandneuen Fortsetzung zu dem sympathischen Maronenverkäufer auf dem Trierer Weihnachtsmarkt ist man endgültig in der Weihnachtssaison 2025 angekommen. Solang das noch so fruchtet, gibt es nichts zu beanstanden. 23x hat man gerade die Chance dazu, es für sich an- und aufzunehmen. 23x „Have yourself a merry little christmas“ in Guildo-Art, um danach mit mehr Optimismus auch anderen zu zeigen, dass alles irgendwie gut wird.

Direkt weiterlesen:
Weihnachten mit Guildo in Bochum 2021
Weihnachten mit Guildo in Bochum 2022
Weihnachten mit Guildo in Bochum 2023

Weitere Termine 2025:
04.-07.12. Gloria, Köln
11.-13.12. Theater, Hagen
14.-15.12. Garage, Saarbrücken
18.12. Stadthalle, Soest
19.12. Jovel, Münster
20.12. Mitsubishi Electric Halle, Düsseldorf
22.-23.12. Europahalle, Trier

Bisher angekündigte Termine 2026:
14.11. Harmonie, Bonn
21.11. Scala-Club, Leverkusen
26.11. Medio.Rhein.Erft, Bergheim
27.11. LCB, Wuppertal
29.11. Christuskirche, Bochum
03.-06.12. Gloria, Köln
07.12. Oper, Bonn
23.12. Europahalle, Trier

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher Filipecki

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