Wie es sich wohl anfühlt, wenn man ein Genre maßgeblich mitbegründet hat, man aber in vielen wichtigen Musikstaaten nahezu gar nicht stattfindet? Wahrscheinlich ist es Suede mittlerweile völlig egal. Nach über dreißig Jahren Existenz muss man sich keinen Kopf mehr darum machen, ob man genug Einfluss hat, um sich lange über Wasser halten zu können – denn offensichtlich kann man.
Ein wenig verwunderlich ist es trotzdem. Haben die damaligen Konkurrenzbands aus der Brit-Pop-Ära wie Oasis, Blur, Pulp und The Verve auch hierzulande einige große Charthits gelandet, schaffte es keine einzige Single von Suede über Platz 92 hinaus. Wenigstens bei den Alben konnte man mit jedem der mittlerweile neun Werke mindestens eine Woche in den Albumverkaufslisten verweilen und zuletzt mit dem neustem Output Autofiction sogar Platz 20 holen – erstmalig hat ein Suede-Album in Deutschland Top-20-Luft geschnuppert. Auch in UK gelang mit Platz 2 die beste Platzierung seit 1999.
Irgendwie herrscht also gerade ein kleiner Hype um die Band, die 1989 gegründet wurde und in ihrer Heimat viele Hits landete, die zu 90s-Classics wurden und zum Teil auch hier im Formatradio liefen. Glück für die Fans, denn wäre nicht zumindest ein Kernpublikum über den gesamten Zeitraum geblieben, würden die Tourdates wohl keine Deutschland-Gigs beinhalten. Zwar sind zwei Clubkonzerte nicht viel, aber immer noch besser als nix. Ein Stopp ist im Gloria in Köln, das wenige Stunden vorher ausverkauft meldet. Bis zur Tür zum Vorraum stehen 900 Menschen dicht beisammen – ach, so sieht der Laden ja aus, wenn er ausverkauft ist. Schon entschieden zu lange nicht mehr gesehen.
Sieben Jahre wurde – ziemlich genau in der Mitte der Bandgeschichte – pausiert. Ansonsten hat man aber immer LPs geliefert und ist durch Europa getourt. Frontmann Brett Anderson ist mittlerweile 55 Jahre jung. Dass das Quintett in späteren Generationen auch nicht viel Einfluss hat, zeigt das Publikum, das sich am Dienstagabend, dem 11.10., versammelt. Die Jüngsten hier sind Anfang 30 und wahrscheinlich genrebegeistert oder haben ältere Geschwister, denn das Durchschnittsalter ist eher Mitte 40. Eben Leute, die Mitte der 90er, als Suede richtig gefeiert wurden, womöglich erste Discos besuchen konnten. Ein Publikum, was mit der Band gemeinsam altert und reift. Irgendwie romantisch.
Da auf eine Vorband verzichtet wird, geht es erst um 20:30 Uhr los, dafür aber sehr pünktlich. Schon nach wenigen Takten Musik wird deutlich: richtig guter Sound. Jedes Mitglied wird super abgenommen, sodass im Laufe des Konzerts kaum nachgepegelt wird und alles einfach durchweg schön knallt, aber nicht zu laut. Voll angenehm. Doch leider hört es dann auch schon recht schnell mit positiven Erlebnissen auf.
Denn anscheinend verlassen sich Suede entschieden zu stark darauf, dass sie schon so lange existieren und die Fans solidarisch bis zur Auflösung bleiben. Leider stellt das Konzert im Gloria eins der Lowlights des gesamten Jahres dar. Warum?
Da spielen tatsächlich mehrere Faktoren zusammen. Zunächst wird das gesamte “Autofiction”-Album gespielt. In chronologischer Reihenfolge. Alle elf Titel. Klar, es ist nun mal die “Autofiction”-Tour. Aber wie bereits erwähnt, sind hier sehr viele Personen, die wohl schon in den 90s dabei waren, die Band demnach Ewigkeiten verfolgen und wahrscheinlich auch ein Stück weit Nostalgiefeeling und Flashbacks erleben mögen. Dafür gibt es in den ersten 47 Minuten keinerlei Möglichkeit. Cool ist zweifelsohne, dass Suede dazu fähig ist, den gesamten Longplayer zu reproduzieren, klingen nämlich auch die Liveversionen sehr ähnlich wie die Studioaufnahmen. Man braucht gerade einmal zwei Minuten länger, als es dauern würde, wenn man das Album ohne Stopp durchhört. Beeindruckend. Oft gibt es nur wenige Sekunden Pause zwischen den Tracks, vieles ist demnach auch exakt im selben Tempo gespielt wie die Studiosongs. “She Still Leads Me” ist ganz nebenbei dank seiner tollen Komposition ein fantastischer Opener, “Drive Myself Home” als Klavierballade der intimste Moment des Auftritts.
Doch wollen Fans wirklich ein ganzes Album hören, das erst wenige Wochen draußen ist? Mit dem man also nahezu noch nichts emotional verbindet, das dazu auch nur eine Woche in den Charts verweilte und das sehr wahrscheinlich auch auf Dauer keine große Rolle spielt? Ist es final vielleicht einfach ein Statement von der Band nach dem Motto: “Kein Bock, immer dasselbe zu zocken”? Sechs von elf Songs hätten es bestimmt auch getan. Denn durch das Durchspielen ist bereits weit mehr als die Hälfte der Gesamtspielzeit vorbei, was das Publikum an dieser Stelle jedoch noch nicht ahnt.
Brett Anderson klingt genauso wie seine Jungs spielen – wie von einem Band. Das ist für eine Stimme, die schon so lange so ausgiebig benutzt wird, top. Jedoch ist er gleichzeitig ein wenig zu doll in seinem eigenen Film. Gerade in vielen Höhen überschlägt die Stimme das eine oder andere Mal, klingt etwas heiser, auch wenn Registerwechsel gut funktionieren. Im Laufe des Gigs werden dann aber schwierige Parts nur noch verändert gesungen oder vom Publikum gesungen gelassen. Und das ist gleichzeitig auch das Einzige, was an Interaktion geschieht. Längere Reden gibt es keine, lediglich ein paar wenige Titel werden angesagt. Die restliche Band macht ihr Ding, interagiert noch weniger, auch nicht untereinander. Keyboarder und Gitarrist Neil wirkt sogar extrem gelangweilt. Ist das lässige Attitüde oder Arroganz? Egal, jedenfalls nicht sympathisch. Brett hält sich einige Male in den vorderen Reihen der Crowd auf, tanzt äußerst wild, fast schon etwas skurril übertrieben, sodass sein Hemd nach einer Viertelstunde durchnässt ist – doch auch bei ihm entsteht keine wirkliche Bindung. Zu niemandem.
Nachdem das Album durchgespielt wurde, gehen Suede für drei Minuten von der Bühne. Die Stimmung im Raum ist ganz gut, aber keinesfalls richtig heiß – immerhin hat man bisher keinen wirklichen Hit gehört. Doch die Erwartungen steigen, so ist der Beifall zum zweiten Aktbeginn recht groß. Der geht allerdings mit gerade einmal 35 Minuten entschieden kürzer und hält auch lediglich nur neun Songs bereit. Wären die ein Hit-auf-Hit-Feuerwerk, könnte man zumindest mit voller Energie und Euphorie nach Hause – aber auch das passiert nicht.
Stattdessen spielen die Briten bei jeder Show im zweiten Block immer eine andere Kombi aus ihrem Reportoire. Auf ihrem ersten NRW-Konzert nach neun Jahren (!) bedeutet das konkret zwei Albumtracks aus den 10er-Jahren, an die sich mit Sicherheit nur Hardcoreanhänger*innen erinnern, zwei nicht gechartete Singles und gerade einmal fünf Songs, die man mit der Band verbindet. “Can’t Get Enough”, “So Young”, “Metal Mickey”, “Animal Nitrate” und “Beautiful Ones” zum Abschluss sind auch die Momente, in denen die Handys nach oben gehen, laut mitgesungen wird und die Fanschar feiert.
Nach “Beautiful Ones” wird sich noch einmal bedankt und um 21:56 Uhr von der Bühne gegangen. Die Zuschauer*innen applaudieren, jubeln, hoffen noch einige Minuten auf eine Zugabe, die jedoch nicht kommt. Stattdessen fangen Mitarbeiter*innen an, die Technik abzubauen. Man schaut in viele betroffene Gesichter. Bezüglich der Setlist kann man fast schon von einer Vollkatastrophe sprechen. Problemlos könnte man die 20 gespielten Songs, was in der Quantität gar nicht wenig ist, mit 15 großen Krachern zupacken und mit einer Hand voll neuem Material auffüllen. Will man aber ganz offensichtlich nicht. Stattdessen passiert eine recht große Egonummer, in der der Frontmann stark auf sich konzentriert ist und die restliche Gruppe Suede nur Arbeit auf Anweisung durchführt. Ganz schön enttäuschend.
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Foto von Christopher.
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