Eigentlich sollte das zweite Album des britischen Popstars Dua Lipa erst eine Woche später erscheinen – durch die Corona-Krise entschied sich die Sängerin dann aber spontan, “Future Nostalgia” schon früher zu veröffentlichen. Und es scheint so, als hätte englischsprachige Popmusik, um nicht zusagen die weltweite Pop-Szene, gerade genau dieses Album gebraucht. Auch Christopher und Emilia sind sich in ihren Rezensionen zur Platte weitgehend einig.
Christopher hat kaum etwas an der Platte auszusetzen:
Spätestens jetzt sollte man Dua Lipa auf dem Schirm haben: Ganze viereinhalb Jahre hat es seit dem Release der ersten Single bis heute gedauert. Jahre, die die gebürtige Londonerin mit kosovoalbanischen Wurzeln genutzt hat, um sich auszuprobieren, einen Stil zu finden, sich wie ein kleiner Parasit an etablierte Künstler zu hängen und nun voll anzugreifen. Mit „Future Nostalgia“ steht das zweite Album parat, das bereits jetzt gute Karten hat, die Pop-Platte 2020 zu werden.
Dabei verkaufte die 24-jährige Sängerin bereits über 30 Millionen Einheiten. Mehrere Tracks sind Dauerkandidat im Radio – die Person dahinter blieb jedoch etwas verborgen. So oft diese Stimme schon gehört und doch nicht klargehabt, dass es sich dabei um ein und dieselbe Person handelt. Somit war es nahezu unmöglich an „New Rules“, „One Kiss“ (feat. Calvin Harris), „Scared To Be Lonely“ (feat. Martin Garrix), „No Lie“ (feat. Sean Paul), „IDGAF“ oder auch der allerersten Single „Be The One“ vorbeizukommen. In ihrer Heimat UK gab es gefühlt für jede Nummer Platin, und auch in Deutschland war sechs Mal die Top 20 drin.
Das wird sich in diesem Jahr mit Sicherheit noch um einiges vervielfachen – alles andere wäre wirklich verwunderlich und unberechtigt. „Future Nostalgia“ beschreibt bereits in seinem Albumtitel den Sound ausgesprochen gut: Moderne Beats gepaart mit nostalgischem Feeling. Viel zu lang waren die Charts überfrachtet mit komplizierten Songstrukturen, Tropical-House oder gleichklingendem Hip-Hop. Dua Lipa entscheidet sich für back to the roots und macht Pop mit einer ordentlichen Prise Dance, extrem starken Refrains, die im Kopf bleiben und liefert Songs für nahezu jede positive Lebenslage.
Negativ: mit 37 Minuten Spielzeit ist der zweite Longplayer nach dem self-titled Debüt ganz schön kurz ausgefallen. Kann man jedoch über dieses Manko hinwegsehen, ist die „Wollen“-Seite nahezu leer und die „Haben“-Seite ordentlich voll. Dua Lipa leistet sich auf den elf Tracks, die sie in petto hat, keinen Ausfall und präsentiert höchstens ein- bis zweimal mittelprächtige Ware. Der Rest ist Ohrwurmmaterial für Wochen. Ob zum Sporten, auf der Autofahrt zur Arbeit, auf vielen bevorstehenden Grillpartys oder für lange Nächte im Club – es fällt schwer sich für den richtigen Song zu entscheiden. Dann tut’s halt das gesamte Ding.
Mit dem Vorab-Banger „Don’t Start Now“ gab es bereits einen würdigen Hit, der gekonnt Clapbeat, kurze Streichereinsätze, Cowbells, sphärischen Discosound und Duas tiefe, äußerst laszive Stimme kombiniert. 70s trifft auf 2020. Eben Future Nostalgia. Gleiches gilt für die coole Catwalk-Nummer „Break My Heart“, die sich geschickt das markante Gitarrenriff von INXS‘ Übererfolg „Need You Tonight“ zunutze macht und den Frühling in die Wohnung holt, bevor er überhaupt da ist. „Physical“ klingt wie ein Spurt auf einem Laufband, besitzt erneut eine Hook zum Mitgrölen und motiviert zum euphorischen Ausrasten auf der Tanzfläche, um danach aus der Puste zu sein. „Hallucinate“ klingt wie ein übriggebliebener Sugababes-Hit und gefällt ebenso.
Auch Gitarren- und Bassfans dürften ihre Freunde haben, so sind stets treibende Linien vorzufinden („Pretty Please“), die der sexy Stimmfarbe entgegenkommen. Generell ein interessantes Phänomen: Dua singt super. Jeder Song ist dank ihr mit einem Hauch Soul durchzogen. Dennoch stellt der Gesang viel mehr eine Komponente des großen Ganzen dar und ist nie zu dominant. Die Quintessenz des Rezepts gibt es mit Titel Nr. 8: „Love Again“ paart den fast vergessenen, aber immer noch guten 90s-Track „Your Woman“ von White Town mit einer fast schon unverschämten Melodielinie, die einen bis in den Schlaf verfolgt. Pop-Perfektion anno 2020 in 258 Sekunden. Lediglich „Good In Bed“ wirkt nach etwas zu viel Bitchness trotz Amy Winehouse-Duffy-Lily Allen-Gedächtnisstütze, ist aber immer noch soweit ok, dass man nicht skippen muss.
“Future Nostalgia” verzichtet auf eine klassische Ballade, Pathos und Kitsch, prollige Rap-Einlagen oder Dubstep und ist deswegen mutig und gleichzeitig absolut sicheres Chartsmaterial. Dua Lipa will Spaß, schreibt ihn in Form von Songs auf und verbreitet ihn. Eine Verneigung vor vielen vergangenen Epochen. Keine Neuerfindung des Rades, aber die charmante Zusammensetzung von unzähligen guten Elementen, die zu einem sehr guten Ergebnis führen. Must Hear.
Emilia ist ebenfalls mehr als begeistert:
Vielleicht dürfte es den einen oder die andere überraschen, dass ich hier ein so klares Pop-Album rezensiere – wo dieses Genre, allen voran der “Mainstream-Chart-Pop”, sonst eher nicht zu meinen musikalischen Interessengebieten gehört. Bei Dua Lipa ist das aber ganz klar anders. Mit “IDGAF” oder “New Rules” konnten mich auch schon einige ihrer bisherigen Hitsingles absolut überzeugen und schafften es in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder in meine Playlists. Umso mehr freute ich mich, als Dua endlich ihr zweites Album “Future Nostalgia” ankündigte. Vor allem ein so vielversprechender Titel ließ mein 80s-Herz höher schlagen, und was soll ich sagen: Es wurde definitiv nicht enttäuscht.
Schon die erste Singleauskopplung “Don’t Start Now” konnte als unglaublich eingängige Dance-Pop-Nummer absolut überzeugen und lässt sowohl Duas tiefere Gesangstimme als auch höhere Parts perfekt zur Geltung kommen. Die zwischendurch eingesetzten Streicher sind zwar ein Element, das in so poppigen Songs schnell kitschig und gewollt wirkt – fügen sich hier aber sehr gut in das Gesamtwerk des Songs ein und gehen kaum noch aus dem Ohr. Ähnlich stark geht es eigentlich die gesamte Platte weiter: Klassische Pop-Elemente werden hier so gekonnt mit einem 80er-Vibe, Dance-Sound, treibenden Beats und eingängigen Melodien kombiniert, dass eine Musik zutage kommt, die in den letzten Jahren unter den Trümmern der immergleichen Strukturen von Popsongs aus den Charts verschollen war – und von der wohl die meisten von uns schon längst vergessen hatten, dass es sie überhaupt noch gibt.
Einen passenderen Titel als “Future Nostalgia” hätte es also für dieses Album wohl nicht geben können – denn trotz klarer 80er- und Dance-Einflüsse wirken die Songs weder altbacken noch eintönig, sondern zeitlos und unglaublich abwechslungsreich, dennoch aber stimmig, einheitlich und gut aufeinander abgestimmt. Einen Lieblingssong der Platte zu benennen fällt hier schwer, da ich ausnahmslos jeden Song gut finde – etwas, das nicht besonders häufig vorkommt. Trotzdem gibt es natürlich etwas stärkere und schwächere Songs auf dem Album. Zu ersterem zählen dabei zweifellos die bereits erwähnte Single-Auskopplung “Don’t Start Now” sowie “Physical” – ein Uptempo-Discopop-Song, der ebenso wie “Hallucinate” absolut zum Tanzen einlädt. Weitere Highlights sind “Cool” und “Levitating”, die zwar nicht ganz so tanzbar, dafür aber nicht weniger poppig und eingängig sind, oder “Break My Heart” und “Love Again”, die jedes Klischee von tragischen Lovesongs in den Schatten stellen.
Auf Balladen verzichtet Dua Lipa auf diesem Album berechtigterweise, geht so ausnahmslos mit jedem Song nach vorne und singt selbstbewusste über Liebe, Männer und Sex ohne dabei beliebig zu klingen. Die teilweise melancholischen und etwas düstereren Songs des auch schon sehr starken Debüts der Sängerin sind einer sassy “Fuck you”-Einstellung und scheinbar dauerhaft guter Laune gewichen – Dua hat mit ihrem zweiten Album etwas komplett Neues ausprobiert und sich weiterentwickelt ohne aber ihren eigenen Stil zu verlieren.
“Future Nostalgia” ist ein Album, das endlich auch mal wieder diejenigen abholen dürfte, die sich von “herkömmlicher” Popmusik sonst nicht so sehr begeistern lassen. Der intelligente Pop von Dua Lipa bietet mit seinen zahlreichen modernen und nostalgischen Einflüssen für jeden etwas und kann sowohl auf Albumlänge, als auch mit den einzelnen Songs absolut überzeugen. Definitiv jetzt schon ein Anwärter auf eines der besten und innovativsten Pop-Alben des Jahres.
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