Wir schreiben das Jahr 2022 und nach zwei Jahren Stillstand finden die meisten deutschen Festivals erstmalig wieder statt – zumindest sofern sie ausreichend Personal auftreiben können. So auch das Highfield Festival, das seit 2010 auf einer Landzunge mitten in einem ehemalige Tagebausee nahe der Helden- und Kulturstadt Leipzig beheimatet ist. Knapp 35.000 Menschen finden sich dafür drei Tage lang vor den zwei Hauptbühnen zusammen, das Festival meldet am Veranstaltungssamstag Ausverkauf.
Knapp 20% der Campingflächen – jene, die etwas näher am Infield liegen – sind diesmal für das Grüner Wohnen reserviert, dort geht es etwas gesitteter und sauberer zu als auf den „normalen“ Zeltplätzen, durch die auch die vielen Tagesbesucher*innen schreiten müssen, um zu den Bühnen gegen Ende der Halbinsel zu gelangen. Dort angelangt jedoch begrüßen einen nicht nur Großversionen der zwei Festivalmaskottchen (süßer: das Kleine), sondern auch eine reichliche Auswahl an Nahrung: 44 Essensstände gibt es dieses Jahr, deren Auswahl von veganem Kebab über (Parmesanrad-)Pasta hin zu Klassikern wie Pommes und Burger reicht. Wer dann noch Geld über hat, kann sich für stolze 6€ (+ 2€ Pfand) noch einen halben Liter Bier leisten. Einen mobilen Supermarkt gibt es dieses Jahr leider nicht, der frühere Partner Penny hatte in der Pandemie wohl beschlossen, dass sich der Aufwand finanziell nicht lohnt und man auch anderweitig Promo machen könne. Der Ersatzkiosk bietet da immerhin gekühltes Bier zum angemessenen Preis von 2€ inklusive Pfand sowie die nötigsten Dinge und für Camper*innen gibt es ein Shuttle zu einem benachbarten Einkaufszentrum samt Supermarkt.
Es bleibt jedoch – wir sind immer noch im Pandemie- und Kriegs-Tief – nicht bei dieser leichten Hürde. Auch kurz vorm und am Festivalwochenende hagelt es Hindernisse, die Fans und Veranstalter*innen jedoch größtenteils gut wegstecken. Schon Wochen vor dem Highfield beginnt es Absagen zu nieseln, dieser Regen jedoch verdichtet sich durch gesundheitliche Spontanausfälle – Pandemie und Mental Health – je näher die Auftritte rücken. Das Highfield-Team kontert diese vor allem mit einem: Männern. Großstadtgeflüster etwa werden von der Alex Mofa Gang vertreten und auch bei den anderen Absagen (Ausnahme: die Broilers, die am Sonntag für Limp Bizkit einspringen) nutzt man nicht die Chance den mauen FLINTA-Anteil im Lineup etwas auszugleichen. Schade, kamen in den letzten Jahren doch genug aufregende Bands mit FLINTA-Beteiligung aus dem Indie-Segment auf. Immerhin: Drei von den bislang für die 2023er-Ausgabe angekündigten sieben Namen sind Frauen, in der Zukunft wird sich da also wohl etwas tun.
Doch 2023 liegt noch in der Ferne, 2022 ist jetzt. Die wenigen Ausnahmen sind etwa die Rapperinnen Nura und Juju (beide ehemals bei SXTN aktiv) oder spielen zur frühen Stund. Akne Kid Joe etwa sind am Freitag „sowas wie der Headliner auf der Green Stage nur andersherum“ und dürfen die Bühne eine halbe Stunde mit ihrem humorvollen Deutsch-Punk aus dem Coronaschlaf erwecken. Auch die nur-lieben The Screenshots aus dem Internet / Köln fungieren als eine Art Weckservice. Um elf Uhr spielen die auf der kleinen, weniger offiziellen Bühne am Seestrand. Dort lässt es sich – wenn denn das Wetter mitspielt – vor oder zwischen den Bands baden oder entspannen, abends gar feiern während am Horizont das Kohlekraftwerk Lippendorf CO2 in den Orbit spuckt. Und manchmal, da spielt dort sogar eine Band. The Screenshots jedenfalls inszenieren schon ihren Soundcheck groß, spielen Songs auf Zuruf, verkünden Vorverkaufsstände, schleudern aufblasbare Weißwürste in die Menge.
Die größte Hürde aber ist das Wetter. Von Donnerstag Abend an tröpfelt es immer wieder kontinuierlich aus den Wolken. Massig viel ist das zwar selten, in der Kontinuität dann aber doch genug, um Erdwege in Schlammflächen zu verwandeln. Allen, die an Gummistiefel gedacht haben, bereitet das wenig Probleme. Alle anderen müssen sich mit verschlammten Schuhen herumschlagen.
Mit dem Regen kämpfen müssen am Freitag dann auch Headliner Kraftklub. Es wird ein einseitiges Duell mit klarem Gewinner: Die Band mit dem K. 85 Minuten lang gehört das Festival den fünf Chemnitzern auch wenn es zum Schluss immer doller schüttet. Die Band jedenfalls lässt Fan Phil(l)ip(p) am Glücksrad „Scheißindiedisko“ erdrehen, prämiert einen neuen Song und improvisiert einen kurzen Jam aus „Fick die AfD“-Chören während vor der Bühne vor allem eines abgeht: Eine riesige Indie-Party. Sicher sollte bei Felix Brummers Ansagen auch jenes sein: Die Band hat sich Gedanken um ihre Songauswahl gemacht.
Unter Dauerbenieselung spielt tags drauf auch die Antilopen Gang, die neben Rap- und Punk-Songs einige Danger Dan (frisch erholt von seiner Coronainfektion) Pianosongs auspackt. Im Anschluss jedoch verziehen sich die nassen Wolken und schaffen Platz für viel Sonne und gelegentliches Wolkengrau. Symbolisch wendet sich das Blatt während des Auftrittes von Kraftklub-Frontmann Felix Brummer aka Kummer, der mit seinem Kummer-Kasten am Samstag Abend nach der Antilopen Gang die Blue Stage zum Überlaufen bringt. Eine Stunde lang feiern dort Fans und Artist die letzte Festival-Show des Kummer-Projektes und damit quasi dessen Abschied. Der Abschluss gelingt und es stimmt alles: Die Energie, die Ansagen, das Bühnen- und Lichtdesign – und auch die Haltung. Kummer nämlich widmet seinen # 1-Song „Alles Wird Gut“ Finn von den Giant Rooks Gitarrist, der seine mentale Gesundheit zurecht vor den Auftritt seiner Band stellte. Ähnlich subtil offen für den Umgang mit psychischen Problemen zeigen sich einen Tag später auch die Leoniden, die spontan ihren Slot mit dem der Giant Rooks tauschen und sich für ein kurzes Piano-Cover des Giant Rooks-Hits „Watershed“ Zeit nehmen.
Doch zurück zum Festivalsamstag: Das Stimmungslevel bleibt im Anschluss an den Kummer-Gig hoch. Erst reißen AnnenMayKantereit samt neuer, vorrangig aus Frauen bestehender Liveband trotz ruhiger Klänge knapp 30.000 Menschen vor der Green Stage mit, dann wollen Deichkind an selbiger Stelle „Keine Party“ und kriegen dennoch genau das. Ähnlich energetisch, dafür etwas metal-lastiger bringen tags zuvor Electric Callboy Schlagercore (der Inbegriff: Die neue Single „Hurrikan“), Retro-Outfits und Feuerfontänen auf die Green Stage. Feiern lässt es sich aber auch am Sonntag – nun knallt das gelbe Rund vom Himmel – etwa bei den bereits erwähnten Leoniden, die 60 Minuten lang ohne mit der Schulter zu zucken von Kuhglocken zu Synthesizer zu Moshpit wechseln und mit nicht enden wollenden „Leoniden“-Chören belohnt werden oder aber mit Maeckes, der mit seiner Partykirche in der frühen Messe um 13 Uhr erst das (Menschen-)Meer teilt und dann wieder eint.
Ein aktueller Trend scheint momentan zudem zu sein, lieber etwas knapper als üppiger zu planen und so zu riskieren unter der angepeilten Spielzeit zu bleiben. Casper lässt sich von einigen kleinen Texthängern nicht aus dem Konzept bringen und zerrockt am Sonntagabend mit vielen Alt-Hits sowie Songs seines aktuellen Albums „Alles War Schön Und Nichts Tat Weh“ ein allerletztes Mal die Blue Stage, verlässt aber schon nach 85 statt wie geplant nach 90 Minuten die Bühne. Deutlich mehr unterschreiten Bring Me The Horizon ihre 75 Minuten, denn Oli Sykes und Co. spazieren schon nach einer Stunde wieder in den Backstage. Generell: So richtig will der Funke nicht überspringen, auch wenn Sykes massiv an seiner Gesangsperformance gearbeitet hat und gewohnt offensiv nach Publikumsenergie dürstet. Schuldig sprechen muss sich da vor allem der Sound in den ruhigeren Momenten, der komplett an Druck missen lässt und damit Raum für massig Konversation lässt. Es bleibt einer der wenigen enttäuschenden Auftritte eines trotz kleiner Widrigkeiten beseelenden Wochenendes. Dass es hier und da noch ruckelt, das sei da verziehen, denn immerhin fehlen zwei Jahre Erfahrungswerte. Wir sehen uns sicher wieder, Highfield!
Mehr Highfield Festival gibt es hier.
Und so sah das am Highfield-Samstag aus aus:
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Fotos von Jonas Horn.
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