Julien Rose Baker steht in der Kirche. Über der Schulter liegt der regenbogenfarbene Gurt ihres Instruments, über ihr dezent bunte Lichter und die kuppelförmige Decke des Saals, zu ihrer Linken und Rechten Gotteslobpreisungen. Sie tritt einige Schritte zurück, dreht der Menge den Rücken zu, Gitarre in die Luft, Haare in die Luft, Knistern in der Luft. Es sind ebenjene Rockstargesten, die vor wenigen Jahren, den Jahren vor der Pandemie, noch undenkbar erschienen. Julien Baker: Das war die schüchterne Person, die nur mit Loops, E-Piano und ihrer Stimme ganze Räume füllen konnte. Doch Zeiten ändern sich. Ein Band-Album hat die US-Amerikanerin im letzten Jahr veröffentlicht, dementsprechend tourt sie nun auch mit vierköpfiger Band durch die Welt.
Nun also Rock-Julien. Schon „Hardline“, Eröffnungsstück des aktuellen Albums und des Konzertes, lässt keine Missverständnisse entstehen: Das wird (nicht nur) besinnlich und einfühlsam, sondern auch laut. Die Gesten sind da, die Lautstärke ist da, der Druck im Sound ist da. Und dennoch: Es braucht vier Songs, bis Baker erste Worte an die brav lauschenden Fans richtet und es reicht auch da nur für ein knappes Dankeswort. Der Eindruck, dass Baker nach musikalischer Opulenz sucht jedoch, möchte nicht verfliegen. Selbst Songs ihres Zweitwerks „Turn Out The Lights“ werden in Bandbesetzung umarrangiert, die „Little Oblivions“-Stücke funktionieren in der eh, „Ringside“ bekommt gar ein Solo auf der Halb-Akustik, „Appointments“ dann gar soetwas wie einen zurückhaltenden Mitsing-Part.
Und im Verlauf des anderthalbstündigen Konzertes taut auch die Julien zwischen den Songs immer mehr auf. Sie stellt ihre Band vor – Gitarristin Mariah Schneider kommt aus Deutschland und grüßt die Familie –, streut immer mal wieder selbst deutsche Phrasen ein, deutet an „Tage Wie Diese“ von den Toten Hosen zu spielen, bloß um es dann (glücklicherweise) doch nicht zu tun. Ganz schön Rockstar, ohne die Starallüren aber. Die sympathische Art, die ist nämlich geblieben. Mal entschuldigt sie sich fürs Sprechen und Nicht-Spielen, mal muss sie darum bitten, dass ein Zuruf wiederholt wird: „Nochmal bitte“.
Zwischendurch ist dann wieder fast alles wie früher. Vier Songs spielt Baker alleine. Nur sie, die kleine Person, und Gitarre oder Piano. Der Flageolett-Loop von „Sprained Ankle“ legt sich in den Raum als wär er Zuhause, Baker singt darüber als wär es 2015, alle hören gebannt zu. Und da ist sie wieder, diese Spannung von damals, in Luft und Ton. Die Spannung ist eine andere, wenn sich Gitarre, Bass, Keyboard und Schlagzeug zum Schlussstück „Ziptie“ gen Himmelsdecke schrauben, Baker wieder mit dem Rücken zur Menge, ihr Körper im Rausch. Ein letztes Beben, Applaus, Musik vom Band, ab in die warme Frühlingsnacht. Es ist eine teils andere Julien Baker, die sich heute zeigte, sie jedoch ist nicht weniger einnehmend.
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Fotorechte: Jonas Horn.
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