Eigentlich wollten sie kein Album schreiben, beichteten Die Orsons bei der Prelistening-Session ihres neuen Albums. Ursprünglich wollten sie nur ausprobieren, wie viele Band-Urlaube die Plattenfirma zur Anregung der Kreativität wohl zahlen würde, bevor sich dort jemand über das Fehlen neuer Musik beschweren würde. Anscheinend können die Orsons aber schlecht Zeit miteinander verbringen, ohne dabei musikalische Ideen miteinander zu vermischen und neue Werke zu schaffen. Nach zwei Urlauben sind Die Orsons also zurück und haben uns das schönste Souvenir mitgebracht, das Deutschrap sich hätte wünschen können – „Orsons Island“.
Schon länger war bekannt, dass Die Orsons wieder Musik produzieren. Auf Spotify veröffentlichten die vier Rapper aus dem Raum Stuttgart die „O.I. Playlist“: nach und nach wurden dort Songs released, die im Laufe der Albumproduktion entstanden sind, ihren Weg auf das Album jedoch nicht gefunden haben. Nach den Singleauskopplungen „Grille“, „Dear Mozart“ und „Schneeweiß“ folgte am 02.08.2019 endlich das fünfte Album – „Orsons Island“, bei dem es sich lohnt, mehr als nur die „Gute-Laune-Hits“ anzuhören.
„Orsons Island“ ist vor allen Dingen eines – Ein Konzeptalbum. Wer Die Orsons und besonders ihre älteren Alben kennt, weiß, dass dies alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. „Orsons Island“ erzählt von einer Reise durch Höhen und Tiefen und einem Ende, das eigentlich wieder am Anfang steht. Um den Geschichten-Charakter des Albums zu maximieren, wurden die Songs zusätzlich in genau vier Kapitel unterteilt. „Virtuelle Realität“, „Der Morgen danach“, „Der Aufbruch“ und „Die Ankunft“ sind mehr als nur Überschriften, sie sind viel mehr der rote Faden für all das, was zwischen den Überschriften geschieht.
Zu Beginn des Albums, in der „virtuellen Realität“, findet der Zuhörer zunächst die gewohnte Orsons-Mentalität wieder: locker, leicht und lustig rappen Die Orsons so, wie sie es schon lange tun. Auf „Grille“ erklären Tua, Maeckes, Bartek und Kaas, wie man eine Microparty feiert – schnell in den Club rein, völlige Ekstase, pogen und wieder raus. Partylaune kommt genauso schnell auf, wie sie später auch wieder abklingen soll. Fragen Die Orsons erst noch gewohnt albern niemand geringeren als Mozart, wie er denn Autotune fände, wird es schnell ernster: „Anderswo herrscht Krieg, weshalb ziemlich viele Afghanen und Syrer gerade zu uns nach Europa fliehen / worauf rechte Politiker irgendwo auf Ibiza die Minibars leeren für die illegale Wiederwahl“, rappt Maeckes in „Dear Mozart“ und verdeutlicht erstmals, dass die bunte Realität eben vielleicht doch nur eine virtuelle ist und alles gar nicht so super ist, wie es scheint. Auch im folgenden Track, „Hin und Her“ besingen sie laut Track-by-Track-Aussage den Moment, in dem man „länger auf der 10-Minuten Party bleibt, der Droge verfällt“.
Doch auch bei den Orsons folgt auf eine Microparty der „Morgen danach“, wie das zweite Kapitel getauft wurde. Es folgen die negativeren Gefühle, die Realität ist nicht mehr das, was sie vorher war. In „Sog“ – ein Song, in dem Tua sein Können als Produzent unter Beweis stellt – gibt jeder Orson seinen ganz eigenen Sog preis, angefangen von der Handysucht bis hin zum Konsum von illegalen Drogen. Mit dem Rest des Kapitels wandelt sich die anfängliche Partystimmung immer weiter ins Negative, bis selbst der Hörer das Gefühl verspürt, welches Kaas in „Schneeweiß“ präsentiert: „Von hier aus geht es nur bergab / ich glaub nicht, dass ich’s ertrag / einen scheiß wird alles gut, niemals“.
Der Höhepunkt scheint erreicht, es kann nichts Großes mehr folgen? Nicht bei den Orsons. Diese geben sich dem Trott nicht hin, es folgt Kapitel 3 – „Der Aufbruch“. Den Haushalt einfach beiseite schmeißen, Deadlines nicht einhalten und wegfahren, egal wohin, das Ganze dabei auf die leichte Schulter nehmen. „Sowas von egal“ und „Nimm’s leicht“ versprechen Befreiung und Verbesserung. Spätestens mit „Bessa Bessa“ scheint dann wirklich alles besser zu sein und obwohl alles nur „vielleicht“ ist, fühlt sich diese Entspannung irgendwie endgültig an. Neugewonnene Liebe und das Gefühl von Freiheit sorgen für beste Laune und machen „Orsons Island“ zumindest an dieser Stelle so unbeschwert, wie es nur sein könnte.
Dieses Gefühl geht auch im letzten Kapitel, „Die Ankunft“ nicht verloren. Bartek zeigt seine liebevolle und trotzdem humorvolle Art in einer Ballade, die gerade so romantisch ist, dass sie nicht zu kitschig ist, trotzdem aber den richtigen Punkt trifft, während Die Orsons als Gruppe feststellen, dass sie genau da angekommen sind, wo sie sein wollten. Die Ankunft der Orsons wird deutlich spürbar und allerspätestens mit „Dir Dir Dir“ erreichen sie ihr Ziel und beenden es mit der reinsten Selbstfindung. („Irgendwo sehr weit weg, da gibt es einen Ort, dort ist alles perfekt, […] denn er ist mitten in, mitten in dir“).
„Orsons Island“ endet mit der Zeile, mit der bereits „Grille“ ganz am Anfang begonnen hatte. Ob der Weg zur Selbstfindung also ein Kreis ist und nun wieder die virtuelle Realität folgt oder ob man den langen Weg erst gar nicht hätte gehen müssen, um zu sich selbst zu finden, bleibt also offen und überlässt dem Zuhörer einen gewissen Interpretationsspielraum. Das Album fasziniert sowohl mit einer Geschichte von Feierlust, Zweifeln, Absturz, Wiederaufbau und Selbstfindung als auch mit musikalischen Faszinationen. Auch, wenn Die Orsons selbst nicht wissen, wie sie zur Entwicklung der deutschen Rapszene stehen und deshalb Mozart fragen, wie er denn Autotune á la Modus Mio findet, schaffen sie es trotzdem selbst, den Zeitgeist zu treffen, ohne zu übertreiben. Autotune im genau richtigen Maße und beeindruckende Übergänge zwischen Parts, die im ersten Moment nicht unterschiedlicher klingen könnten, sind bei diesem Album besonders Tua zu verdanken, der deutlich Hörbar einen großen Anteil an der Produktion des gesamten Albums hatte.
Wer sich die Ohrwurm-Hooks, gelungenen Beats und außergwöhnlichsten Adlips von Kaas nicht entgehen lassen möchte, sollte sich definitiv selbst einmal auf die Reise nach Orsons Island begeben.
Das Album “Orsons island” kannst du dir hier kaufen.*
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Den Text hat Nelleke Schmidt beigesteuert.
So hört sich das an:
Die Orsons – Orsons Island Tour 2019
10.10.19 – München, Muffathalle
12.10.19 – Wiesbaden, Schlachthof
13.10.19 – Heidelberg, halle02
14.10.19 – Köln, Carlswerk Victoria
16.10.19 – Bremen, Modernes
17.10.19 – Münster, Skaters Palace
18.10.19 – Hannover, Capitol
19.10.19 – Hamburg, Große Freiheit 36
20.10.19 – Berlin, Huxley’s Neue Welt
22.10.19 – Dresden, Club Tante Ju
23.10.19 – Leipzig, Felsenkeller
24.10.19 – Nürnberg, Hirsch
26.10.19 – Stuttgart, Porsche Arena
31.10.19 – A-Wien, Grelle Forelle
01.11.19 – A-Dornbirn, Conrad Sohm
02.11.19 – CH-Luzern, Schüür
03.11.19 – CH-Zürich, Exil
Die Bildrechte für das Albumcover liegen bei Vertigo Berlin.
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