Nacktheit ist seit eh und je ein erfolgreiches Mittel für Aufmerksamkeit. Das wird sich wohl nie ändern. Trotzdem benötigt sie stets ein paar neuartige Nuancen oder ein spezielles Zielpublikum, um nicht einzurosten. Das scheint auch Katja Krasavice gewusst zu haben. Die 23-jährige YouTuberin begann bereits im Alter von 17 mit dem Vloggen und veränderte schnell ihre Lifestyle-Videos in Kurzfilme, die früher als Sexy Sport Clips im TV gelaufen wären. Doch ein wenig Haut allein reicht nicht: obendrauf gibt es wilde Sexgeschichten, erotische Fantasien und Tipps zum Nachmachen.
Dieses Rezept zog vor allen Dingen ein junges Publikum an. Seit sechs Jahren ist ihr Channel gefragt. Über 1,5 Millionen Abonnenten folgen ihr und ihren naiven, expliziten Monologen und gucken sich ihren gerade ausgewachsenen und dennoch schon stark operierten Körper an. Seit Ende 2017 probiert sich Krasavice auch als Sängerin und hat in nicht mal einem Jahr drei Top-10-Singles („Doggy“, „Dicke Lippen“, „Sex Tape“) in Deutschland gelandet und mit ihrer zweiten Single in Österreich sogar die Chartspitze erklommen. Parallel gab es eine Teilnahme bei Promi Big Brother. Mitte Januar folgte nun vor zwei Monaten ihr von Fans lang erwartetes Debütalbum Bo$$ Bitch, das ebenfalls in der ersten Woche Platz 1 für sich in Anspruch nahm und aktuell durch eine erste Tour gefeiert wird.
Der dritte der insgesamt zehn Auftritte führt das exzentrische Persönchen in die Live Music Hall nach Köln. Beim Einlass gibt es Ausweiskontrollen – das Konzert ist ab 16 Jahren freigegeben. Bei der Songthematik nicht sonderlich verwunderlich. Andererseits hätte man bei einigen YouTube-Clips auch erwarten können, dass es eine nicht-jugendfreie Show werden könnte. Problematisch, wenn sich der Großteil des Zielpublikums aber eben im jugendlichen Alter befindet. Trotzdem fallen die Zuschauer optisch gar nicht so stark auf, wie zunächst zu vermuten. Viele Normalos, wenige aufreizend gekleidete Mädels, ein paar schillernde Jungs mit bauchfreiem Oberteil und tatsächlich sogar einige leicht prollige Männercliquen. Krasavice machte zum Verkaufsstart ordentlich Werbung und erwähnte, dass ihre Fans die Online-Vorverkaufsstellen lahmgelegt hätten. Das kann nun eher angezweifelt werden: die Live Music Hall ist gerade einmal halb voll und bleibt somit eindeutig unter 1000 Besuchern.
Ohne Vorband geht es um 20:09 Uhr los. Vorab macht man sich doch so einige Gedanken, was bei einer Katja Krasavice-Show wohl auf einen zukommen mag: viel Geplapper über den letzten „krassen 3er“? Heiße Stripeinlagen? Ein wenig Comedy und Selbstironie? Deutsch-Rap mit Popeinlagen?
Letzten Endes liegt der Schwerpunkt hingegen woanders: auf Bühnenelementen und Requisiten. Die gibt es doch in größerer Menge als zunächst gedacht. Einige Feuer- und Rauchwolken am Bühnenrand, eine große Leinwand mit Videoeinspielern, der Schriftzug Bo$$ Bitch in leuchtenden Farben über der Crowd, eine Konfettibombe, eine Showtreppe, Lederstühle, ein Glücksrad und weiteres. Trotz kleinerer Location gibt man sich Mühe, einige unterschiedliche Bilder zu entwerfen. Das Problem ist nur, dass die Protagonistin die vorgegebenen Möglichkeiten nicht wirklich zu nutzen weiß.
Bevor der Vorhang fällt, wird eine Rede von Katja vom Band abgespielt und auf ihm projiziert. Eine Rede, die zeigen soll, dass man immer so sein sollte, wie man ist und damit früher oder später zu Erfolg kommen wird. Man sich gegen Hater auflehnen soll, den Schmerz des Mobbens auszuhalten hat, man anziehen und sich schminken darf, was und wie man möchte. Eine im Grundsatz richtige Aussage, die jedoch mit unzähligen Rechtschreibfehlern daherkommt und irgendwie nur halbdurchdacht wirkt. Schon hier stellt man sich die Frage, ob Frau Krasavice wirklich das meint, was sie da sagt oder gelernt hat, dass man, um überzeugen zu können, konsequent zu sein hat und bloß nicht in der Meinung schwanken darf. Zwischendrin wird immer wieder der Eindruck erweckt, dass sie gar nicht die Bo$$ Bitch sein will – aber eben diese getroffene Entscheidung nun ihr Portemonnaie füllt. Point of no return.
Doch das sollte eher eine Randbemerkung bleiben. Leider entpuppt sich Katja als absolutes One-Trick-Pony. Auf YouTube und auch in ihren Musikvideos mag die Sexdoll-Optik, Naivität und Obszönität unterhaltsam und bizarr-faszinierend sein – auf Konzertlänge geht dem Ganzen aber bereits nach wenigen Minuten die Puste aus. Es ist eben ein Unterschied, ob man fünf Minuten oder 70 Minuten zu glänzen hat. Zwar gibt es zu jedem Song eine einstudierte Choreographie, die von zwei Tänzerinnen unterstützt wird und eben mehrmals kleine Dekoelemente einbaut, jedoch gleicht alles stark einer angezogenen Handbremse. Katja macht das, was ihr beigebracht wurde – nicht mehr und nicht weniger. An den passenden Stellen haut sie sich selbst auf den Arsch, an anderen reißt sie die Arme hoch. Sie läuft ständig die Treppe auf und ab, räkelt sich auf einem Stuhl und fasst sich in den Schritt. Alles jedoch so auswendig gelernt, dass es wenig authentisch und frech wirkt, sondern vielmehr nach Pflichtprogramm. Sie kommt nicht ins Schwitzen, weil alle Bewegungen sehr gedämpft durchgeführt werden. Ihre Fans scheinen wenig mitgerissen und bleiben ebenfalls fast das gesamte Konzert über auf einem Fleck stehen.
Der Gesang ist nur geringfügig zu beurteilen, da bis auf die Zugabe „Sex Tape“ alles vom Band kommt. Vollplayback. Katja scheint zwar die Texte gut gelernt zu haben und bewegt stets ihre Lippen richtig, das Mikro ist nichtsdestotrotz nicht immer da, wo es hinsoll. Wenn Backings nicht live sind, ist das in Ordnung – aber so gar nicht zu singen oder zu rappen, ist schon immer ein Stück weit frech. Allerdings wird taktisch gar nicht so schlecht gemogelt: eine Zeile singt sie bevor ein Song beginnt acappella, lässt am Ende ihre Fans einsteigen, beweist aber schon bei wenigen Worten, dass das tonal doch schnell arg daneben geht. Das Finale „Sex Tape“ hingegen ist überraschend live gesungen und völlig akzeptabel. Wer also nicht genau drauf geachtet hat, könnte im Nachhinein darüber grübeln, ob nicht vielleicht doch alles live war. So oder so darf man nun für sich entscheiden, ob man lieber leicht schiefen Livegesang oder gerade Studioversionen hätte. Die Songs selbst sind teilweise nette Ohrwürmer mit Trashcharme („Nudes“, „Casino“), teilweise aber auch einfach platt und mies („Alles bounct“, „Lolli“).
Ein Highlight für die Kartenkäufer soll ein ungefähr auf der Hälfte durchgeführtes Gewinnspiel sein. Katja holt drei Besucher auf die Bühne, die an einem Glücksrad drehen dürfen und jeweils ein Teil vom Merch gewinnen können. Untermalt wird dieses Happening von der „Jeopardy“-Melodie – wie originell. Nach dem Drehen fragt sie jeden der drei Fans, ob er bzw. sie nicht noch ein Selfie mit ihr machen will. Lustig, dass sie das Angebot macht und nicht umgekehrt. Die dritte Teilnehmerin hat nicht mal ihr Handy mit auf der Bühne. Ansonsten bleibt die Interaktion zwischen der Sängerin und ihrem Publikum bis auf ein paar „Wow, ihr seht so schön aus!“- und „Kommt, wir machen ein Video zusammen“-Einwürfe aus. Spontan und persönlich ist eben nicht.
Nach dem ersten Aufritt postete Krasavice selbst bei Instagram, dass ihre Shows neue Maßstäbe in Sachen „Deutschrap-Konzerte“ setzen. Alle, die nun folgen werden, seien ihre Nachmacher. Leider kann man das nicht anders als gnadenlose Selbstüberschätzung nennen, denn nach zehn Minuten ist eigentlich die gesamte Spannung bereits verpufft. Insgesamt trägt Krasavice drei Outfits, die zwar immer aus knappem Stoff bestehen, aber so durchaus von vielen Menschen auf Festivals im Sommer angezogen werden und sich absolut noch im Rahmen befinden. So angezogen sieht man die Frau selten. Das erste Kostüm wechselt sie nach knapp 17 Minuten und braucht dafür gute vier Minuten. In diesen vier Minuten läuft Musik und man starrt auf eine verdunkelte Bühne. Keine Video- oder Tanzüberbrückung, nichts. Ein echter Stimmungskiller, der auch nicht mehr behoben wird.
Tanzen ist eh nur, wie bereits erwähnt, mit gedrosselter Energie. Gesungen und gerappt wird defacto nicht. Die Showelemente sind mal ganz süß, aber eben eher Beiwerk, weil Katja selbst nicht zu überzeugen weiß. Bei manchen Songs hält sie Ansprachen, die einen roten Faden besitzen sollen, nämlich Arten von Typen, denen sie schon begegnet ist: dem Player, dem Vergebenen, dem Sich-Immer-Schnell-Verliebenden und, und, und. Auch das wirkt wenig zielführend und konstruiert. Viele Zuschauer beginnen irgendwann sich mit ihren Handys zu beschäftigen, tanzen wie im Club und kehren der Bühne den Rücken zu oder holen sich ein Bier an der Bar. Richtig im Konzertfeeling sind hier nur wenige. Ganz besonders nicht die Eltern von manch besonders jungen und männlichen Anhängern, die „Gib’s mir Doggy“ mitsingen. Gesichter, die Bände sprechen.
Um 21:20 Uhr endet der kurze Gig und lässt ein Gefühl zurück, als ob es eigentlich gar nicht angefangen hätte. Einmal das komplette Album mit sämtlichen Songs in Originallänge und als Extra „Doggy“ und „Sex Tape“. Ja, richtig gelesen. „Dicke Lippen“, ihr größter Hit fehlt gänzlich und völlig unerklärlich. Trotz Nr. 1-Album und Millionen von Abonnenten scheint das Interesse doch überschaubar zu sein. Wer neugierig genug war, hat nun gesehen was Katja Krasavice kann, wenn es kein Videobearbeitungsprogramm nachträglich gibt – und das ist leider nicht so viel.
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Bild von Christopher.
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