Seit über zwanzig Jahren macht Clueso bereits Musik und gehört schon längst zu den ganz Großen im deutschen Singer-Songwriter Genre. Acht chartplatzierte Alben, sechs 1 Live Kronen, über 25 Singles und unzählige ausverkaufte Tourneen. Ein Grund, Clueso einmal in einer neuen Runde Plattenkrach unter die Lupe zu nehmen! Während Alina die Musik des Erfurters rauf und runter hört und gar nicht mehr aus dem Schwärmen herauskommt, muss Anna sich erneut mit dem ihr sehr missliebigen Thema Deutsch Pop auseinandersetzen & wird dabei an früheren Zeiten zurückerinnert:
Alina sagt:
Wenn es einen (deutschen) Künstler gibt, der mich in meinem Leben bisher am meisten begleitet hat und mit dem ich irgendwie auch aufgewachsen bzw. erwachsen geworden bin, dann ist das definitiv Clueso! Auch wenn meiner Mama die Musik früher zunächst nicht zusagte, wurde immer die ganze Familie eingepackt und ein Clueso Konzert nach dem anderen besucht. Manchmal zwei, manchmal sogar drei im Jahr. Manchmal in Köln, manchmal aber auch im fernen Erfurt. Es gibt keinen Song von Clueso, den ich nicht kenne und wenn ich darüber nachdenke, auch nicht wirklich einen, den ich gar nicht mag. Das für mich beste Album Clueso‘s ist nach wie vor „So sehr dabei“ aus dem Jahre 2008. Warum das so ist, versuche ich im Folgenden einmal runterzubrechen.
Was viele gar nicht wissen, ist, dass Clueso eigentlich aus dem Hip-Hop Bereich kommt und erst im Laufe seiner Karriere in die Pop-Sparte wechselte. Um es genauer zu definieren, mag wohl das Vorgänger-Album von „So sehr dabei“ , „Gute Musik“, erstmalig in die Kategorie Pop einstufbar sein. Auf „So Sehr Dabei“ hingegen befindet sich nicht nur Clueso‘s bekanntester Song „Gewinner“, sondern auch die Perfektion dessen, was man gute Pop-Musik nennt. Dies beweist Clueso auf sechzehn fantastischen Songs!
Von der ersten Sekunde an merkt man, dass Clueso sich und seinen Stil auf diesem Album endlich gefunden hat. Die Songs sind absolut vielfältig, sehr kreativ und äußerst individuell. Keiner gleicht dem anderen und obwohl alles so minimalistisch wie möglich gehalten ist, macht das Gesamtwerk gehörig Eindruck. Clueso begeistert vor allem als Texteschreiber oder auch als Poet, denn er schafft es äußerst bewegende und lebensnahe Themen in ein tolles Kunstwerk zu verpacken. Auf eine sehr sensible Art und Weise teilt er seine Gedanken und Gefühle mit, gibt Denkanstöße wie bei „Gewinner“ oder ist einfach mutig wie auf „Barfuss“. Dies macht er zudem sehr tiefgründig und intensiv und hebt sich damit deutlich von dem Klischee ab. Clueso hat eine gewisse Komplexität in seinen Texten und eben nicht dreizehn aneinandergereihte Songs über die Liebe und Liebeskummer. Gerade deswegen reicht es oftmals nicht, wenn man den Song nur einmal hört – vollends entfalten tut sich jeder Song nur nach dem mehrmaligen Hören und nach dem man darüber nachgedacht hat.
Mit den Texten vereint sich auch die Instrumentewahl sehr geschickt, die sehr fein gewählt und mit viel Liebe zum Detail angepasst wird. Sehr rhythmisch und harmonisch kommt das Ganze daher und klingt oftmals berauschend schön. Des Weiteren wird den Instrumenten auch genug Freiraum geboten, was besonders schön bei Liedern, wie „Pause“ oder „So sehr dabei“ rüberkommt. Auch Clueso‘s Stimme passt nahezu perfekt zu den Instrumenten und den Lyrics. Seine Stimme zeichnet sich gerade durch einen sehr beruhigenden Faktor und einen wohlklingenden Farbklang aus. Zudem entpuppt sich Clueso als äußerst charismatisch sowie humorvoll, was vor allem beim Track „Verlierer“ perfekt genutzt wird.
„So sehr dabei“ repräsentiert ein absolutes Kunstwerk, das nur so vor Lebendigkeit und Farbenfreudigkeit strotzt. Alle Songs ergänzen sich perfekt, regen mal zum Nachdenken an, mal möchte man lachen, mal lieber weinen. Clueso erfindet sich dabei ebenfalls auf jedem Track neu, kreiert so fantastische Arrangements, füllt diese mit Leben und schafft packende Momente, die schlichter nicht sein könnten. Ausdrucksvoll ist dabei nur eines der Attribute, die man diesem Album definitiv zuschreiben darf. Gerade dies macht „So sehr dabei“ so besonders, hebt es von anderen Pop-Alben ab und ist daher das wohl beste Clueso Album aller Zeiten. Ebenso gut ist das gleichnamige Live Album, bei dem die Songs im anderen Gewand, aber mindestens genauso schön präsentiert werden. Meine Lieblingslieder dieses Albums: „Gewinner“, „Barfuss“, „Keinen Zentimeter“, „So sehr dabei“, „Mitnehm“ & „Verlierer“.
Und Annas Meinung dazu:
… Was bisher geschah: Vor wenigen Wochen erst gab es zwischen mir und Redakteurin Emilia gehörig Krach, als es um Bosses Hitalbum „Kraniche“ ging. (Den besagten Plattenkrach kannst du hier nachlesen.) Während Emilia das Album zu ihren absoluten Prachtschätzen ihrer Plattensammlung zählte, konnte ich wirklich so gar keinen Gefallen an der deutschen Indie-Pop-Platte finden. So schrieb ich damals, ohne zu wissen, was mich an dem heutigen Tag erwarten würde:
„Zugegeben: mit deutscher Singer-Songwriter Indie-Pop-Musik kann man mich, Anna, ohnehin selten fesseln. Clueso, Philipp Poisel, Joris – sie alle hören sich in meinen Ohren gleich an: Ein analoges, immanent-wehleidiges, dann wieder glückliches, aber trotzdem nach-wie-vor wehleidiges Gejammere, das sich auf einem Album über 12 Tracks streckt.“
Damit hätten wir doch einen gelungenen Einstieg in die Thematik: Ich mag Cluesos Musik also nicht und alles, was ich bislang von ihm (vor allem im Radio) gehört habe, geht mir gehörig auf den Keks. Aber bevor meine nachfolgenden Ausführungen ein bierböses Wortgefecht eröffnen, sollte eins vorweg gesagt sein: Dass ich Cluesos Musik nicht mag, heißt im Umkehrschluss jedoch nicht automatisch, dass ich den Menschen und Interpreten hinter der Musik hasse. Tu ich nicht, ganz im Gegenteil: Dass Thomas Hübner, wie Clueso mit bürgerlichem Namen heißt, ein wirklich sympathischer und netter Kerl ist, der mit Sicherheit auch etwas von Musik versteht, konnte er bereits in vielen TV-Show-Auftritten unter Beweis stellen: Gewitzt, frech und gute Laune verbreitend – Clueso ist eine ganz schön coole Socke! Nur spiegelt sich das leider in seiner Musik nicht wider …
So sehr dabei heißt nun also die Platte, um die es heute geht: Ein Werk, das der mittlerweile 38-jährige vor ganzen 10 Jahren herausgebracht hat. 2008 – das Jahr, als ich mit stolzen 16 Jahren die Blütezeit meiner Pubertät erreicht hatte. Bereits um den damaligen Veröffentlichungstermin des Albums tauschten mein Vater und ich auf dem Weg zu meinem Cello-Unterricht – oh ja, sie spielte „Cello“ #augenrollsmiley – genervte Blicke aus, wenn wir im Auto mal wieder eine motivierte Radioansage über den ach-so-grandiosen und süßen Jungen von nebenan – Clueso – hörten, der mittlerweile schon vier Singles dieses Albums herausgebracht hatte: Keinen Zentimeter, Mitnehm‘, Niemand an dich denkt und Gewinner. Allesamt natürlich typische, dreiminütige Radio-Songs.
So fühle ich mich nach wie vor in meine Jugend versetzt, wenn Clueso bei Niemand an dich denkt seinen wehleidigen, seufzenden Kummer besingt und sich in Selbstmitleid suhlt, weil gerade mal wieder niemand an ihn gedacht hat. (Schließlich müsste er ja sonst Schluckauf haben, oder?) Vor allem die konsequenten Störgeräusche im Hintergrund a la „Wiwiwiwiwawawawa“, die im Klang stark einer singenden Säge beim Erdbeben von Valdivia gleichen, lassen mich furchtbar unruhig werden, erinnern sie mich doch an ein schluchzendes, überdramatisches Baby, das sich kaum beruhigen kann, weil es im Supermarkt von der Mami eben keinen Lolli gekauft bekommen hat. Obwohl mir die musikalischen Zwischenspiel-Passagen des Liedes, die fast schon wie zarte Lounge-Musik wirken, wirklich gut gefallen, erlischt meine Freude gleich wieder, sobald Clueso versucht, seine Stimme – irgendwo zwischen Kopf- und Bruststimme – zu einem müden, wehleidigen Krächzen zu erheben. Ein Phänomen, das mir auch auf weiteren Songs wie „Geisterstadt“ oder „Augen zu“ begegnet. Solange Clueso den Mund hält, ist alles eigentlich sogar ganz schön.
Dabei ist und bleibt Cluesos wohl auffälligstes Wiedererkennungsmerkmal eben seine Stimme, die sich – neben dem knödelnden Krächzen, was durch den falschen und gepressten Gebrauch der Stimmbänder entsteht – dadurch auszeichnet, Wortendungen gekonnt und gewollt zu verschlucken. Dies zeigt sich in besonders gutem Beispiel in den Titeln Mitnehm‘ („Du hast kein Plan – und wir brauchn‘ kein“) oder „Wir wolln Sommer“. Auch bei Gewinner wird mit der lyrischen Glanz-Deklinationshook „Ich bin dabei, du bist dabei, wir sind dabei und zu verliern‘“ Cluesos Drang zum Hardcore-Genuschel mit Nonsens-Charakter deutlich und unterstreicht das immanent Melancholische, das seine Musik sowie seine Lyrik auf ganzer Ebene auszeichnet.
Womit wir auch bei einem Punkt angekommen wären, der mich bei all der deutschen Pop-Musik und auch nach wie vor beim Hören des gesamten Albums am meisten stört: Fast schon auf ganzer Linie und durchweg wird auf lyrischer Seite auf Wortfetzen zurückgegriffen, die ohne Ende wiederholt werden müssen. Einfallsreichtum? – „Niemals, niemals, niemals, niemals“ (So sein wie du). Alle Lieder sind viel mehr in altbewährter Luna Lovegood-Verträumtheit verfasst worden, animieren höchstens zum seichten Hin- und Herwippen und brechen niemals aus ihrer gedankenverlorenen, melancholischen und wehleidigen Stimmung heraus. Zudem fehlt auf dem gesamten Album ein energiegeladener Gute-Laune-Song, der einen Konzertsaal zum Ausrasten und Mithüpfen bringen und für eine erfrischende Abwechselung sorgen könnte. (Nun gut, das würde dem Melancholischen-Charakter des Albums natürlich auch widersprechen.) Lediglich der etwas dissonant-wirkende Part zum Ende von Utopie, der zwar nicht besonders peppig ist, sich dafür aber über den gesamten Song entwickelt, überrascht den Hörer: Hier werden ungewohnte Klänge angeschlagen, die aus der sonst so oft von Clueso geforderten Harmonie heraustreten: Interessant, obwohl sich mir kaum erschließt, was dieser unvorbereitete Einschub ausgerechnet hier soll.
So sehr dabei, der Song, der den Albumtitel stellt, langweilt mich auf ganzer Linie. „Ich war so sehr dabei“, der Ausruf, den Clueso vermutlich 483939x innerhalb weniger Sekunden wiederholt, wird lediglich von einer fetten, an Metallicas „Nothing Else Matters“ erinnernden E-Gitarre sowie einem E-Bass untermauert. Die beiden Instrumente bewirken wohl, dass ich nicht gleich einen dramatischen Narkolepsie-Anfall erleide.
Ich könnte im Folgenden wohl stundenlang ausholen, was mir an Cluesos Musik und insbesondere an dem vorliegenden Album von 2008 nicht gefällt: Seine Stimme, seine Melancholie, die Wiederholungen, der fehlende Pepp und Einfallsreichtum. So sehr dabei trifft einfach nicht meinen Geschmack. Die besungene Niedergeschlagenheit spiegelt sich in meinen Augen kaum in Cluesos Instrumentalmusik wider und das, obwohl man dem jungen Sänger definitiv nicht nachsagen kann, dass er keine Ahnung von musikalischer Arbeit habe. Viel eher versucht der 38-jährige, seine mir sich nicht erschließende Lyrik mit langsamem, seichten Tempo zu entschleunigen. Seis drum. Die wunderbare Alina, die ich mir lebhaft und glücklich in der ersten Reihe eines solchen Clueso-Konzerts vorstellen kann, liebt und fühlt diese Platte. Sollte Clueso eines Tages mal in den Stimmbruch gekommen sein und sein in meinen Ohren wirklich nerviges Geknödel sein lassen, werde auch ich mir vielleicht das ein oder andere Lied von ihm anhören. Bis dahin werde ich wohl weiterhin genervte Blicke mit meinem Vater austauschen, sobald ein Clueso-Song im Radio erklingt …
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