(Die gesamte Bildergalerie findet ihr unter dem Text!) Eine Punk-Rock-Show in einer großen Halle? Kann funktionieren, kann aber auch ordentlich in die Hose gehen. Wenn ein Künstler auch vor mehreren tausend Menschen das Ruder in die Hand nimmt und wirklich jeden mitreißt, dann Frank Turner – wer schon als Support von Green Day im legendären Wembley Stadium gespielt hat, bereits selber die Wembley Arena gefüllt und auf unzähligen Festivalbühnen aufgetreten ist, der weiß eben, wie man mit einem riesigen Publikum umgeht. Die „Be More Kind“-Welttournee zu Turners siebten Album führt den Briten nicht nur – wie der Titel der Tour vermuten lässt – einmal um die Welt, sondern auch in die größten Hallen, die der ursprüngliche Million Dead-Frontmann bislang füllen durfte. Den größten Knall hatten Booker und Band sich jedoch für den allerletzten Stopp der gut fünfwöchigen Europarundreise übrig gelassen: Die Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf, die dann letzten Endes zwar deutlich verkleinert, jedoch in der Version gut gefüllt ist und laut eigener Aussage die größte Nicht-UK-Europa-Headline-Show darstellt.
Bevor Frank Turner und seine grandiose vierköpfige Backingband The Sleeping Souls jedoch für fast zwei Stunden beweisen dürfen, dass „music with guitars“ eben noch nicht total out ist, dürfen die Kanadier von PUP im Vorprogramm dem noch etwas eingeschlafene Publikum – Bierbecher fliegen erst zum Hauptact – mit ihrer mal vertrackten, jedoch immer eingängigen Version von Punk den Kopf verdrehen. Ist der Sound zu Beginn etwas matschig, gelingt es dem Quartett nach und nach immer mehr Menschen für sich zu gewinnen. Spätestens ab dem eingängigen „Reservoir“ und den sympathischen Comedy-Einlagen von Sänger Stefan Babcock, hat die Band dann aber auch die letzten Zweifler im Bann.
Etwas weniger Punk gab es vorher von Xylaroo. Die beiden Geschwister Holly und Coco Chant spielen gute 25 Minuten düsteren Folk-Pop, der vor allem wegen seiner tollen Gesangsharmonien zu begeistern weiß. Die zurückhaltende, aber freundliche Art der beiden, die live von einem Gitarristen unterstützt werden, weiß das Publikum größtenteils zu schätzen und huldigt den Auftritt des Duos mit Applausstürmen.
Nun aber zu Frank Turner Show Nummer 2283: Hatte der Frontmann am späten Nachmittag noch einen In-Store-Gig im nahegelegenen Saturn abgesagt, weil er fürchtete seine Stimme für den letzten Tourstopp zu verlieren, merkte man davon während ebendiesem Konzertes wenig. Nur wenn Turner spricht, kann man erahnen, dass sich sein Sprach- und Singorgan nicht ganz auf der Höhe befindet. Gleich nach einigen neueren Songs, die das Set eröffnen – darunter das poppige „Blackout“ zu dem der Folk-Punker im Bühnengraben verschwindet um gemeinsam mit seinem Fans zu tanzen – macht der Entertainer klar, worum sich der Abend drehen wird: um Punk-Rock.
Dafür formuliert der Songwriter zwei Regeln, an deren Befolgung sich der Großteil der Besucher dann auch orientiert. Zum einen „Sei kein Arschloch“, zum anderen „Sing mit“. Gerade das letzte Studioalbum des Engländers versucht mit der Aufforderung zum freundlichen Umgang den politischen und gesellschaftlichen Diskurs anzuregen und dadurch den Austausch vieler heterogener Meinungen zu fördern. Dieses rücksichtsvolle Miteinander zieht sich ebenfalls durch den Abend: Immer wieder kommt Turner auf seine „fucking church“, den Punk-Rock, zurück, betont, dass man aufeinander aufpassen solle. Wenn es im riesigen Circle-Pit zu „Out Of Breath“ einige Fans zu Boden reißt, helfen ihnen flugs unzählige Hände wieder auf. Dieser Harmonie zeigt sich auch während dem mitreißenden „Brave Face“, in dem das Publikum spontan mal zu einem lauten Gospel-Chor umfunktioniert wird.
Später berichtet Frank Turner von seiner allersten Europa-Show im Kölner Underground 2009. Etwa eine halbe Stunde drauf widmet der 36-jährige dem mittlerweile dem Erdboden gleichgemachten Club im Stadtteil Ehrenfeld eine ganze Strophe der letzten Zugabe „Polaroid Picture“, während sich die Menge schunkelnd in den Armen liegt – ein emotionaler Hochpunkt. Nach dem Konzert wird die neu erlernte Punk-Rocker-Höflichkeit des Publikums bereits das erste Mal beim Kampf um die eigenen Habseligkeiten an der Garderobe auf den Prüfstand gestellt. Wieder was gelernt.
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Die Bildrechte liegen bei (c) Patrick Schulze.
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