Der heutige Plattenkrach führt uns ganz tief in die musikalische Emo-Szene des Jahres 2006 zurück. Damals erschien „Dying Is Your Latest Fashion“ von Escape The Fate. Lucie schwelgt dabei in Erinnerungen an ihre Teenager Zeit. Jonas hingegen wird von dem Debut der fünf Amerikaner mehr schlecht als recht entertaint.
Lucie verbindet mit dem Album:
Jeder hat so eine Band mit der „alles anfing“, die einen dazu brachte Stunden auf Youtube zu verbringen und völlig in der Musik zu versinken. Für mich war das um 2008 rum die Band Escape The Fate. Wer als Teenager mehr oder weniger eine „Emo-Phase“ durchlebt hat, dürfte wohl in ähnlichen Erinnerungen schwelgen wie ich, wenn er/sie das erste Album „Dying Is Your Latest Fashion“ hört. Ich war damals 13/14 Jahre alt, also genau in meinen besten (oder auch schlimmsten) pubertären Jahren. Die emotionalen Songs der fünf Amerikaner brachten mich damals durch gute sowie schlechte Tage.
Es gibt traurige und von Schmerz geprägte Songs wie „Cellar Door“ und „The Day I Left The Womb“ für Tage, an denen man nicht aus dem Bett aufstehen möchte und mehrere Packungen Taschentücher verbraucht. In dem Sinne darf natürlich auch das Thema Liebeskummer und Herzschmerz nicht fehlen. Besonders „Reverse This Curse“ und „Not Good Enough For Truth In Cliche“ beinhalten diese Thematik. Zwischen all der Verzweiflung sticht der anzügliche Song „Situations“ heraus. Durch seine sexuellen Anspielungen ist er selbstverständlich sehr spannend für einen Teenager. Das Verlangen seine Grenzen auszutesten sowie am Limit zu leben (und das am besten für immer) spiegeln die Lieder „The Webs We Weave“ und „This Apocalypse“ gut wieder. Letzteres durfte auch ein/zwei Jahre später auf keiner Party im Freundeskreis fehlen. „Friends and Alibis“ erinnert daran, wie wichtig es ist wahre Freunde zu haben. So zusammengefasst scheint meine damalige Begeisterung als Teenie für Escape The Fate nur logisch.
Was mir früher schon so gut gefiel ist, wenn sich die Stimme des damaligen Sängers Ronnie Radke überschlägt und an einigen Stellen etwas heiser klingt. Tatsächlich finde ich das auch heute noch irgendwie toll. Was ich über seine Person nicht unbedingt sagen kann. Zum Glück bekam ich den ganzen Skandal und Rausschmiss damals gar nicht richtig mit und auch heute tauchen nur selten irgendwelche Twitter-Dramen in der Timeline auf. Schade, ich fand ihn damals ja doch schon ganz süß. Aber darum geht es hier glücklicherweise nicht.
Musikalisch ist das Ganze absolut zeitgemäß irgendwo bei Post-Hardcore und Emo einzuordnen. Die Instrumente sind leicht zu verfolgen, was es für mich damals einfach machte so einige Titel eigenständig auf Gitarre zu lernen. „Not Good Enough For Truth In Cliche“ war das erste Lied, das ich mir komplett selbst beigebrachte hatte und nebenher mitspielen konnte. Das war schon ziemlich cool. Auch wenn die Songs nicht sehr anspruchsvoll sind, sind sie nicht eintönig, sondern bilden ein gelungenes Gesamtpaket.
Ich kann mir schon ganz genau denken, dass Jonas das Alles etwas anders sieht. Ich bin mir ehrlich gesagt sogar sicher ihm in gewisser Weise zustimmen zu können – wäre ich objektiv. „Dying Is Your Latest Fashion“ sticht nicht besonders aus der Masse hervor und hat die Musikszene nicht revolutioniert. Dennoch gehört es zu den Emo-Klassikern und bleibt für mich eines DER Einstiegs-Alben in die weite Welt der Musik. Ich freue mich auch heute noch, wenn ein Lied im Shuffle-Modus auftaucht (und kann jedes Wort mitsingen).
Und Jonas sagt dazu:
Schaue ich mir die fünf Mitglieder von Escape The Fate aus dem Jahr 2006 an, kann ich mir fast schon vor dem inneren Ohr ausmalen, wie deren Musik wohl klingt. Die Jungs – damals wohl alle in ihren Mittzwanzigern – sind mit kajalverschmierten Augen, strähnigem ins Gesicht fallenden schwarzen Haar und Nietengürteln waschechte Emos, die auch der Loser-Rolle eines Klischee-Teenie-Film-Dramas der frühen 2000ern entsprungen sein könnten. Sind sie aber nicht, denn die fünf jungen Kerle machen Musik. Ob das gut so ist? Auch das Cover des hier behandelten Werkes – auf diesem posiert eine junge, stark geschminkten Dame mit rußgeschwärzten Wangen und Lippenpiercing – schmiegt sich dem Emo-Klischee an. Und da hat man noch nichtmal dem irrwitzigen Albumtitel Beachtung geschenkt.
Tatsächlich behandelt die Musik dann auch genau die Themen, die ich erwartet hatte: Knapp 43 Minuten lang muss ich mir von „the pills I have to take; it helps me live a lie and blinds all my mistakes“ über „I touched her ooh, she touched my ahh“ – ja, gemeint sind die weiblichen und männlichen Intimzonen – zu „I struck the glass, it shatters bones in my fist“ jeglichen frühpubertären Quatsch antun, den nahezu alle Kiddies mindestens einmal im ihren Teenager-Jahren durchmachen. Das mir das alles auf die Nerven geht, hängt dabei gar nicht mal damit zusammen, dass die Musik „emo“ und „traurig“ ist. Ich mag düstere Musik, ich mag gefühlvolle Kunst. Wenn diese aber jegliche Klischees erfüllt, scheinbar eine „To-Be-Emo-You-Have-To-…“-Liste abarbeitet und dabei noch jegliche Charakterstärke misst, dann langweilt mich das ganz schön.
Neben den so „gefühlvoll“ vorgetragenen Texten von Sänger und Skandalnudel Ronnie Radke steht die Musik, die das Quintett auf seinem Debüt im Gepäck hat. Ähnlich wie die vielen gewöhnlichen Jugend-Gefühle bietet diese auch nicht wirklich Alleinstellungsmerkmale und nährt sich vor allem von zwei Dingen: Melodramatik und Theatralik. Mal klaut die Band bei den frühen Thrice und Boysetsfire, mal greift sie tief in die Metal-Core-Kiste und mal schreibt sie ganz typische Akustik-Rock-Balladen. Was zu Beginn noch in typischer Post-Hardcore-Manier beginnt, wandelt sich in „The Guillotine“ in etwas durchweg Groteskes. Prescht der Song in den Strophen ganz getreu dem klassischen Metal-Core-Schema-F nach vorn, so schaffen die geschrieenen Vocals im melodischen Refrain Platz für Eingängigkeit, die nur wenige Shouts durchbrechen. Soweit so Metal-Core. Im abschließenden Violent-Dance-Part zwingt Radke sein Stimmorgan dann in solche Tiefen, dass man fürchtet, ihm würde jeden Moment ein frühpubertärer Ausrutscher unterlaufen und seine Stimme in die Höhe wegbrechen. Bei dem Gedanken kann mich die Musik dann tatsächlich kurz unterhalten und ich muss schmunzeln. Absurd eigentlich, dass der unumstritten schlechteste Moment der Platte derjenige ist, der mich am ehesten zu entertainen weiß.
Etwas später schmiegen sich Escape The Fate dann dem poppigen, zweistimmigen Punk von Blink-182 an. Einzig der Breakdown passt hier nicht ins Bild. Musikalisch kann man sich scheinbar auf keine Schiene einigen. Die Produktion unterstützt Musik und Texte bei ihrem Vorhaben, so viel Klischee und Charakterlosigkeit wie nur möglich in sich zu tragen. Gelegentlich sorgen Streicher und Synthesizer dafür, dass die ansonsten komplett klinisch sauberen Aufnahmen auch in der dritten Refrain-Wiederholung nicht zu dünn klingen. So schwirrt im Schlussteil von „Situations“ auf einmal ein verirrter Synth-Arpeggio durch den Mix, der so gar nicht zu dem restlichen Song passen mag. In „Celler Door“ konkurrieren dann ein elektronischer mit zerlegten Gitarren-Akkorden unterlegter Drum-Loop und ein Refrain, den man genau so bereits in unzähligen Power-Rock-Balladen gehört hat, um den langweiligsten und vorhersehbarsten Song-Part.
Weder die pathetischen Texte, noch die auf viel zu vielen verschiedenen Hochzeiten tanzende Musik und die leblose Produktion liefern Argumente, die dafür sprechen, dass Escape The Fate auf ihrem Debütalbum hörbare Kunst machen. „Dying Is Your Latest Fashion“ ist genau solche Musik, die man mit 14, den Kopf seicht in das Kopfkissen gedrückt und weinend, gehört hat und sich gefragt hat, warum man eigentlich auf dieser Welt ist. Wer da mit Anfang zwanzig noch zugreift, der tut das nicht, weil ihm oder ihr die Musik und die Gefühlslage zusagt, sondern weil die Songs an persönliche Erinnerungen geknüpft sind. Zumindest hoffe ich das irgendwie. Andere Beweggründe kann ich mir nämlich nicht im geringsten ausmalen.
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