Plattenkrach: Heisskalt – Vom Wissen Und Wollen

Heisskalt - Vom Wissen Und Wollen

Zu manchen Alben hat man eine ganz besondere Beziehung. Emilia verbindet mit dem Debütalbum der deutschen Rock-Band Heisskalt eine ganz bestimmte Phase ihres Lebens. Jonas mag das Album auch, findet aber am Nachfolger “Vom Wissen Und Wollen” mehr Gefallen. Warum erklären die beiden in unserem dieswöchigen Plattenkrach.

Jonas sieht das so:

Meine Güte, habe ich „Vom Stehen Und Fallen“ damals in mich hineingeschaufelt. Das Debütalbum der damals noch Stuttgarter Band Heisskalt hatte mich mit seinen hittigen Rock-Songs, gleichzeitig aber stets irgendwie doch anders arrangierten und unkonventionell strukturierten Stücken sehr schnell in seiner Hand. Dass mich gerade der Post-Hardcore-Einfluss des Quartettes faszinierte, würde mir erst Jahre später bewusst werden. Zu toppen war das für mich zu dem Zeitpunkt nicht. Scheinbar. Mit ihrem zweiten Album sollte die Band mich eines Besseren belehren.

„Vom Wissen Und Wollen“ erschien im Juni 2016 und gehört mittlerweile zu den drei Platten, die ich in meinen bescheidenen 22 Lebensjahren am häufigsten abgespielt habe – last.fm bestätigt das. Wo der Vorgänger die Zuhörer noch mit hymnischen Refrains und eingängigen Riff-Passagen förmlich in sein Heim zwang, so verliert das Quartett sich diesmal in sphärischen Delay-Welten, schreibt Songs, die sich bis zur Klimax immer weiter aufbäumen, und hat gleichzeitig derart lange Texte dabei, dass man gar nicht weiß wo oben und wo unten ist. Die erste Begegnung mit „Vom Wissen Und Wollen“ mag deshalb nicht so einladend ausfallen wie das erste Zusammentreffen mit dem Erstling. Dafür lässt der Nachfolger einen aber selbst nach drei Jahren noch immer nicht los. Ein Album für die Ewigkeit? Auf jeden Fall.

Vom punkigen „Euphoria“ über das elektronisch anmutende „Absorber“ mit seinem Ausbruch, der einem emotionalen Zusammenbruch gleicht, hin zum Moshpit-Kracher „Nacht Ein“  – das erste Viertel der Platte reißt mit. Der Mittelteil widmet sich im Anschluss sperrigeren Songs. „Angst Hab“ lebt von seinen Repetitionen und darf ebenfalls kurz lauter werden, „Apnoe“ lässt einen in ein Meer aus nebeligen Soundschwaden eintauchen und „Trauriger Macht“ nährt sich von seinen vielen Laut-Leise-Kontrasten. Auch das seichte „Von Allem“ und das ekstatische „Doch“ beginnen behutsam und seicht, schichten nach und nach Sound auf Sound sowie Spur auf Spur, bloß um zum Schluss all ihre Energie zu entladen.

Mit „Nichts Weh“ und „Lied Über Nichts“ wird es dann wiederum etwas eingängiger, bevor der Sturm, der mit dem Intro von „Tanz, Tanz“ losbricht, wieder all den Pop-Appeal hinwegfegt. „Papierlunge“ bereitet dem 54-minütigen Ritt anschließend ein intensives Ende. An dessen Beginn steht ein Ausschnitt aus einer Rede des einflussreichen österreichischen Psychiaters Victor Frankl, der appelliert, man müsse Menschen aus idealistischer Sicht viel besser bewerten als sie sind, um deren wahres Potential herauszukitzeln. Zum Schluss schimmert also doch kurz Hoffnung durch. Das gilt für die restliche, doch recht düstere Platte nur selten. Die Texte durchziehen Selbstzweifel und Ängste. Die Songs handeln von Hinfallen, von dem Wunsch nicht wieder aufstehen zu müssen. Sie malen nicht selten Bilder, lassen jedoch auch Platz für das Politische. Das trifft vor allem für „Lied Über Nichts“ zu, das seinem Titel überhaupt nicht gerecht wird und jegliche Negativaspekte des liberalen Kapitalismus behandelt.

Die Instrumentals haben Heisskalt bis auf wenige Ausnahmen live aufgenommen. Der Sound ist trotzdem einwandfrei, stets breit und niemals drucklos. Auch das zeigt die Klasse der Band auf. Wem das nicht genügt, der oder die sollte „Vom Wissen Und Wollen“ zwei oder drei Durchläufe geben, aus denen dann mit Sicherheit bald vier, fünf oder zehn werden. Einfach macht es einem die Platte dabei niemals. Gerade deshalb ist sie aber auch so gut.

Emilia sieht das etwas anders:

Als “Vom Stehen und Fallen” erschien war ich fast 15 – und mitten in meiner “Musik-Findungs-Phase”. Die Charts waren mir seit ein paar Jahren zu langweilig geworden und ich fing an, mich nach alternativer Musik umzuschauen. Fündig wurde ich im Deutschrap, Indie und allen möglichen anderen Genres – und eben auch bei Heisskalt. Das Album der Band hat mich sofort in seinen Bann gezogen, auch wenn ich bis zu diesem Zeitpunkt eher weniger rockigere Musik gehört habe. Texte, Musik, Atmosphäre – es hat einfach alles zusammengepasst und die Platte hat mich definitiv eine ganze Zeit lang begleitet und tut das auch immer noch. Und genau deshalb wird sie wohl auch immer mein Lieblingsalbum von Heisskalt bleiben.

Denn auch als die Euphorie schließlich etwas abflachte, verfolgte ich Heisskalt natürlich weiterhin und freute mich auch, als sie endlich ihr zweites Album ankündigten. Irgendwie kam “Vom Wissen und Wollen” für mich dann aber doch nie an das Debüt der Band heran. Das soll überhaupt nicht heißen, dass ich erstere Platte nicht mag oder schlecht finde – ganz im Gegenteil. Mit “Lied über nichts” und “Absorber” befinden sich tolle Songs auf dem Album, aber die unangefochtene Nummer 1 von Heisskalt wird für mich wohl immer “Vom Stehen und Fallen” bleiben.

Vor allem die “sperrigen” Songs die Jonas schon angesprochen hat, stören mich an diesem Album ein bisschen. Die Nummern sind nicht mehr so eingängig und der fast schon futuristische Klang ist für mich dann doch etwas gewöhnungsbedürftig. Ich kann auf jeden Fall verstehen, warum man genau diese Elemente der Platte toll findet, mich persönlich hindern sie aber eher daran, das Album mehrmals am Stück zu hören – etwas das bei der besagten Debütplatte eine Selbstverständlichkeit für mich war und ist.

Was mir höchstwahrscheinlich an “Vom Wissen und Wollen” fehlt, ist die Leichtigkeit – genau die war es nämlich, die Songs wie “Alles Gut”, “Sonne über Wien” oder “Nicht anders gewollt” für mich so besonders gemacht hat. Aber Bands entwickeln sich nun einmal weiter und damit muss und kann selbstverständlich nicht jeder immer super happy sein.

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