Alcest, Kantine Köln, 10.02.2020

Alcest in der Kölner Kantine. Foto von Jonas Horn.

Farbenfrohe Blumen mag jeder: Sind einfach schön! Vielleicht kann nicht jeder mit Blumen umgehen und sie am Leben erhalten und ja, vielleicht reagiert so manch eine oder einer allergisch auf gewisse Pflanzen, aber eine Abneigung gegen die zumeist hübschen Blüten zu haben, behauptet niemand. Kein Wunder also, dass auch die ein oder andere Band farbenfrohe Bouquets als Teil ihrer Bühnendekoration verwendete: Man denke nur an Brand New oder Casey. Viel interessanter ist aber, was schicke Blumensträuße abgesehen von ihrer zufriedenstellenden Ästhetik kennzeichnet. So ergeben dort doch viele einzelne Elemente zusammen ein buntes, aber doch in Gesamtschau schönes Gesamtbild. Das, obwohl die einzelnen Stängel und Blüten vielleicht auf den ersten Blick gar nicht so gut zusammenpassen. Für so manches Band-Paket trifft das ebenfalls zu. So auch auf eines, das vor wenigen Tagen in der Kölner Kantine Halt machte: Die Blackgazer Alcest, die Screamo-Szene-Lieblinge Birds In Row und Dark-Wave-Girls Kaelan Mikla.

Die ästhetische Verzierung

Band Nummer eins stellt im Strauß wohl am ehesten die ästhetische, aber auch etwas angewelkte Verzierung dar: Kaelan Mikla stammen aus Island und hexen aus Bass, Synthies, Drumcomputer und Gesang ein düster-monotones Dark-Wave-Destillat. Die drei Protagonistinnen sind, während sie in der Musik versunken vor oder an ihren Instrumenten tänzeln und dabei an Elfen erinnern, in einen dämmrigen Schimmer gehüllt, der nur wenig Lichtblicke bietet. Das gilt auch für die Musik der Band, die Atmosphäre und Repetition vor Eingängigkeit und Melodie stellt. Frontfrau Laufey Soffía versucht sich zwischen den düsteren Stücken ein, zwei Mal an kleinen Ansagen, scheitert jedoch an dem Feedback, das die Technik immer wieder gen Zuschauer bugsiert, sobald sie in das Mikrofon zu sprechen versucht. Es zählt aber eh die Musik, die die geheimnisvolle Sängerin immer per Zauberstab startet. Die kommt bei den Kölnern überraschend gut an, obwohl das Projekt im Prinzip erstmal wenig mit dem Metal zu tun hat, den die Gastgeber Alcest spielen.

Violette Rose

Die stilistische Entfremdung sowie die positive Resonanz durchziehen auch den Auftritt der Franzosen Birds In Row. In einem prächtigen Bouquet würde der gut 45-minütige Gig der Screamo-Pioniere wohl einer violetten Rose entsprechen: Die steht ihrer Farbe wegen unter anderem für die Selbstbesinnung. Fokus auf das Selbst bieten die drei jungen Kerle reichlich. Ihre emotionstriefenden Stücke strotzen nur so von Reflexion menschlicher Beziehungen, deren Scheitern und der eigenen Persönlichkeit. Ihre Songs performen die drei Franzosen zudem mit einer solchen Intensität und Energie, man hat fast schon Angst Bassist Quentin Sauvé würde bei seinem nächsten Luftsprung nicht wieder sicher auf beiden Beinen landen, Schlagzeuger Timothee Duchesne vor dem nächsten knarzenden Ausbruch vor emotionaler Erschöpfung einfach zu spielen aufhören und Sänger Bart Hirigoyen vor reinigender Karthasis abrupt die Bühne verlassen. Nichts davon geschieht. Vielmehr spielen Birds In Row sich selbst und die nun langsam nahezu komplett gefüllte Kantine in einen nervenzerrenden Rausch. Kein Wunder also, dass man sich zum Schluss nach all dieser unangenehm ehrlichen Eigenbetrachtung kaputt fühlt.

Jadegrüne Orchidee

Die Headliner empfangen einen im Anschluss jedoch in ihre weichen Arme und betten einen in ein wohltuendes Meer aus seichten Gitarrenflächen. Kamen die Headbanger schon in den eskalativeren Parts des Birds In Row Auftrittes auf ihre Kosten, so bieten auch Alcest neben den vielen breiten Atmosphäre-Wänden genug Raum für Nacken-Training. Vor allem die Songs des aktuellen Langspielers „Spiritual Instinct“ lassen neben dem schillernden Shoegaze-Sound auch einige klassischeren Metal-Einflüsse und damit knalligere Ausbrüche ein. Neben Black-Metal ist das in „Les Jardins De Minuit“ unter anderem Thrash.

Bandleader Stéphane „Neige“ Paut bewegt sich in den gut 80 Minuten immer zwischen sympathischer Nahbarkeit und großer Stadion-Geste. So beschwören er und seine drei Kollegen gleich zu Beginn die Metal-Fäuste, fordern von den Fans wenig später erneut die Hände für Klatsch-Action und werden ansonsten von der dezent arrangierten Lichtshow so in Szene gesetzt, dass die langen Haare noch ästhetischer vor das Gesicht und über die Schultern fallen. In anderen Momenten verhält sich Neige wiederum eher als stünde er gerade vor dreißig Freunden in einem verrauchten Kellerclub. Vor allem in den langen Instrumental-Passagen sucht der Sänger immer wieder den Kontakt zu seinen Fans und blickt in zufriedene Gesichter. Auch wenn der Applaus zwischen den Liedern wieder einmal tosend laut ausfällt, nimmt man ihm die Dankbarkeit, die seine Mimik ausdrückt, zu jeder Sekunde ab. Hier ist jemand mit sich im Reinen und das transportieren sowohl Kunst als auch Auftreten.

Gerade deshalb wirkt die Alcest-Show nach den aufrüttelnden 45-Minuten Birds In Row fast schon wie die Reinigung der zuvor freigelegten Pein. Im prächtigen Blumenstrauß stände die Band deshalb wohl als eine jadegrüne Orchidee neben den anderen Blüten. Die Farbe steht repräsentativ für Zen, dem Einklang von Körper und Seele. Zum Schluss blickt man auf einen Abend zurück, der drei mitreißende Auftritte spannender Bands brachte, die verschiedener nicht hätten sein können, im ganzen aber wunderbar miteinander harmonierten. Wie ein schöner Blumenstrauß!

Karten für die weiteren Shows der Tour gibt es hier.*

Das aktuelle Alcest Album „Spiritual Instinct“ kannst du dir hier kaufen.*

Und so hört sich das an:

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Alcest live 2020:

12.02. – Leipzig, Täubchenthal
13.02. – Berlin, Heimathaften NeuKölln
14.02. – Hannover, Capitol
02.03. – Stuttgart, Im Wiezmann (Club)

Foto von Jonas Horn.

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