Zu Weihnachtssongs gibt es quasi nur Extremmeinungen: Die einen lieben sie, andere hassen sie. Schuldig erklären muss sich dafür wohl der kitschige Schmand, der die meisten großen Weihnachtshits umgibt. Doch es geht auch anders, wie die gewohnt bunte Auswahl unserer Redaktion zeigt. Metalcore, düsterer Pop, Singersongwriter-Liedchen – Weihnachten kann so viel mehr sein als „Last Christmas“ oder „Oh Tannenbaum“.
August Burns Red – Carol of the Bells (#Posthardcore/Hardcore/Metalcore)
Wer auch in der Weihnachtszeit nicht auf krachende Drums und laute Gitarren verzichten will, der kann sich auf August Burns Red verlassen. Die US-amerikanische Metalcore-Band aus Pennsylvania gehört zu den bekennenden Weihnachtsfans. Deshalb hat die Band 2012 auch das Weihnachtsalbum “Sleddin’ Hill – A Holiday Album” veröffentlicht, um auch alle Metalcore-Fans so richtig in Weihnachtsstimmung zu bringen. Auf diesem Album befindet sich auch eine Cover-Version von “Carol of the Bells”. Auf die Ohren gibt es genau das, was man auch sonst von August Burns Red erwarten kann, nämlich eingängige Gitarrenriffs und Basslines sowie Matt Greiner’s schnelles Schlagzeugspiel. Weder auf Doublebass oder Breakdowns muss man hier verzichten – allerdings kommt die Coverversion gänzlich ohne Gesang aus. Das ist vielleicht auch ganz gut, so kann man den Song zumindest mal versuchen in der Weihnachtsplaylist der Eltern unterzubekommen ohne zu irritierte Blicke auf sich zu ziehen. Der beliebte Weihnachtssong stammt in seiner Ursprungsversion übrigens von dem ukrainischen Komponisten Mykola Leontovych und hat mit Weihnachten eigentlich gar nichts zu tun. (Melvin)
Esther Graf – Merry Christmas Everyone (#Pop)
Esther Graf hat den Pop-Punk-Himmel erobert und um noch einen draufzusetzen direkt auch die Weihnachtsmusik. „Merry Christmas Everyone“ ist sicherlich nichts für Fans der klassischen Besinnlichkeit, und trotzdem einer der besten Weihnachtssongs, die in den vergangenen Jahren im deutschen Raum so veröffentlicht wurden. Mit ihrer einprägsamen Stimme schafft Esther Graf ihren ganz eigenen catchy Sound, mischt weihnachtlichen Kitsch mit Pop und gibt dem Ganzen einen so hippen Unterton, dass Oma und Opa vom Stuhl fallen würden. Gut, ganz so drastisch ist es wahrscheinlich nicht, aber „Merry Christmas Everyone“ hat seinen eigenen Drive und funktioniert gerade wegen der modernen Elemente und den Weihnachts-Vibes prima. (Alina)
Girl In Red – two queens in a king sized bed (#Alternative/Indie)
Weihnachten ist das Fest der heteronormativen Liebe. Zumindest wenn man den Narrativen von so ziemlich allen Songs und Filmen dieser Saison glaubt. Umso schöner und wertvoller sind die alternativen Erzählungen – und niemand schreibt die momentan so schön wie Girl in Red. Als eine der größten Gallionsfiguren der LGBTIAQ*+-Bubble lässt sie alle queeren Herzen auch unterm Tannenbaum höherschlagen. Besonders schön in diesem romantischen Stück für den Mistelzweig mit Regenbogen-Filter. Ihr müsst euch gerade zu Weihnachten genug queerfeindlichen Bullshit reinziehen – dabei kann diese Zeit genau so uns und unseren Geschichten gehören! (Julia)
Hurts- All I Want for Christmas is New Year’s Day (#Pop)
Mit „All I Want For Christmas Is New Year’s Day“ haben Hurts wohl einen der ungewöhnlichsten Weihnachtssongs kreiert, der gleichzeitig aber auch ziemlich genial ist. Denn, nicht immer symbolisiert Weihnachten Besinnlichkeit, Geborgenheit und Familienzeit. Theo Hutchcraft und Adam Anderson vermögen es wie niemand sonst düstere Elemente in ihre Songs einzubauen und sie so einfühlsam zu vermitteln, dass man die Stimmung nahezu aufsaugt. Hurts haben diesen Song über das schlimmste Weihnachtsfest ihres Lebens geschrieben und verdeutlichen ziemlich arg, wie furchtbar das gewesen sein muss. Ein Song, der nicht gerade für die Weihnachtsfeier mit Oma und Opa geeignet ist, aber wahrscheinlich mehr Menschen anspricht, als man glauben mag. Fröhlichkeit ist hier fehl am Platz, dennoch erkennt man in dem Song trotz der negativen Assoziationen mit Weihnachten einen Funken Hoffnung – auf das kommende Jahr. (Alina)
Kylie Minogue – Santa Baby (#Pop)
2010 veröffentlichte Kylie Minogue ihr Cover von Eartha Kitt’s Santa Baby als Single. Im Internet habe ich Aufnahmen von 1999 gefunden, auf denen sie den Song während Konzerten coverte, er begleitet sie offensichtlich schon länger. Verständlich: Es ist zwar ein Weihnachtssong, aber nicht so altbacken, brav und bekannt, sondern jung, poppig, frech. “Santa” könnte im Kontext des Songs auch ein Verehrter sein, dem die Sängerin mit ironischen Zwischentönen ihre Hingabe präsentiert, geradezu zu beweisen versucht – und gleichzeitig ihre Wünsche auflistet: “Think of all the fun I’ve missed / Think of all the fella’s that I haven’t kissed / Next year I could be just as good / If you check off my Christmas list”. Wenn wir zurück an Oma und Opa denken, ist diese Lebenseinstellung wahrscheinlich nicht die, die wir mit ihnen verbinden würden, wenn ich aus meiner Gen Z Perspektive schreibe, ist es auch nicht das Wahre. Der Song ist rebellisch, ja, frech und überspitzt, aber findet sich dennoch irgendwo in der Mitte wieder. Aus heutiger Sicht wäre der Ansatz, sich für einen Mann zurückzuhalten, solange er einem alles kauft, was das Herz begehrt, schließlich auch schon wieder veraltet. (Leonie)
Mean Girls – Jingle Bell Rock (#Soundtrack/Musical)
Wir alle erinnern uns sicherlich an den legendären Zweitausender Film “Mean Girls”. Cady, von Lindsay Lohan gespielt, die so “exotisch” aufgewachsen ist, landet eines Tages in einer typischen, Amerikanischen High School und muss sich in einer der Cliquen zurecht finden ( selbstverständlich landet sie bei den “Plastics” – den blonden, schönen, oberflächlichen Mean Girls eben, wie wir es auch schon zehn Jahre vorher bei Clueless gesehen haben). Nicht gerade ein Weihnachtsfilm. Um Weihnachten rum gibt es allerdings einen Talent-Wettbewerb in der High School, an dem die “Plastics” teilnehmen, um in roten Latex-Kleidern mit weißen Plüschborten und Weihnachtsmannmützen zu Bobby Helm’s Jingle Bell Rock zu tanzen. Doch Gretchen (Lancey Chabert), eine der vier Mädchen, stößt gegen den CD-Player und die Aufnahme beginnt zu stottern. Um die Aufführung zu retten, beginnt Cady das übrige Lied anzustimmen, am Ende singt die ganze Aula mit. Es gibt Jubel, und vielleicht kommt irgendwo her doch noch ein bisschen Weihnachtsfeeling auf. Als ich den Film, vielleicht mit elf oder zwölf, zum ersten Mal gesehen habe, fand ich’s auf jeden Fall irre komisch. (Leonie)
Phoebe Bridgers – If We Make It Through December (#Alternative/Indie / #Singer/Songwriter)
Wie viele andere Songs dieser Liste, ist auch dieser ein Cover. Jedoch ein Cover eines wahren Deepcuts. „If We Make It Through December“ nämlich wurde in den 1970ern von der Country-Legende Merle Haggard geschrieben, gehört aber wahrlich nicht zu den größten Hits des erst 2016 verstorbenen US-Amerikaners. Phoebe Bridgers pickte ihn trotzdem. Kurz vor Weihnachten veröffentlicht Bridgers traditionell ein Cover eines Weihnachtsliedes. Die Erlöse spendet sie an eine NGO ihrer Wahl. 2020 war das Haggards nicht wirklich weihnachtsfreudiges Stück Musik, das sie kurzum in eine düster-melancholische Klavierballade verwandelte. Und ganz so lange dauert der Monat ja nicht mehr an, wenn Weihnachten vor der Tür steht. Haggard und Bridgers wären sich wohl einig: Zum Glück. (Jonas)
Sido – Weihnachtssong (#Rap/Hip-Hop)
Es ist der Weihnachtsklassiker des Deutschen Raps schlechthin: Sidos Weihnachtssong. Während Sido (eigentlich Paul Würdig) erst vor kurzem bekanntgab, er habe im vergangenen Jahr einen Drogenentzug mit Psychiatrieaufenthalt hinter sich bringen müssen, so rieselte es im Jahr 2003 noch weitaus besinnlicher Schnee … Nunja. Also, fast. Aber fangen wir von vorne an! Denn im Dezember 2003 wurde der berühmt-berüchtigte „WeihnachtsSong“ auf dem „Aggro Berlin“-Labelsampler „Aggro Ansage Nr. 3“ veröffentlicht. Kaum zu glauben, sollte ausgerechnet dieser Song doch die allererste Singleveröffentlichung des Rüpelrappers werden und den Weg seiner durchaus imposanten Karriere ebnen. Noch vor der Single-Veröffentlichung von „Mein Block“, die ein halbes Jahr später auf seinem Debütalbum „Maske“ erscheinen sollte, schlüpft Sido in den roten Weihnachtsmantel und verteilte Geschenke – allerdings ganz nach seinem Stil. Der Track, der im Ursprung mal als Anti-Weihnachtssong gedacht war, wurde von dem damals noch 23-Jährigen auf einen Beat der „Beathovens“ geschrieben, der wiederum den Weihnachtsklassiker „Jingle Bells“ zum Ursprung hat. Sido, der hier mit einer gesanglichen Meisterleistung (*Ironie off*) glänzt, trug damals noch seine goldene Maske – das markante Markenzeichen des Rappers. Damit der Song auch reichlich Geld in die Kassen von „Aggro Berlin“ einspielt, wurde der „WeihnachtsSong“ von 2006 bis 2008 übrigens jedes Jahr zur Weihnachtszeit neu als Single veröffentlicht. Eine leise Hommage an Wham! und ihren Hit-Klassiker „Last Christmas“, mit dem sich die ehemalige britische Popgruppe jedes Jahr eine goldene Nase verdient. Das lässt auch bei Sido die Kassen klingeln – und Oma und Opa die Hände über dem Kopf zusammenschlagen! (Anna)
Slavik – Weihnachten in meinem Viertel (#Rap/Hip-Hop)
Er ist ein waschechtes Multi-Talent: Schauspieler, Comedian – und seit 2019 kann er sogar noch die Berufsbezeichnung Rapper in seinem Lebenslauf aufführen: Die Rede ist – na klar – von Slavik! Kaum ein ehemaliger KiKA-Star (nunja, außer vielleicht Nina Chuba) hat es geschafft, sich Deutschlandweit einen Namen zu machen. Und das sogar vor Knossi und Kai Pflaume *zwinker, zwinker*, die der mittlerweile 32-Jährige mit einem Gastauftritt in „Weihnachten in meinem Viertel“ ehrt. Slavik (gelegentlich auch Slavik Junge genannt, wenn er beispielsweise als Testimonial für die Bundesagentur für Arbeit Jobs austestet), hat das Wort „Blyat“ revolutioniert – und sich für seinen im November 2020-veröffentlichten Weihnachts-Song sogar richtig in Schale geschmissen. In „Weihnachten in meinem Viertel“, das von niemand geringerem als dem Duo VIZE produziert wurde, schlüpft Slavik in die Rolle des Weihnachtsmanns. Doch – wer eine Erzählung über die besinnliche Weihnachtszeit erwartet, irrt. Viel eher wirft der Song ein Auge auf die Weihnachtsfeierlichkeiten eines Plattenbaus in Berlin-Marzahn, die nicht ganz so harmonisch und besinnlich zelebriert zu scheinen werden. Obwohl – leuchtend-schimmernde Glitzer-Effekte durch Krankenwagen-Lichter, die anmutig im Schnee schimmern … Hat doch eigentlich was! Aber wisst ihr was? Schaltet Omas und Opas Hörgerät aus und hört selbst. (Anna)
Webcam Julia – Ring My Bells (#???)
Sexy Christmas? Warum ist darauf zuvor niemand anderes gekommen? Dieses provokante Spiel voller purer Blasphemie wurde geschickt von der damals 21-jährigen Künstlerin Webcam Julia eingesetzt, um damit ein paar Euros zu verdienen. Dabei ist ihr unheiliger Song „Ring My Bells“ nicht mal ihre erste Single. Bereits einige Monate vorher wurde die eher wenig begabte Sängerin mit ihrem ersten Song „Private Act“ 2008 zum Internet-Hit. In ihren Musikvideos räkelt sich die junge Frau in sehr freizügigen Outfits auf ihrer heimeligen Couch – das war’s. Heute machen es unzählige bei Onlyfans nach, ganz ohne zu schockieren. Der Erfolg war zwar nur von kurzer Dauer, den Clip gibt es hingegen immer noch auf YouTube und den ohrwurmlastigen, besinnlichen Trash-Titel mit viel Doppeldeutigkeit ebenso. (Christopher)
Mehr „Die Liste” gibt es hier.
Und hier gibt es alle Songs gesammelt in einer Playlist.
Die Rechte am Beitragsfoto liegen bei Amran Abdi.
* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.