Mine, Skaters Palace Münster, 29.04.2022

Ein Novum in der Musikszene: Ein Album herausbringen, ohne es live zu spielen. Das ist für gewöhnlich kaum denkbar, ist seit geraumer Zeit doch die Haupteinnahmequelle für Künstler*innen eben nicht mehr das Herausbringen neuer Musik, sondern das Touren. Doch auch das juckte eine gewisse Corona-Pandemie bekanntlich wenig, sodass Mine zwar ihre letzte LP „Hinüber“ herausbringen und auch Promo in Interviewform betreiben konnte – die dazugehörigen Shows folgen allerdings erst jetzt. Ziemlich genau ein Jahr später.

Mine selbst erzählte in einigen ihrer aktuellen Gesprächen davon, dass es für sie ein äußerst komisches Gefühl sei, nun mit ihrem letzten Album zu touren, ist sie gedanklich doch schon längst beim nächsten, das sogar dieses Jahr noch erscheinen soll. Trotzdem mag sie die Herausforderung, die Songs wieder neu entdecken zu müssen bzw. zu dürfen und endlich auch sehen zu können, wie sie beim Publikum wirken.

Aufgeteilt in drei Legs wird „Hinüber“ nun also präsentiert. Sieben Shows im April, fünf im Juni und Juli – darunter einige Festivals – und zuletzt gleich 15 im Oktober. Für Gig sechs wird in Münster im Skaters Palace gehalten, nämlich an einem Freitagabend, dem 29.4.22. Nicht ganz ausverkauft, aber dafür gut gefüllt, tummelt sich bis zum Startschuss um 20 Uhr eine tanzwütige Meute vor der Bühne.

Wobei: 20 Uhr ist heut nicht. Erst 15 Minuten später ist die erste Sängerin zu sehen – und die ist nicht Mine, sondern Madanii. Mine hört laut eigener Aussage ihre Musik regelmäßig zum Joggen und freut sich richtig darüber, vor ihrem Konzert selbst ein eigenes Konzert sehen oder zumindest hören zu können. Supports werden häufig mit kritischem Auge betrachtet – umso unangenehmer ist die Atmosphäre, als sich herausstellt, dass es technische Probleme gibt. Zwar wird die Musik in der Halle abgestellt, aber von Madanii ist kein einziger Ton zu hören. Zehn Minuten, einige Mitarbeiter*innen und noch ein paar Absprachen später läuft’s dann aber doch rund und die junge Künstlerin, die in Bayern aufwuchs, aber persische Eltern hat, spielt 30 Minuten lang eine Kombination aus Electro-, Ambient- und Trapbeats, zu denen sie teils englische, teils persische Texte singt. Das ist erfrischend anders und äußerst basslastig, aber auch ein wenig eintönig. Geht aber wohl klar.

Glücklicherweise braucht dann der Umbau nur zwei Hand voll Minuten. Besonders im Bühnenbild können sich Mine-Konzertgänger*innen freuen, gibt es nämlich nun eins, und dazu noch ein richtig schickes. Mit großen aufgeschnittenen Vorhängen teilt sich die Bühne in drei hintereinander versetzten Ebenen auf. Der gesamte Raum wird mit permanent wechselnden Farben und Projektionen beleuchtet, was fast schon einer kleinen Kunstperformance im Museum gleichkommt. Mine ist eben etwas mehr als nur Singsang.

Und das ist das, was mit Sicherheit das stärkste Merkmal des 90-minütigen Konzerts ausmacht: Mine ist ein absolutes Allroundtalent. Als studierte Jazz-Sängerin könnte man davon ausgehen, dass sie eben einfach super gut singt und sich vollkommen auf ihre Stimme konzentriert. Die Realität sieht jedoch so aus, dass sie zusätzlich zwischen mehreren Instrumenten – darunter Keytar, Piano und Baslertrommel – hin- und herswitcht, sehr extravagant gekleidet ist, ausgelassen tanzt, wunderschöne Ansprachen hält und on top mehrfach die vier Instrumentalist*innen neben ihr dirigiert. Das mag man erstmal nachmachen.

Mine ist einfach eine so unglaublich sympathische, authentische, liebenswerte, kluge Person, dass sie die anderthalb Stunden zwar nicht im Alleingang meistert, aber es problemlos könnte. Geiler ist es dann eben, wenn zusätzlich ihre sehr diverse Band das Ganze nochmal erheblich aufwertet und zwei ihrer Leute neben ihren Instrumenten auch im Backgroundgesang tätig werden und sogar das eine oder andere Solo am Mikro bekommen. Eine wahre Freude, das freundschaftliche Zusammenspiel zu sehen, was Mine auch dahingehend unterstreicht, dass sie betont, wie lange sie von ihrer Crew schon begleitet werde.

Die 17 Songs ihrer Playlist setzen sich aus neun Titel ihres neuen Albums – lediglich „Lambadaimlimbo“ fehlt – fünf Tracks vom Vorgänger „Klebstoff“ und drei weiteren von ihrem 2016 erschienen „Das Ziel ist im Weg“ zusammen, sodass auch die, die schon länger dabei sind, ein paar Lieblinge zu hören bekommen. Die 36-jährige weiß sich zu inszenieren und legt mit einem so intensiven Opening direkt die Messlatte derartig weit nach oben, dass es, ehrlich gesagt, danach nicht mehr besser wird, aber auch kaum schlechter. Den eh schon sehr aufwühlenden „Unfall“ hat sie in der Instrumentierung minimalisiert. Das Wegfallen der Drums gibt dem Text, der ein Jahr später noch unglaubwürdiger kickt als 2021, so viel Tiefe und Druck, dass man nicht anders kann, als schweigend und gefesselt auf die Bühne zu schauen. Nominierung für einen der ganz großen Konzertmomente 2022.

Durch die tollen Lichteffekte und die wechselnden Aufgaben von Mine wird es keine Sekunde langweilig. Highlights sind das bombastische „KDMH“, bei dem der toll abgemischte Sound der Band noch toller rüberkommt. „Du kommst nicht vorbei“ hat eine fast schon beklemmende Ansprache, nämlich dass sie die Nummer für ihre verstorbene Mutter komponiert hat. Erschreckend ehrlich. „S/W“ wirkt so, als sei das Bühnenlicht nur dafür gemacht worden. Bei „Mein Herz“ schmilzt es. „Elefant“ ist ein Livesong, wie er sein muss und „Eiscreme“ eine zuckersüße Zugabe zum Mitsingen, zu der Mine sogar laut eigenen Worten erstmalig einen kleinen Fan auf die Bühne holt. Der ist mit seinen elf Jahren schon ein Profi und macht gekonnt Selfies und Videos für den anstehenden Schulmontag.

Mine ist wunderbar musikalisch und bodenständig. Mehrfach hat sie vor Rührung feuchte Augen, bedankt sich dafür, dass das Alles endlich stattfinden darf und sie es immer noch unglaublich findet, dies endgültig ihren Job nennen zu dürfen. Das wirkt im Vergleich zu vielen anderen Künstler*innen nicht auswendig gelernt, nicht drüber, sondern glaubwürdig. Manche im Publikum vermissen „Schminke“ und wünschen es sich mit Reinrufen. Mine lehnt den Songwunsch ab, da sie ja keine DJane sei. Ansonsten darf man hier aber mit einem sehr wohligen Gefühl nach Hause gehen. 90 Minuten andauernde Feel-Good-Momente, die man in 2022 auch braucht.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher.

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