Musik von Battlerappern ist leider immer so eine Sache. Das hat zumindest die Vergangenheit gezeigt. Nur wenige Vertreter der Szene schafften es, ihre in Battles gewonnene Bekanntheit durch gute und innovative Musikveröffentlichungen zu krönen. Denn nicht selten werden ihnen die Bedingungen in den Cypherkreisen von Plattformen wie Don’t Let The Label Label You! (DLTLLY), Toptier Takeover und Co zum Verhängnis: In den dort meist Accapella performten Rap-Begegnungen lässt sich die Crowd mehr durch Wortwitz, Stimmeinsatz und Timing als durch Flow, Taktgefühl und Melodie überzeugen. Der Duisburger Battlerapper FALK hat dies perfektioniert und gehört zu den Größen der Szene. Gemeinsam mit Partner Khacoby bildet er dort das Team Reiben und steht für brachiale Reimketten und einen Humor, der gern unter die Gürtellinie geht. Dass sich eben dieser FALK nun bereits an seinem zweiten Solo-Album versuchen will, löste bei mir also zunächst wenig Vorfreude aus, zweifelte ich doch zum einen an der Existenz überzeugender Alben aus dem Battlerap-Kosmos, zum anderen an der Notwendigkeit den witzigen aber oft stumpfen Stil des Duisburgers auf Albumlänge zu strecken. Doch ich sollte mich irren. Ja, mit seinem Album „Bitter“ beweist FALK nämlich, dass er durch seine Texte nicht nur für kurzweilige Lacher auf der Bühne, sondern auch für nachhaltige Tiefe im Albumformat sorgen kann.
Ganz schön bitter…
Treffender könnte ein Album-Titel nicht gewählt sein. Tatsächlich ist das, was auf „Bitter“ passiert, weit entfernt von Easy-Listening. Speziell in der ersten Hälfte der Platte gibt FALK tiefe Einblicke in sein Seelenleben. Dass dies von Abgründen geprägt ist, ließ der 27-jährige im Battlerap-Kontext bereits häufig durchschimmern, jedoch nur selten, ohne dabei auf einen ironischen Unterton zu verzichten. In seiner Musik wird dagegen wenig beschönigt. So berichtet er im großartigen Titelsong „Bitter“ von seiner harten und belastenden Kindheit, die von Armut, zwischenmenschlichen Zerwürfnissen und daraus resultierenden Minderwertigkeitskomplexen geprägt war. Familiäre, körperliche und seelische Brüche stehen auf dem Programm. Tatsächlich wirkt jede Episode des düsteren Storytellers, der vollständig ohne Hook auskommt, 100% nahbar und authentisch. So resümiert Falk völlig zurecht: „Hatte Angst das alles zu erzählen. Was soll ich sagen, fühlt sich grade an wie Tagebuch zu lesen.“
Ohne Kompromisse rappt FALK auch auf dem Rest der knapp halbstündigen Platte „Songs aus Rotz und Wasser“, wirkt dabei aber alles andere als weinerlich. Der Plan vergangene Tiefen auf Songlänge zu verarbeiten, ja das Vorhaben genau dieses Album zu schreiben, scheint bereits seit längerer Zeit in seinem Kopf zu sein. Der damit zusammenhängende Druck sei daher, so erklärt er zumindest auf „Genug“, beinahe inexistent. Scheinbar ohne darüber nachzudenken, ob er damit eine große Zuhörerschaft erreicht oder eben nicht, legt er los. Hier geht es nicht darum, auf Teufel komm raus einen Hype zu kreieren („Als Raf Camora mir im Traum erschien“), sondern darum sich in der eigenen Musik ungekünstelt ausdrücken zu können. Dabei bleibt FALK nicht nur im Rahmen seiner persönlichen Erfahrungen, sondern äußert sich ebenso zu gesamtgesellschaftlichen Themen wie z.B. toxischer Männlichkeit („Marsmensch“) und stellt kritisch fest: „Deutscher Rap hat ein Problem mit Frauen“ („Bye & Tschüss“).
…doch im Abgang trotzdem süß.
Die zweite Hälfte der Platte kommt deutlich angriffslustiger daher. FALK wechselt hier in eine offensivere Herangehensweise, die durch klassische Meta-Songs, sprich Rap über Rap („Warum nicht“) und Battle-Parts mit entsprechenden Referenzen für DLTLLY-Nerds („R03 Aytee“) seine Leidenschaft fürs Musikmachen weiterhin in den Vordergrund stellt. Das ist teilweise inhaltlich nicht sonderlich überraschend, handwerklich dennoch gut gemacht und vor allem technisch deutlich besser umgesetzt als auf dem musikalischen Vorgänger “Ankomm”, dem man FALKs erste, musikalische Gehversuche noch deutlich anmerkte. Besonders sticht dabei der brachiale „Kackesatt“ hervor. Über ein schlichtes Instrumental samt markanter Snare rappt der Duisburger mit solch einer Wut in der Stimme, dass man förmlich zu hören glaubt, wie seine Halsschlagader zum Beat pulsiert. Mit Zeilen à la „Ist mir egal, ob du ein Fan oder ein Rapper bist. Ich mach nen Beat, in dem dein Knochenbrechen die scheiß Snare ersetzt“ gibt er letztlich auch seiner Battlerap-Gefolgschaft, was sie will: Bars, Bars und nochmals Bars! Die anfängliche, melancholische Auseinandersetzung mit vergangenen Krisen tauscht hier mit einem zielgerichteten Blick in die Zukunft. Es geht ums Wachsen und Erreichen.
Noch ein Geheimtipp…
Musikalisch schafft FALK auf „Bitter“ insgesamt einen lockeren Spagat zwischen modernen Melodien („MMMNN“) und schlichten Sample-Beats, die dem MC genügend Platz gewähren, um die eigenen Stärken als Texter und Rapper zu präsentieren. Damit liefert das DLTLLY-Toptier zwar keine hitlastige Ohrwurm-Platte, schafft aber gerade durch seinen pointierten Stimmeinsatz immer wieder beeindruckende Momente zwischen Trauer, Wut und zielgerichteter Überzeugung. Letztlich bleibt der einzige Kritikpunkt an „Bitter“, dass die vorab veröffentlichten Singles lediglich in vierstelligen Streaming-Zahlen herumkrebsen, jedoch deutlich mehr verdient hätten. Denn „Bitter“ ist melancholisch, aber nicht weinerlich, hart aber authentisch, referenziell aber außerhalb vom Battlerap-Kosmos verständlich und vor allem zu jeder Sekunde absolut hörenswert. Also bitte: Hören, feiern und dabei sein, bevor es endgültig steil geht.
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