Wer am 30.3.22, einem Mittwoch, am E-Werk in Köln ankommt, hat das Gefühl, als hätte sich nie etwas verändert: Sämtliche Straßen in der Umgebung sind zugeparkt, es staut sich. Wieso auch Altbewährtes groß anders machen. Das denken sich auch Skunk Anansie, die bereits 2019 unter anderem in Köln ihr 25-jähriges Bandjubiläum feierten, dies eigentlich 2020 fortsetzen wollten, aber…
Nein, was dann passierte, wissen wir alle. Braucht man nicht mehr drüber reden. Stattdessen beginnt momentan ein Stück Zukunft, denn endlich ist das E-Werk wieder ausverkauft, endlich stehen Menschen eng an eng, sodass die Raumtemperatur fühlbar steigt. Dass die Ansteckungsgefahr nie höher war als jetzt, wirkt wie ein nebensächlicher Fakt. Man hat seine Maske auf, die auch das gesamte Konzert über aufzubleiben hat und steht wie ausgehungert vor einer Bühne und möchte endlich wieder Livemusik genießen. Zwar mag bis kurz vor dem Konzert noch ein wenig Respektabstand eingehalten werden, doch das ändert sich schlagartig.
Skunk Anansie waren bereits 2019 im E-Werk am Start und ließen sich von ihren Fans für ein Vierteljahrhundert sehr guten, eigenwilligen, kreativen und unverkennbaren Alternative-Rock feiern, den sie kurz zuvor auf einer Live-Best-of veröffentlichten. 2020 sollten Zugaben folgen, die nun eben ein wenig verschoben werden mussten. Who cares? Mit leichter Verspätung weiß man an jenem Abend ab 21:15 Uhr, worauf man gewartet hat.
Leider fällt aber das Warten in der letzten Stunde vor dem Auftreten des sympathischen Quartetts aus UK besonders schwer. Mit den New Pagans aus Irland mag zwar ein Act als Vorgruppe ausgewählt worden sein, der einen ähnlichen 90s-Rocksound präsentiert wie die Headliner – allerdings in sehr, sehr misslungen. Wäre die Musik instrumental, wär’s ok und würde ohne groß anzuecken durchgehen, jedoch ist die Gesangsleistung der Frontfrau Lyndsey McDougall dermaßen unterirdisch und schlimm, dass es schwerfällt in den 45 Minuten Spiellänge nicht permanent genervt zu sein. Die Range der Stimme schafft nicht mal eine Oktave, fast durchgängig wird geschrien und auf äußerst unangenehme Weise irgendetwas ins Mikrofon gesungen. Dazwischen verhält sie sich merkwürdig, geht ständig in die Hocke, dreht den Rücken zum Publikum, setzt sich auf die Bühne. Weird. Wirklich ein miserabler Support, der auch durch die netten Anmoderationen des Gitarristen nicht gerettet werden kann.
Geschafft. Endlich kann die für Skunk Anansie-Verhältnisse aufwändig gestaltete Bühne, die mit vielen Lichteffekten – unter anderem auch hypnotisierendes Stroboskop – eine stimmige Atmosphäre kreiert, von Cass, Ace, Mark, Skin und deren Backgroundsängerin betreten werden. Schon direkt beim Opening “Yes It’s Fucking Political” brennt der Laden. Das Publikum ist ähnlich wie die Band nicht mehr das Jüngste – durchschnittlich haben hier die meisten wohl schon eine Vier vorne stehen.
Wer Skunk Anansie live kennt – und das dürften sehr viele Besucher*innen sein -, weiß, dass hier nicht weniger als eine der stärksten Rockbands überhaupt auf der Bühne steht. Eine Band, die durch die Stimme Skins ein Alleinstellungsmerkmal besitzt – und genau dieses schwächelt heute. Skin ist krank, hat sich – wie sie selbst erzählt – mit Medikamenten zugeballert, um überhaupt auftreten zu können. Und sind wir alle ehrlich: Skunk Anansie findet man zwar mit Sicherheit auch für die hervorragenden Kompositionen gut, aber noch eben ein bisschen mehr für die fantastischen Gesangsleistungen.
Die sind heute nicht ganz das, was sie sonst sind. Zwar ist auch mit 80 Prozent Volumen eine Skin immer noch wesentlich besser als der typische Durchschnitt, aber auch dieser Hauch weniger fällt ins Gewicht. Glücklicherweise ist Backgroundsängerin Erika gut drauf und übernimmt einige Parts – ein Wermutstropfen. Dafür ist ansonsten die Band gekonnt auf dem Punkt.
Die Crowd genießt dafür einen Highlightsong nach dem nächsten. “Weak”, “Tear The Place Up”, “Because Of You”, “Intellectualise My Blackness”, “I Believed In You”, “Love Someone Else”, “God Loves Only You”, “My Ugly Boy”, “Twisted (Everyday Hurts)” und mehr. Mit Vollgas wird 100 Minuten durchgefeuert. “Durchgefeuert” trifft es übrigens gut, denn Verschnaufpausen gibt es kaum. Zwar sind Skunk Anansie auch für ihre außergewöhnlich guten Balladen bekannt, die lässt Skin jedoch heute eher außen vor. Sie sagt selbst, dass insbesondere die softeren Töne mit einer Stimme, wie sie sie an diesem Tag leider hat, die besondere Herausforderung darstellen. Somit gibt es neben dem Überhit “Hedonism (Just Because You Feel Good)” nur noch das mindestens genauso schöne “Brazen (Weep)”, aber eben kein “You’ll Follow Me Down”, “Charity”, “Secretly”, “Squander” oder “Death To The Lovers”. Von den neueren Titeln schleicht sich die gerade erst erschienene Single “Can’t Take You Anywhere” in die Setlist, ebenso das thematisch hochaktuelle “This Means War” – die vorletzte Single “Piggy” scheint jedoch auch aus Krankheitsgründen kurzfristig gestrichen worden zu sein, war sie vor ein paar Tagen auf den Setlists in anderen Ländern noch mit dabei. Besonders schön fallen dafür Ansagen der Band zur politischen Lage und über Toleranz aus.
Konzerte dürfen zwar wieder gespielt werden – trotzdem hat man Skin ausdrücklich verboten, ihr berühmtes Stagediving umzusetzen oder in die Menge zu gehen. Irgendwo ist dann eben auch eine Grenze. Noch. Dafür knallt die Zugabe “Little Baby Swastikkka” voll rein, ein Circlepit entsteht, das Publikum dreht durch. Als Rauswurf läuft “Best of You” von den Foo Fighters, um dem nur fünf Tage zuvor verstorbenen Taylor Hawkins zu huldigen. Dazu steht die gesamte Band singend auf der Bühne, die Menschen davor singen noch lauter. Mit Sicherheit dauert es nicht mehr lang, bis Skunk Anansie wieder zu sehen sein werden. Dann ist Skin auch wieder stimmlich voll da und das Stagediving bestimmt ebenso wieder erlaubt. Zwei gute Gründe, um zurückzukehren.
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Foto von Christopher.
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