Niedergeschlagenheit und Triumph sind üblicherweise zwei Endpunkte einer Skala. Als Sam Fender an diesem Abend die Bühne der Düsseldorfer Konzert-Venue betritt, ist diese Gesetzmäßigkeit kurzerhand außer Gefecht gesetzt. Seinen bitteren Weltschmerz hatte der Brite auf seinen beiden Alben in die übergroßen Gesten getunkt und sich damit einen Ruf als Bruce Springsteen für die Generationen Y & Z erspielt. Dass diese überlebensgroßen Songs schon immer für mindestens genauso große Bühnen gemacht waren, darf man diesem Abend in Düsseldorf erstmals am eigenen Leib erfahren. Da ist jemand gekommen um zu bleiben.
Von Höhen und Tiefen
Vor dem Auftritt wurde ein großes Geheimnis um den Support-Act gemacht. Im Publikum dürften sich deswegen einige positiv überraschte Gesichter gen Bühne recken, als ein riesiges Fil-Bo-Riva-Banner gehisst wurde. Und dann setzt der italienische Indie-Liebling auch noch eine zusätzliche Überraschung drauf: Erstmals als Quintett auf der Bühne präsentiert das neue Kollektiv auch noch einen neuen Song. Was bei den großen Folk-Nummern deutlich wird: Hier ist eine Band aber mal sowas von bereit für die großen Hallen!
Mit einer angenehm kurzen Umbaupause steht dann auch schon Sam Fender um Punkt 21 Uhr auf der Bühne und bringt mit “Will We Talk?” direkt mal alle Stimmbänder zum Zittern. So intensiv der Einstieg, so auffällig die kleine Länge, die sich in die Setlist geschlichen hat. Mit dem sehr intimen “Dead Boys” beginnt nämlich eine circa vier Songs andauernde Durststrecke, in der wenige Akzente gesetzt werden und das finale Ausfasern in eine Instrumentalfläche ein bisschen zu systematisch rüberkommt. Das ist jetzt aber Meckern auf sehr hohem Niveau – musikalisch legen Fender und seine Mitmusiker eine absolute Glanzleistung hin. Ab Song 7 befindet sich das Publikum aber dennoch in einem völlig anderen Qualitätslevel von Stimmung, Songwriting und Intensität.
Das lange Finale
Hier ruft der ursympathische Fender nämlich zum großen Moshpit auf. Etwas überraschend für die doch größtenteils eher melancholische Musik des Briten, aber sei es drum – er bekommt natürlich einen. Zu “Spice” und “Howdon Aldi Death Queue” ist dann doch tatsächlich eine absolut überragende Eskalation angesagt, Feuerfontänen auf der Bühne inklusive. Nach einer kleinen Verschnauf-Pause geht es mit dem atmosphärischsten Song des Abends – “Play God” – dann nochmal auf ein ganz anderes Level von Bühnenshow. Die ist übrigens mit einer riesigen, wunderschön designten Leinwand stets angepasst auf die jeweilige Stimmung, Lichtshow und sonstige Effekte sind ebenfalls on fleek. Mit dem anschließenden “The Dying Light”, das Fender zunächst alleine am Klavier spielt, befinden wir uns dann schließlich endgültig auf Weltklasse-Niveau. Das absolut herzzerreißende Stück führt zu Tränen und einem umwerfenden Publikumschor. Die Stimmung kocht langsam – aber das ist immer noch nicht das Ende.
Als Fender nämlich zur Zugabe zunächst alleine mit Gitarre zurückstapft und ein paar Akkorde von “Saturday”, einem der Hits seines Debütalbums, zupft, ist alles verloren. Aus jeder einzelnen Kehle dröhnt der Refrain des Songs, ohne dass Fender selbst auch nur eine Silbe äußern muss. Dieser ist sichtlich gerührt und lässt dem Publikum seinen großen Auftritt. Die Mitusbishi-Halle bebt, die Stimmung ist auf dem Zenith angelangt – und davon können die beiden letzten Tracks des heutigen Albums und größten Songs der aktuellen Platte nur profitieren. Auch hier sind die Chöre berstend laut, die Atmosphäre auf Stadion-Niveau. Mit dem Album-Titeltrack “Seventeen Going Under” und dem abschließenden “Hypersonic Missiles” geht ein beeindruckender Abend zuende.
Fender zeigt mit sympathischem Witz und Charme, dass er zwar nicht der geborene Entertainer ist, aber es doch schafft, ein paar amüsante Zwischensequenzen einzubauen. Musikalisch schwingen sich die Songs auch dank der imposanten Saxophon- und Trompeten-Einsätze ohnehin wie von selbst in diese Höhen, in denen Momente entstehen, die einfach bleiben. Wenn sich das ganze Publikum in größter Euphorie im letzten Refrain “When the bombs drop darlin’ can you say that you’ve lived your life? / This is a high time for hypersonic missiles” zuruft, zeigt einmal mehr, wie nah Triumph und Niedergeschlagenheit doch eigentlich beieinander liegen können. Und Sam Fender präsentiert sich als der glorreiche Vermittler.
Und so hört sich das an:
Website / Facebook / Instagram / Twitter
Beitragsbild von Julia.
* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.