Body Count – Carnivore [Doppel-Review]

Body Count - Carnivore

Body Count thematisieren auf ihrem siebtem Album „Carnivore“ immer noch die selben Probleme wie sie es schon auf ihrem Debüt aus dem Jahre 1992 taten. Sie sprechen über komplexe Thematiken und spielen energischen Crossover der direkt aus den frühen 90ern kommen könnte. Grund genug für uns das Album aus zwei Blickwinkeln zu betrachten.

Maximilian beleuchtet die Beweggründe und den musikalischen Output:

Ice-T möchte nicht mehr Ice-T genannt werden. Ice-T möchte auch nicht mehr Ice-mothafuckin-T genannt werden. Ice-T möchte nun Ice-mothafuckin-T-Bitch! genannt werden. Und warum? Weil er stinksauer ist. Er ist stinksauer, weil die vereinigten Staaten von Amerika und eine Vielzahl anderer Länder mit so einigen ernstzunehmenden Problemen wie sozialer Ungleichheit, Gewalt und Rassismus zu kämpfen haben. Body Count können nicht anders, als sich immer wieder dieser Probleme anzunehmen, auch wenn es weh tut. „Carnivore“ ist das dritte Album der Gruppe rund um Multitalent Ice-T, das seit 2014 das Licht der Welt erblickt hat. Das siebte seit Bandgründung. Immer wieder prangern Body Count dieselben Probleme unerbittlich an. Auf „Carnivore“ stehen ihnen Riley Gale von der aufstrebenden Thrash-Übermacht Power Trip, Jamey Jasta des Hardcore-Pöbelhaufens Hatebreed und Amy Lee von Evanescence in Form von beachtenswerten Features zur Seite.

Auf ihrem jüngsten Werk ist die von Body Count gewohnte Mischung aus Crossover, Rap Metal und Hardcore Punk, zersetzt mit wuchtigen Thrash-Riffs aus Ernie Cs Feder, zu hören, wutgeladen wie eh und je. Der titelgebende Opener startet die Platte mit einer drückenden, schwermütigen Atmosphäre. Anschließend kritisiert die Gruppe gemeinsam mit Power-Trip-Chef Gale in „Point The Finger“ Fälle von Polizeigewalt, durch die Unschuldige ihr Leben lassen mussten. Das energische „Bum-Rush“ und der Hardcore-Ritt „The Hate Is Real“ zeigen, dass ihre Faszination für Geschwindigkeit und ausgedehnte Gitarren-Passagen immer noch ungebrochen ist. Mit einer Cover-Version des Motörhead-Klassikers „Ace Of Spades“ erweisen sie Lemmy und seinen Mitstreitern alle Ehre. Als regelrechtes musikalisches Highlight kommt auf der zweiten Hälfte der Platte „In Tha Morning“ daher: Mit beachtlichem Taktgefühl rappt Ice-T rappt auf einen von der Band eingespielten Fresh-Prince-Of-Bel-Air-Beat über das gnadenlose Leben in South Central, Los Angeles.

So groß die Freude über ein neues Body-Count-Werk auch sein mag, so erschreckend kommt die Tatsache daher, dass im Jahr 2020 dieselben Probleme wie in den frühen 90er Jahren das Leben vieler Menschen bestimmten. Umso wichtiger ist es, dass kritische Stimmen nicht verstummen. Schon immer diente Musik dazu Missstände anzuprangern. Erneut gelingt es Body Count lyrisch wie musikalisch ihre Wut zu kompensieren. Auch nach 30 Jahren Bandgeschichte bringt Ice-T seine Message direkt und unverständlich auf den Punkt: „Black or white / I have no race“.

Julia betrachtet das Album aus einem gesellschaftlichen Kontext:

27 Jahre nach der Bandgründung noch ein immens relevantes Werk herauszubringen, gelingt nur sehr wenigen Bands und im Fall von Body Count mag man sich eigentlich wünschen, dass sie es nicht geschafft hätten. Denn inhaltlich scheinen zwischen dem Debüt “Body Count” und dem großartigen “Bloodlust” von 2017 eher einige Wimpernschläge vergangen zu sein als fast drei Dekaden. Die systematische Ausgrenzung aus Gewalt, Rassismus und Polizeigewalt trifft People of Colour auch heutzutage noch in seiner vollen Wucht, nicht nur, aber vor allem auch in den USA. Rapper Ice-T legt mit seinem wütenden Crossover-Projekt Body Count den Finger immer wieder in die Wunde, auch “Carnivore” macht da natürlich keine Ausnahme. Neue Impulse setzt das Album dabei vor allem durch Kooperationen und die Introspektive.

Selbstbewusste Kampfansagen formuliert das Kollektiv weiterhin am besten in ihrem klassischen Crossover-Stil, ob in “Bum-Rush” und seinen rasenden Thrash-Metal-Riffs und kleinen Break-Downs, dem live erprobten Cover von “Ace of Spades” oder auch den Rap lastigen Ansagen “Colors” und “No Remorse”. Bevor der bekannte Stil aber allzu sehr ausgeschlachtet wird, erweitern die Feature-Gäste den Soundkosmos mal eben um ein paar Galaxien. Power-Trip-Mitglied Riley Gale kreischt in “Point the Finger” seine Verzweiflung über die Morde an unschuldigen Schulkindern heraus, mit Hatebreed-Frontmann Jamey Jasta wird es in “Another Level” dafür besonders lässig und episch. Die größte Überraschung liefert aber wohl Evanescence-Sirene Amy Lee, die Ice-T in “When I’m Gone” bei der wichtigen Botschaft unterstützt, den Leuten seine Liebe zu offenbaren, so lange sie noch da sind. Dank der knackigen Nu-Metal-Töne wird sogar diese Bekenntnis vor Fremdscham-Momenten bewahrt, sogar wenn sich der Song gegen Ende dramatisch auftürmt.

Body Count sind trotz des großen Erfolgs weiterhin ein ernstzunehmendes Sprachrohr der Straßen, wie auch die bedrückende Erzählung in “Point the Finger” mit anschließenden Pistolenschüssen oder die Interview-Samples von Rassist*innen in “The Hate Is Real” untermauern. Das hier ist keine Kunst um der Kunst willen, sondern weiterhin Protestmusik gegen all das, was in der Gesellschaft noch schief läuft. Den Überraschungseffekt von “Bloodlust” hat “Carnivore” vielleicht nicht, aber man sollte sich wohl einfach daran gewöhnen, dass Body Count vorerst gekommen sind, um zu bleiben. An Relevanz verliert dieser Crossover-Entwurf wohl erst dann, wenn die Welt zumindest etwas schöner geworden ist. Und damit könnten dann schließlich auch alle gut leben.

Das Album ist hier erhältlich.*

Und so hört sich das an:

Body Count Live 2020:

  • 22.06. – Esch/Alzette, Rockhal
  • 24.06. – Berlin, Tempodrom
  • 27.06. – Wien, Arena
  • 29.06. – Oberhausen, Turbinenhalle
  • 01.07. – München, Tollwood-Festival
  • 02.07. – Zürich, Komplex 457

Die Rechte für das Albumcover liegen bei Century Media/Sony.

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