Pe Werner, Stadttheater Ratingen, 16.10.2022

pe werner auf der bühne des stadttheaters ratingen

Selten war es vor den festlichen Feiertagen so eisig. Mehrere Tage schafft das Thermometer keine positive Ziffer anzuzeigen. Selbst für eine Schlenderei über den Weihnachtsmarkt ist es zu frisch und ungemütlich. Dafür haben Weihnachtsshows plötzlich endlich das Feeling, was sie benötigen. Die Atmosphäre ist bei einem gefrorenen Gehweg zum Theater einfach stimmiger als bei 14 Grad und Regen. Pe Werner kann so mit dem Vortragen ihrer Texte genau den richtigen Nerv treffen.

Im Stadttheater Ratingen wird es am 16.12., einem Freitag, ordentlich voll. Locker 90 Prozent der Plätze sind belegt, was konkret also über 500 Personen entsprechen muss. Vor fast ausverkauftem Haus zu spielen, ist für Künstler*innen heutzutage keine Selbstverständlichkeit, betont auch die 62-jährige Sängerin, die sich zum Abschied besonders dankbar zeigt. Pe Werner spielt das ganze Jahr über viel – in großen wie in kleinen Locations – und zieht mit ihren vier sehr unterschiedlichen Programmen quer durchs Land. Dabei wird sich auch in Städte verirrt, die es nicht mal in die Top 200 der größten Deutschlands schaffen, wie beispielsweise Neunkirchen, wo sie nur zwei Tage später auftritt. Ratingen hingegen belegt gegenwärtig Platz 96.

Funfacts beiseite. Viele Gäst*innen im Publikum mussten sich ein wenig gedulden, war 2020 im Dezember so gar keine Livekultur möglich und 2021 zwar manches umsetzbar, aber Ratingen Corona-bedingt betroffen. Extrarunde der Extrarunde. Doch: Es ist voll, es ist warm, es ist weihnachtlich. Vor den langen roten Vorhängen stehen drei große, funkelnde Sterne und ein riesiger Steinway-Flügel. An diesen wird sich um Punkt 20 Uhr Peter Grabinger setzen, mit dem die Wahl-Kölnerin seit über 20 Jahren zusammenspielt. Nicht ganz, aber fast genauso lange ist auch Tonmeister Pit Lenz ihr Arbeitskollege, der passenderweise noch auf der Mundharmonika musizieren kann und mit Peter und Pe im Trio gemeinsam einen fantastischen stimmlichen Dreiklang ergibt.

Pe Werner begeisterte uns bereits in Mönchengladbach und in Greven mit ihrem schlichtweg perfekten und nicht verbesserungsmöglichen Best-of-Programm „Von A nach Pe“, das auf so vielen Ebenen so stilvoll unterhält. Kleiner Spoiler an dieser Stelle: Das weihnachtliche Ne Prise Zimt kann das Niveau leider nicht ganz halten. Gut ist es aber trotzdem.

In zwei schicken Outfits erobert die großartige Sängerin und noch einen Hauch bessere Komponistin das Publikum, das zum Großteil wohl aus Menschen jenseits der 50 besteht, wie eine Zimtwolke, die ihren Weg aus der Küche in das in Kerzenlicht getauchte Wohnzimmer findet. Die Mischung aus teils lockerluftigen Swing-Momenten wie im Opening „Nikolaus“, ein wenig Bossanova mit „Gans oder gar nicht“ sowie verträumt-melancholischen Pianoballaden à la „Lass es schnei’n“ unterhält bis in die letzte Reihe im Rang eine Etage höher, wo zur ersten Verabschiedung auf Anhieb Besucher*innen von ihrem Platz aufspringen, um laut zu applaudieren. Dabei folgen sogar noch drei Zugaben.

Erst 45, dann 60 Minuten lang liefert Pe Werner auf hohem Level witzige, aber auch sehr traurige Kost. Wer sich die ganze Zeit lang fragt, wann dieses „Kribbeln im Bauch“ kommt: Gar nicht. Möchte man den nie tot zu kriegenden Deutsch-Pop-Evergreen hören – oder vielleicht auch die anderen Pe-Hits wie „Trostpflastersteine“, „Geld zurück“, „Weibsbilder“ oder „Deine Stimme“ – sollte man lieber auf die nächsten „Von A nach Pe“-Shows warten. Stattdessen wird aber das gesamte vor fast einer Dekade erschienene Ne Prise Zimt-Album gespielt, zuzüglich dem äußerst hörenswerten „Wie kommst du übern Winter?“, das man nur auf der bereits seit Jahren ausverkauften Special Edition findet. Abgerundet wird das rund aus 20 Songs bestehende Programm mit den thematisch auch zu Weihnachten passenden Fanlieblingen „Sonntagnachmittag im Park“ und „Prima essen gehen“, einem sehr unterhaltsamen Cover von Earth, Wind & Fires „September“, das in „Dezember“ umgedichtet wird, und dem Schlaflied „Der Mond ist aufgegangen“ als Auf-Dem-Weg-Mitgeber.

Musikalisch ist das alles ganz, ganz vorzüglich. Ein paar Punkte Abzug gibt es lediglich für das, was dazwischen passiert. Ne Prise Zimt versteht sich nicht nur als reines Konzert, sondern auch als Kabarettveranstaltung. Pe moderiert nahezu jeden Song an, verbindet die Texte auch wirklich gekonnt mit Anekdoten über das Zubereiten von Weihnachtsgänsen, dem Einpacken von Geschenken und vielem mehr. Allerdings ist der Humor manchmal ein wenig sehr old-fashioned. Veganer*innen blöd dastehen zu lassen, ist auch eher 2000 als 2020, Männern zu unterstellen, sie können keine Geschenke einpacken, es sei denn, sie sind schwul, ist arg Klischee, und bei anzüglichen Gags über Gänsebrüste wird’s dann doch zu frivol.

Aber das ist zum Glück nur ein kleiner Anteil, der zwar ein wenig stört, aber mit manchen außergewöhnlich intimen Momenten schnell in Vergessenheit gerät. Das bereits erwähnte „Wie kommst du übern Winter?“ führt nochmal diejenigen Mitglieder der Gesellschaft vor Augen, die an Weihnachten eher Trauer als Besinnlichkeit verspüren, der romantische Titelsong „Ne Prise Zimt“ zeigt, dass Flucht ein Problem nicht löst und es meist besser ist, wieder zusammenzufinden, „Schnee von gestern“ thematisiert die schon lang verflossene Liebe, an der man aber immer mal wieder zu knacken hat, „Ich zünd‘ die Kerzen nicht mehr an“ geht sogar einen Schritt weiter und traut sich, Einsamkeit durch den Tod der Lebenspartner*in anzusprechen. Das macht nasse Augen und nachdenklich, ist schonungslos ehrlich, aber auch deswegen sehr, sehr besonders und dieser kleine Funken bessere Musik im deutschen Einheitsbrei. Geschichtenmalerei statt oberflächlichem Gefühl Schema F.

Pe Werner ist in dem, was sie tut, einfach verdammt gut. Immer. Bei Ne Prise Zimt wird durch viel Abwechslung probiert, auch die ganz großen Weihnachtsmelancholie-Muffel*innen mit vielen Gags zu überzeugen, was aber absolut nicht nötig wäre. Die Musik allein löst zig Gefühle aus. Im Anschluss an das Konzert kann man von der Künstlerin persönlich Autogramme geben lassen und Alben kaufen. Natürlich auch die Weihnachtsplatte. Keine totgedudelten Weihnachtsmelodien, sondern genau das richtige, damit die Gans – ob Tofu oder nicht – am Samstag gelingen mag. Entweder mit den Erinnerungen an diesen Konzertabend oder mit dem dann aufgelegten Album aus dem Player.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher

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