Ein paar Monate lang war unklar, ob man Graveyard überhaupt noch einmal auf der Bühne sehen oder gar neue Musik von ihnen zu hören bekommen würde. 2016 hatten sich die Schweden nämlich vorübergehend aufgelöst. Schon Anfang 2017 wurde dann aber die Wiederbelebung der Band verkündet. Der Neustart der aus dem Göteborger Raum stammenden Gruppe erfolgte in einer leicht veränderten Besetzung. Während Gründungsmitglied Truls Mörck einige Jahre nach seinem frühen Verlassen der Band bereits für das vierte Album „Innocence & Decadence“ (2015) zu Graveyard zurückgekehrt war und den Bassisten Rikard Edlund ersetzt hatte, trat zuletzt Schlagzeuger Oskar Bergenheim in die Fußstapfen von Axel Sjöberg, welcher zehn Jahre lang Mitglied der Band gewesen war.
Im aus allen Nähten platzenden “Luxor” spielten Graveyard am 13.10.2018 bereits ihr zweites Kölner Konzert in dieser neuen Besetzung. Ein Jahr vorher waren sie im Gebäude 9 zu sehen gewesen. Nun aber tourten sie auch mit völlig neuem Material, das auf dem 2018 veröffentlichten Album „Peace“ zu finden ist. So stammten auch gleich die ersten Songs des Abends von diesem Werk. Die Stücke wirkten sehr intensiv, besonders die Single „Please Don’t“ fegte mit ihren schonungslosen Riffs nur so durch den Club und lieferte erste Begeisterungsstürme im Publikum. Schnell spielten Graveyard aber auch einige Klassiker vom Album „Hisingen Blues“, „Uncomfortably Numb“ mit einem großartigen Gitarrensolo zum Finale sorgte für Staunen. „Buying Truth“ mit seiner mysteriösen Grundstimmung und mehrere vom Bassisten Truls gesungene Songs führten zu ausreichender Abwechslung in dem etwa einstündigen Hauptset, das trotz seiner Kürze eine unglaubliche Bandbreite an musikalischen Ideen offenbarte, stets handwerklich makellos umgesetzt durch die vier Musiker. An allen Ecken und Enden spürte man die Versiertheit dieser Band, die ihren herausragenden Ruf unter den bluesgetränkten Rockbands des letzten Jahrzehnts nicht von ungefähr hat. Gitarrist Jonatan Larocca-Ramm inspirierte durch feinste, gefühlvolle Solo-Spielereien, die immer wieder aus einem Dickicht an harten und verschrobenen Riffs herauswuchsen. Auch Sänger Joakim Nilsson mit seiner kratzig-rauen Stimme war an diesem Instrument jedoch nicht zu unterschätzen, wie er etwa bei der letzten Zugabe „The Siren“ zeigte. Ob verspielt in den Melodien, wie bei „Magnetic Shunk“, oder erbarmungslos abrockend („Ain’t Fit To Live Here“, „Goliath“): Graveyard hatten ihr Repertoire an diesem Abend im Griff und ihre Setlist gut zusammengestellt.
Köln stellte auf dieser Tournee durch einige europäische Länder den letzten Termin dar, die Maschine war gut geölt! Was klar wurde: Mit Oskar Bergenheim hat man einen völlig überzeugenden neuen Mann hinter die Drums gesetzt. Die Band als Ganzes hatte sichtlich Lust an ihrem Auftritt und glänzte durch ein astreines Zusammenspiel. Zumindest im vorderen Bereich des Clubs war der Sound auch durchaus gut, die Stimmung ebenfalls.
Vor dem Auftritt hatten sich Sänger Joakim und Gitarrist Jonatan noch Zeit für ein Interview mit minutenmusik genommen. Wir sprachen mit den beiden insbesondere über die Entwicklung von Graveyard:
minutenmusik: Mit dem Wort „Frieden“ werden verschiedene Dinge verbunden. Es gibt den Frieden als Gegenteil von Krieg, es gibt aber auch einen Frieden mit sich selbst, oder aber man lebt einfach in Frieden, ohne Sorgen und ohne Unheil. Welchen Frieden brauchten Graveyard, um neu beginnen zu können?
Jonatan: All das vielleicht! Es kommt immer darauf an, wie deine Situation ist.
Joakim: Und vielleicht etwas Erholung..
minutenmusik: Wie sieht es mit der Erholung aus, wenn man auf den harten Alltag einer Tournee blickt? Hat sich seit euren Anfängen viel daran geändert, gab es Neuerungen, die euch das Touren erleichtern?
Joakim: Ich schätze schon, ja. Heutzutage haben wir eine Crew, einen Bus. Das sind schöne Dinge, die man auf Tour haben kann. Du musst deinen Rücken und deine Arme nicht so sehr beanspruchen.
minutenmusik: Am Anfang muss man mehr selbst organisieren?
Joakim: Ja, vor allem wenn man lange Fahrten selbst bewältigen muss. Du musst die ganze Nacht fahren, bekommst keinen Schlaf. Da ist es jetzt viel besser. Du kannst im Bus reisen, schlafen gehen, wann immer du es willst.
minutenmusik: Würdet ihr sagen, dass euer neues Album insbesondere ein Ausdruck von etwas ist, nach dem ihr gesucht habt? Oder steht das Werk auch für sich selbst?
Joakim: Ich glaube, Truls, der Bassist, hat sich den Namen für das Album einfallen lassen. Ich denke, die Idee war beides. Jeder kann auf verschiedene Art und Weise einen Bezug dazu herstellen. Für uns hatte es einen Zeitraum gegeben, in dem wir innerhalb der Gruppe und mit den Dynamiken zu kämpfen hatten. Es hatte also sicher auch damit zu tun.
minutenmusik: Hattet ihr in eurer Bandgeschichte, zum Beispiel in Momenten wachsenden Erfolgs oder während des Tourens, Phasen, in denen euch das Ganze ein wenig surreal vorkam? Wie empfindet ihr es heute?
Jonatan: Es ist immer surreal, aber es ist ein Traum, an dem wir hart gearbeitet haben.
Joakim: Ja. Ich schätze, zu den offensichtlichsten surreal erscheinenden Dinge gehört es, in der größten Arena deiner Heimatstadt zu stehen und für Bands wie Iron Maiden oder Guns N’ Roses zu eröffnen. Es ist gewissermaßen surreal, aber wenn wir touren, sind wir einfach jeden Tag in einer anderen Stadt. Da denkt man nicht wirklich so viel drüber nach. Es ist aber eine irgendwie seltsame Art, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Nicht bei der Familie zu sein und solche Sachen… Ja, es ist ziemlich schräg.
minutenmusik: Fühlt sich Graveyard für euch nach der Auflösung und Neugründung jetzt wie eine völlig neue Band an oder ist es für euch in erster Linie eine Fortführung derselben Sache? Nehmt ihr jetzt manche Dinge anders wahr, als ihr es früher getan habt?
Jonatan: Beides trifft zu. Ich meine, da Oskar, der Schlagzeuger, neu ist, ist es eine andere Sache. Es ist aber auch eine Fortführung von etwas, das da schon war. Sie stießen mit einer Menge neuer Energie und erstaunlichen Ideen hinzu. Truls hat ein paar Songs für diese Platte geschrieben. Es ist sehr anders, aber es ist auch dasselbe. Das kann man schwer erklären.
minutenmusik: Es ist eine große Aufgabe, neue Bandmitglieder so zu integrieren, dass sie eigene Ideen einbringen können, und dabei das, was die Band auszeichnet, zu erhalten und weiterzuführen.
Joakim: Das Wichtigste dabei sind funktionierende Dynamiken in der Band, ein Gruppengefühl, mit dem jeder zurechtkommt. Das ist die wichtigste Sache, wie ich finde.
minutenmusik: Vielen Menschen dient Musik als Rückzugsort vor der Realität oder dem Alltag. Ihr habt fast jeden Tag mit Musik zu tun und ihr lebt von der Musik. Könnt ihr sie noch als das genießen, was sie ist? Wie oft fühlt es sich einfach nur wie ein Job an, dem ihr nachgehen müsst?
Jonatan: Für mich fühlt sich jeder Tag besonders an. Diese anderthalb Stunden zu spielen, das ist mir immer alles wert. Das Warten und das lange Reisen. Manchmal wirst du des Sounds, des Kraches, der Musik müde, also hörst du dir nicht so viel oder nicht so aktiv Musik an, wie du es sonst getan hast. Selbst wenn du versuchst, am Ball zu bleiben, dir neue Bands auch anzuhören… Es ist immer schwer, denn du steckst schon in so einer Art von Blase fest.
Joakim: Bei Live-Shows hast du manchmal diese Momente, wenn du spielst, in denen es sich wie wieder einmal dieser gleiche Gig und wie Arbeit anfühlt, aber in jedem Set bekommst du auch ein paar Mal ein wirklich intensives Gefühl. Es ist beinahe wie bei einem Drogenabhängigen, du willst diese Highs, wenn du spielst. Das passiert für gewöhnlich bei jeder Show einige Male.
Jonatan: Kleine Momente der Magie.
minutenmusik: Live-Shows sind nach wie vor sehr beliebt oder werden sogar beliebter. Auf der anderen Seite scheint bei vielen die Aufmerksamkeitsspanne kürzer zu werden, wenn sie sich mit Musik beschäftigen. Manch einer hört vorrangig Singles, nimmt sich nicht mehr die Zeit, ein vollständiges Album durchzuhören. Hört ihr euch noch oft ganze Alben an?
Joakim: Ich mache das normalerweise, ja. Ich habe keinen CD-Player und ich habe keinen Computer, der mit meinem Soundsystem verknüpft ist, also höre ich mir in der Regel ganze Platten an, wenn ich zu Hause Musik höre. Und das ist meistens der einzige Ort, wo ich mir Musik anhöre. (lacht) Bei uns ist es seit Beginn der Band irgendwie immer so gewesen, dass unsere Fans immer noch die Platten hören, denke ich. Wir sind nicht die Spotify-Band, wir sind mehr eine Plattenband.
minutenmusik: Es kommt also auf die Ausrichtung der Band an?
Joakim: Ja, ein wenig schon, denke ich. Unsere Art von Fans hört noch Platten, glaube ich.
minutenmusik: Hört ihr eure eigenen Platten und könnt ihr sie genießen?
Joakim: Die ganze Zeit! (lacht) Nein, nicht wirklich. Nur wenn man eine Stimmung oder so vergessen hat, damit man sich wieder daran erinnert. Aber das ist nicht wirklich so oft. Mein Kind liebt das neue Album jedoch sehr, also muss ich mir das oft anhören.
minutenmusik: Jeder Musiker hat ja irgendwelche Vorbilder. Habt ihr denn auf euren mittlerweile fünf Alben auch Musik kreiert, die eurer eigenen Ansicht nach mit dem Besten mithalten kann, was ihr von anderen Musikern kennt?
Jonatan: Das hoffe ich. Man macht immer die beste Musik, die man sich vorstellen kann, ansonsten wäre es nicht sinnvoll, Musik zu machen. Zur selben Zeit ist es aber nicht wirklich so, dass man sich seine eigene Musik auch anhört. Es ist mehr die Frage, wie dieses Album wohl klingen wird, wenn es rauskommt, während du es dir anhörst. Und dann vergisst man es irgendwie auch wieder. Hoffentlich können wir auf andere so wirken, dass auch sie zu einem Instrument greifen möchten.
minutenmusik: Wie ist euer Vertrauen in die Band? Welche Erwartungen für die Zukunft habt ihr nun, nachdem ihr in der neuen Konstellation und auch mit dem neuen Album seit einer Weile unterwegs seid?
Joakim: Wir machen uns nicht wirklich Pläne dieser Art. Eines nach dem andern. Wir planen jetzt Tourneen fürs nächste Jahr. Wir haben noch nicht richtig damit begonnen, darüber zu sprechen, wann oder ob wir das neue Album aufnehmen. Gerade schwimmen wir gewissermaßen mit dem Strom.
minutenmusik: Ich glaube, Truls sagte in einem anderen Interview, dass er gerne recht bald ein neues Album machen möchte.
Joakim: Ja, gewiss. Wenn man die Zeit hat.. Es ist im Moment eine Band, in der das Spielen Spaß macht. Wir hatten eine echt gute Zeit, als wir das letzte Album aufnahmen. Es war eine gute Erfahrung, absolut! Wir werden sehen, wann…
Jonatan: Es ist immer schwer, zu schreiben, wenn man auf Tour ist. Man muss es irgendwie zwischendurch machen oder es für einen kleinen Zeitraum einplanen, in dem man nicht live spielt, sich darauf fokussieren.
“Too Much Is Not Enough” aus dem 2015er Album “Innocence & Decadence”.
minutenmusik: Bringt ihr viele fertige Ideen mit ins Aufnahmestudio oder schreibt ihr das meiste vor Ort?
Joakim: Beides. Damit ein Album vollständig wird, muss man üblicherweise ein oder zwei Songs im Studio schreiben. Es ist auch nicht wirklich so oft der Fall, dass alle Songs schon fertig sind, wenn du ins Studio gehst. Die meisten Vocals entstehen im Studio.
minutenmusik: Habt ihr Hoffnungen oder Befürchtungen zur Entwicklung der Welt an sich? Glaubt ihr, dass eine Band wie Graveyard da in vielleicht zwanzig Jahren noch ihren Platz findet, insofern sie noch existiert?
Joakim: Die Welt oder die Band? (lacht)
Jonatan: (lacht) Hoffentlich! In diesen Zeiten weiß man nie, wohin es führt. Mal sehen, was passiert…
minutenmusik: Wenn ihr euch in Hinblick auf fortschreitende technische Möglichkeiten die Entwicklung eines Roboters vorstellt, der fantastische Songs schreiben und auch spielen kann, glaubt ihr dann, dass ihr diese Musik voll und ganz genießen könntet?
Joakim: Das käme mir vielleicht gruselig vor. Ich weiß nicht.
Jonatan: Ja, ich sehe irgendwie den Punkt der Musik selbst nicht. Dass sie von jemandem kommt, ist das, was ich an Musik genieße. Es sind die inneren Gedanken von jemandem oder so etwas. Das ist die Musik. Wenn eine Maschine das macht, sind das nur Töne und Noten und Beats. Das wird nicht dasselbe sein. Ich meine, manche Musik könnte so gemacht werden, wie manche Art von Tanzmusik. Es ist eine Art mechanische Sache für manche Leute, einfach zu tanzen, denke ich. Diese Musik müsste nicht so viel anderen Inhalt haben als bloß dieses Tanzding. Aber [so wäre es] nicht bei Musik zum Anhören, da wäre das eine sonderbare Sache.
minutenmusik: Eure Songs vermitteln auch Botschaften. Ihr habt über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit geschrieben. Hat ein Künstler mit großem Publikum eurer Ansicht nach eine Verpflichtung, zu wichtigen Themen Stellung zu beziehen? Oder kann er auch einfach Künstler sein?
Jonatan: Ich denke da an beides. Es ist so schwer, eine Balance zu finden, wenn Personen, die politisch richtig aktiv sind, ein Musikalbum machen, ohne dabei halt einander zu behindern… Es ist besser mit Leuten, die versuchen, eine gute oder zumindest freundliche Botschaft zu haben, verglichen mit der Botschaft, sich wie ein Arsch gegenüber anderen Menschen zu verhalten. Von solchen gibt es viele, denke ich. Jeder sollte für etwas Gutes stehen, aber ich finde nicht, dass es eine Pflicht sein sollte, das Wort zu verbreiten.
Joakim: Ich denke, dass die Leute den meisten großen Acts nicht zuhören würden, wenn sie eine politische Botschaft hätten. (lacht) Sie sind ja nicht deswegen groß, und viele Leute hören sie sich doch an. Ich denke, die Leute wollen einfach eine gute Zeit haben, wenn sie die Musik hören. Ich denke, sie wären von der Botschaft gelangweilt.
minutenmusik: Da schließen wir uns heute einmal an und freuen uns einfach auf einen Abend mit toller Musik von euch. Vielen Dank, dass ihr euch Zeit für dieses Interview genommen habt!
So hört sich einer der neuesten Songs von Graveyard an:
Die Rechte am Titelbild liegen bei Anders Bergstedt, die Rechte am Albumcover liegen bei Graveyard / Nuclear Blast.
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