Esther Graf – happy worstday

Esther Graf_Happy Worstday

Spätestens seit Songs wie „Red Flags“, „Nie Begegnet“ ft. Monet 192 oder die Features „Mit dir schlafen“ mit Alligatoah oder „Bum Bum Eis“ mit Finch ist Sängerin Esther Graf nicht mehr aus der deutschen Musikszene wegzudenken. Seit Jahren wird die Österreicherin als DIE große Neuentdeckung gefeiert; auf Spotify hat sie mittlerweile über 2.614.000 Zuhörerinnen und Zuhörer. Während sie zu Beginn ihrer Karriere eher von Gastbeiträgen profitierte, veröffentlichte die 25-Jährige 2022 ihre erste – äußerst geniale – EP „Nie begegnet“, 2023 folgte mit „Nach den schlechten Tagen“ die zweite EP. Vergangenen Freitag erschien nun nach langer Warterei, endlich das Debütalbum „Happy Worstday“, das so einige Glanzmomente mit sich bringt, aber noch nicht das volle Potenzial der Sängerin ausschöpft.

Fünfzehn Tracks beinhaltet „Happy Worstday“, darunter bereits erschienene Singles wie „Vitamin d[u]“ oder „Vergessen“. Bereits mit dem Opener „Esther“ macht die Sängerin deutlich, dass sie definitiv mehr kann als „nur“ Heartbreak-Songs. In dem Song thematisiert sie ihren eigenen Selbstwert und zeigt sich mit Textzeilen wie „Aber wenn ich in mein Spiegelbild blick‘. Bin ich schon ein bisschen stolz auf dich, Esther“ selbstsicher und mutig.

Eines haben nahezu alle Songs auf dem Album gemeinsam: Sie folgen keinem Schema F. Es gibt kein Konzept, keinen wirklichen roten Faden, sondern diverse Themen, die die Sängerin anreist. Besonders gelungen sind dabei Lieder wie „Vergessen“ („Findest du’s nicht selber mittlerweile schon fast witzig, dass hier jeder checkt, dass du ein gottloser Narzisst bist. Nur du selbst nicht“) oder „Überall“ featuring Montez, die quasi eine Fortsetzung zu Songs wie „Red Flags“ sind. Esther Graf schafft hier tolle, empowernde Hymnen, die gleichzeitig erfrischend und cool daher kommen, aber auch rotzig und frech sind. Und genau diesen Tenor beherrscht sie besonders gut. Mit ihrer einzigartigen Stimme hebt sie sich damit deutlich von anderen deutschsprachigen Künstlerinnen und Künstlern ab. Auch „Background Check“ („Bleib nur vorsichtig, ich sag‘ mal so: Du wärst nicht der erste Kek, den ich lieb‘ und der mich bitter verletzt hat“) beinhaltet tolle Punk-Rock-Elemente, die einen durch die Wohnung tanzen lassen und nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Gelungen ist ebenfalls das Feature mit Rapper Bausa „Kippe hinter’m Ohr“, das super eingängig und melodisch ist und eine gewisse innere Zerrissenheit widerspiegelt, die sehr nahbar ist. Vor allem das Outro ist großartig konzipiert. Auch wenn Esther Graf eigentlich berühmt-berüchtigt für Feel-Good-Liebeskummer-Hymnen ist, hat sie in der Vergangenheit bereits mit „Best Part“ oder „Into It“ eindrucksvoll bewiesen, dass sie Lovesongs mindestens genauso gut kann. „Vitamin d[u]“ ist einer der wenigen Unplugged-Tracks auf dem Album, aber gleichzeitig so harmonisch und gut getextet, dass er definitiv zu den Highlights gehört. Dem schließt sich auch „Fremde“ an, das so einen guten Chorus hat („Wir ging’n von „Fremde, die sich küssen“ zu „Wir küssen Fremde“), dass ein Ohrwurm nahezu vorprogrammiert ist.

Etwas bedauerlich ist die Kürze der Songs. Der längste Song des Langspielers ist keine drei Minuten lang, im Schnitt geht ein Track 2,3 Minuten. Und obwohl das kein neues Phänomen im Deutschpop scheint (auch Künstlerinnen und Künstler wie Kayef, Tom Twers, Montez oder Florentina produzieren immer kürzere Songs), könnte der ein oder andere Song etwa eine weitere Bridge vertragen.

Entgegen den bereits genannten Tracks gibt es auf „Happy Worstday“ aber auch solche, die im Schatten stehen und untergehen. „Ein Lied“, ein Song, den Esther Graf für ihre Schwester geschrieben hat, ist beispielsweise einer davon. Melodisch sticht dieser leider gar nicht heraus und auch textlich ist er – trotz der Message – irgendwie nicht mehr als nett. Das trifft bedauerlicherweise auch auf „She’s so cool“ zu. Ein Song, der bei Weitem nicht schlecht – aber vom Thema her so belanglos ist, dass er in der Vielzahl an bereits vorhandenen Pop-Songs untergeht. Was an einigen Stellen fehlt, ist der Tiefgang, das Persönliche, etwa wie bei einem super reflektierten „Würde es auch tun“ oder „Nach den schlechten Tagen.“ Der Delulu-Song „Star Potential“ etwa ist zwar erfrischend und bleibt im Ohr – über den inhaltlichen Aspekt lässt sich allerdings streiten.

Das Warten auf das Debütalbum der Sängerin hat sich definitiv gelohnt. Esther Graf hat einen krassen Wiedererkennungswert und sticht primär dadurch heraus, dass sie sich in kein Muster pressen lässt. Pop, Rock, Hip-Hop – irgendwie ist alles dabei und das macht die Songs so gut. Besonders liegen Esther Graf nach wie vor aber diese Hymnen-artigen Tracks, bei denen man laut mit schreien möchte – in den meisten Fällen eben diese Anti-Liebeskummer-Songs wie etwa „Vergessen“. Dass sie aber auch weitaus mehr kann, beweist die Österreicherin auf den fünfzehn Tracks des Albums. Thematisch fehlt zwischenzeitlich etwas der Tiefgang, was aber auch an einem fehlenden Konzept für das Album und der sehr kurzen Dauer der Songs liegen könnte. Trotzdem überzeugt sie stimmlich auf ganzer Linie und hebt sich mit ihrem Stil ab. Die Features sind mit Montez, Elif und Bausa klasse gewählt. Von Esther Graf werden wir in Zukunft noch so einiges zu hören bekommen. Spätestens auf ihrer Tour, die im Herbst startet.

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