Interview mit Hannah Reid von London Grammar über deren 3. Album „Californian Soil“

Interview: Wir haben Hannah Reid von London Grammar ein paar Fragen zum neuen Album "Californian Soil" gestellt und sehr persönliche Eindrücke gewonnen.

(ENGLISH VERSION BELOW) Mit ihrem Debütalbum „If You Wait“ und ganz besonders mit dem Song „Strong“ setzten sich London Grammar ein kleines Denkmal im Indie-Dream-Pop. Auch fast ein Jahrzehnt später dienen ihre fragilen und hochemotionalen Songs als Seriensoundtracks. 2021 sind sie mit ihrem 3. Werk „Californian Soil“ zurück, das kommenden Freitag erscheint und eine eindeutige Entwicklung im Sound präsentiert. Wir durften Frontfrau Hannah Reid einige Fragen stellen und konnten sehr persönliche Einblicke gewinnen.

minutenmusik: Hallo Hannah! Schön, dass ihr mit neuer Musik zurück seid – wie geht es euch aktuell? Macht euch die Pandemie emotional zu schaffen oder seid ihr eigentlich nur in Arbeiten vertieft und dadurch gut abgelenkt?

Hannah Reid: Die Pandemie hat mir auf jeden Fall zugesetzt, vor allem der gerade vergangene Januar. Das war gefühlt für jeden schwer. Aber es war erstaunlich, dass das Herausbringen unserer Musik mit einem allmählichen Lichtblick am Ende des Tunnels zusammenfällt!

minutenmusik: Ähnlich wie bei eurem letzten Album hat es nun fast 4 Jahre bis zum nächsten Longplayer gedauert. Wie habt ihr die Zeit verbracht? Wie habt ihr euch musikalisch und persönlich verändert? Immerhin habt ihr ja jetzt auch alle die böse 30 geknackt…

Hannah Reid: Ich denke, wir alle drei sind in den letzten vier Jahren erwachsen geworden und haben uns sehr verändert. Ich persönlich fühle mich selbstbewusster, jetzt wo ich in meinen Dreißigern bin. Ich habe eine Menge persönlichen Ballast abgelegt und mich auf eine gute Art und Weise verändert, denke ich. Ich scheine sogar so produktiv wie noch nie zu sein, was sehr schön ist. Musikalisch denke ich, dass wir weniger Angst vor Experimenten haben. Nach unserem ersten Album etwas folgen zu lassen, war schwer, und wir hatten die Wahl, entweder gleich zu bleiben oder zu versuchen, mutig zu sein. Ich denke, wir haben uns wirklich für die letztere Option entschieden. Das bedeutet, dass wir musikalisch den Horizont dessen, was London Grammar ist, erweitert haben.

minutenmusik: Euer neues Album heißt „Californian Soil“ und es gibt sogar einen Track mit dem Namen „America“. Zieht es euch eigentlich in die Staaten oder wie ist dieses USA-Thema entstanden?

Hannah Reid: Als ich aufwuchs, habe ich viel von der amerikanischen Kultur aufgesogen. All die großen Popstars, die Filme und Fernsehsendungen. Aber ich war nicht wirklich in Amerika, bis wir dort auf Tournee waren, als ich ungefähr 24 war. Es war auf so viele Arten magisch, an diesem Ort zu sein, den ich so sehr idealisiert hatte. Aber ich habe Dinge gesehen, die ich nie erwartet hatte zu sehen. Ich sah eine Menge Armut, die ich nicht erwartet hatte. Ich wurde darin bestätigt, dass etwas an der Oberfläche so verlockend erscheinen kann, aber darunter vielleicht nicht ganz so ist, wie es scheint. Diese Erfahrung habe ich persönlich in meinem Leben schon oft gemacht.

minutenmusik: Vieles von dem Album ist wahrscheinlich in Zeiten von Corona entstanden. War das ein Problem für euch oder wie habt ihr die Platte aufgenommen? Musstet ihr eure Arbeitsstrategien verändern?

Hannah Reid: Das Album war eigentlich schon Monate vor Covid fertig! Wir hatten gerade unser Albumcover fertiggestellt, bevor wir in den Lockdown gingen, und die Musik war schon seit Monaten fertig. Wir haben es also tatsächlich über ein Jahr lang aufgeschoben. Was aber ziemlich erstaunlich war: Weil wir es nicht veröffentlichen konnten, haben wir einfach angefangen, an Album 4 zu arbeiten.

minutenmusik: Insgesamt hat sich der Sound eurer Platte etwas verändert. Vieles ist etwas lauter, rhythmischer, elektronischer, tanzbarer geworden. Habt ihr ein wenig die Teenager-Schwermut abgelegt und seid insgesamt leichtfüßiger geworden? Woher kommen eure Inspirationen?

Hannah Reid: Ich denke, dass meine Texte auf dieser Platte immer noch eine gewisse Dunkelheit haben. Aber ich denke definitiv, dass es diese andere, weniger melancholische Seite von mir gab, die herauskommen musste. Ich glaube, das musste bei uns allen drei herauskommen. Wir wollten das, was wir tun, genießen, erhebende Momente haben, aber auch die wirklich emotionalen Momente.

minutenmusik: Wenn ihr selbst die neuen Songs ein bisschen beschreiben sollt – was ist anders als vorher, was ist gleichgeblieben und was sind eure persönlichen Lieblinge?

Hannah Reid: Ich denke, die Emotionen sind immer noch da, egal, was es ist. Aber ich denke, die Musik hat sich rhythmisch verändert. Es fühlt sich an, als ob sie in gewisser Weise mehr Leben hat. Sie ist weniger zurückhaltend und experimenteller.

minutenmusik: Als ersten Vorgeschmack gab es im August „Baby It’s You“. Warum gerade diesen Song als erste Single?

Hannah Reid: Wir hatten das Gefühl, dass „Baby it’s you“ ein sommerlicher Song ist und es war das Ende des Sommers. Offensichtlich wussten wir nicht, was mit der Pandemie auf uns zukommen würde, also dachten wir, dass wir ihn schnell rausbringen müssen.

minutenmusik: Euer Debütalbum „If You Wait“ hat sich über zwei Jahre in den britischen Albumcharts gehalten und Doppelplatin bekommen, der Nachfolger „Truth Is A Beautiful Thing“ landete auf Platz 1 in eurer Heimat. Erdrückt euch dieser Erfolg? Könnt ihr solche Zahlen überhaupt genießen oder ist es euch vielleicht komplett egal?

Hannah Reid: Der Erfolg bedrückt mich nicht. Er hat mir so viel in meinem Leben gegeben, eine Karriere und eine Möglichkeit, mich auszudrücken. Ich denke aber, dass es wichtig ist, nicht zu viel zu touren. Ich denke, dass das Touren bedrückend sein kann, weil es nicht das echte Leben ist und man gute Wurzeln und Stabilität braucht, um glücklich zu sein und weiter Musik zu machen. Wenn wir Musik machen, neigen wir dazu, alles auszublenden, damit wir uns auf nichts anderes als auf die Kreativität konzentrieren. Das ist einfacher, wenn man starke Wurzeln und gute Beziehungen hat.

minutenmusik: Jetzt kann man momentan eine Platte kaum bis gar nicht promoten. Macht euch das traurig? Verschiebt ihr die Tour einfach oder seht ihr das Album nun als alleinstehendes Produkt? Was haltet ihr alternativ von digitalen Shows?

Hannah Reid: Ich glaube nicht, dass digitale Shows jemals ersetzen können, seine Lieblingskünstler*innen live zu sehen. Deshalb war ich sehr traurig darüber, dass wir unsere Fans nicht sehen und das Album nicht promoten konnten. Aber ich denke, ich sehe es jetzt als ein eigenständiges Kapitel für uns an. Es muss herauskommen, und wir können weitermachen, und hoffentlich wird sich die Musik langsam auf ihre eigene Weise verbinden.

minutenmusik: Ihr habt einige sehr bekannte und äußerst beliebte Coverversionen aufgenommen (z.B. „Wicked Game“, „Wrecking Ball“, „Bitter Sweet Symphony“)! Wenn ihr jetzt spontan was covern müsstet, worauf hättet ihr richtig Lust? Und welche Band oder welcher Künstler sollte von euch mal was covern?

Hannah Reid: Wenn es spontan sein müsste, würde ich mich für „I Will Always Love You“ entscheiden, es ist sowohl ein Whitney Houston-Song als auch ein Dolly Parton-Song, und einer meiner Lieblingssongs aller Zeiten! Ich würde gerne sehen, wie Imogen Heap „Rooting for you“ covert, ich weiß, sie würde mich in den Schatten stellen.

minutenmusik: Zum Schluss darfst du dir noch drei Dinge wünschen: einen Wunsch für euch als Band, einen Wunsch für die Welt und einen für dich persönlich!

Hannah Reid: Als Band wünsche ich mir für uns Langlebigkeit. Ich hoffe, wir können alt und faltig sein und immer noch Musik machen. Für die Welt wünsche und hoffe ich, dass wir den Klimawandel und die Tierquälerei lösen können. Diese beiden Dinge bringen mich oft zum Weinen. Mein Wunsch für mich….. Ich würde gerne eines Tages Kinder haben.

Das neue London Grammar Album „Californian Soil“ kannst du hier (physisch) oder hier (digital) kaufen.*

Im Plattenkrach haben wir „If You Wait“ von London Grammar vor einiger Zeit ausführlich besprochen. Das gibt es hier.

Und so hört sich das an:

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English version:

minutenmusik: Hello Hannah! Glad to see you’re back with new music – how are you currently doing? Is the pandemic getting to you emotionally or are you actually just engrossed in work and thus well distracted?

Hannah Reid: The Pandemic has definitely gotten to me, especially this January just passed. That felt like it was hard for everyone. But its been amazing having music out there coinciding with a gradual ray of hope at the end of tunnel!

minutenmusik: Similar to your last album it took almost 4 years until the next longplayer. How did you spend the time? How have you changed musically and personally? After all, you have all now cracked the evil 30…

Hannah Reid: I think all three of us have grown up and changed a lot in the past four years. Personally I feel more confident now I’m in my thirties. I’ve laid a lot of personal baggage to bed and have changed in a good way I think. I seem to even be the most prolific I have ever been which has been nice. Musically I think we feel less afraid of experimentation. Our first album was difficult to follow up and we had the choice to either stay the same or try and be brave. I think we have really gone for the latter option. It means that musically I think we’ve broadened the horizons of what London Grammar is.

minutenmusik: Your new album is called „Californian Soil“ and there is even a track called „America“. Are you actually drawn to the States or how did this USA theme come about?

Hannah Reid: Growing up I absorbed a lot of American culture. All the big pop stars, the movies and TV shows. But I didn’t actually go to America until we toured there when I was about 24. It was magical in so many ways, being in this place I had idealised so much. But I saw things I never expected to see. I saw a lot of poverty that I didn’t expect. I became fixated with the idea that something can seem so enticing on the surface but underneath may not be quite as it seems. I’ve had the experience many times personally throughout my life.

minutenmusik: A lot of the album was probably made in the days of Corona. Was that a problem for you guys or how did you record? Did you have to change your working strategies?

Hannah Reid: The album was actually ready months before Covid hit! We had just finished our album cover before we went into lock down and the music had been ready for months. So we actually put it off for over a year. What was quite amazing though was because we couldn’t release it we just started working on album 4.

minutenmusik: Overall, the sound of your record has changed a bit. A lot of it has become a bit louder, more rhythmic, more electronic, more danceable. Have you shed some of the teenage melancholy and become more light-hearted overall? Where do your inspirations come from?

Hannah Reid: I think my lyrics still have a darkness to them on this record. But I definitely think there was this other less melancholic side of me that needed to come out. I think it needed to come out of all three of us maybe. We wante to enjoy what we do, have uplifting moments as well as the really emotional moments.

minutenmusik: If you have to describe the new songs a bit – what is different from before, what has stayed the same and what are your personal favorites?

Hannah Reid: I think the emotion is still there no matter what. But I think the music has changed rhythmically. It feels like it has more life to it in some ways. Its less restrained and more experimental.

minutenmusik: As a first foretaste there was „Baby It’s You“ in August. Why this song as the first single?

Hannah Reid: We felt that „Baby it’s you“ was a summery song and it was the end of summer. Obviously we didn’t know what was coming with the pandemic so we thought we had to get it out quickly.

minutenmusik: Your debut album „If You Wait“ stayed in the British album charts for more than two years and went double platinum, the follow-up „Truth is a beautiful thing“ reached number 1 in your home country. Does this success oppress you? Can you enjoy such numbers or maybe you don’t care at all?

Hannah Reid: The success doesn’t oppress me. Its given me so much in my life, a career and a way to express myself. I do think its important though to not tour too much. I think touring can be oppressive because its not real life and you need to have good roots and stability to be happy and continue making music. When making music we tend to block everything out so we don’t focus on anything other than creativity. That’s easier to do if you have strong roots and good relationships.

minutenmusik: Now you can hardly or not at all promote a record. Does that make you sad? Do you just postpone the tour or do you see the album as a stand-alone product now? What do you think about digital shows as an alternative?

Hannah Reid: I don’t think Digital shows can ever replace seeing your favourite artists live. So I have felt very sad about not being able to see our fans and promote the album. But I think I do view it as a stand alone chapter for us now. It needs to come out, and we can move on and hopefully the music will connect slowly in its own way.

minutenmusik: You have recorded some very well known and extremely popular cover versions (e.g. „Wicked Game“, „Wrecking Ball“, „Bitter Sweet Symphony“)! If you had to cover something spontaneously, what would you really like to do? And which band or artist should cover something of yours?

Hannah Reid: If it had to be spontaneous I would go with „I will always love you“, it’s both a Whitney Houston song and a Dolly Parton song, and one of my favourites of all time! I would love to see Imogen Heap cover „Rooting for you“, I know she would put me to shame.

minutenmusik: Finally, you may wish for three things: one wish for you as a band, one wish for the world and one wish for you personally!

Hannah Reid: As a band, I wish for us longevity. I hope we can be old and wrinkly and still be making music. For the world, I wish and hope we can solve climate change and cruelty to animals. Both of those things make me cry a lot. My wish for me….. I would love to have children one day.

Die Rechte fürs Bild liegen bei Alex Waespi.

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