Wenn einem jemand Mitte der 2000er gesagt hätte, dass schon bald ein Act aus Deutschland zu den erfolgreichsten gegenwärtigen Musiker*innen der Welt zählen würde, hätte man wohl nur mit hysterischem Gelächter reagiert. Doch 2023 sind wir etwas schlauer und wissen, dass Helene Fischer das tatsächlich hinbekommen hat.
Und das verdient Respekt – völlig egal, was man von ihr und ihrer Musik hält. Hey, die gehört zu den bestverdienenden Leuten im Musikbusiness überhaupt. Wie heftig ist das!? Zwar ist ihre Relevanz in nicht-deutschsprachigen Ländern jetzt nicht so groß, dafür genügt ihre Relevanz aber in Deutschland, Österreich und der Schweiz und auch in kleineren Umfängen in den angrenzenden Ländern aber für hunderte von Anderen. Dazu noch mit einem Genre, das nicht den besten Ruf hat. Helene Fischer hat einfach in einer Zeit, in der Musikverkäufe einen starken Wandel durchgemacht haben, in der Musik noch nie so kurzlebig und in denen die Konkurrenz durch Internetphänomene noch nie so groß war, einfach alles und jeden niedergemetzelt. Gnadenlos. Muss man halt auch einfach mal anerkennen.
Aber bekanntlich steht ein großer Erfolg nicht automatisch auch für überragend gute Qualität. Denn wäre es besonders hohe Qualität, würde es gar nicht so viele Leute abholen. Stattdessen setzt Helene Fischer eben auf leichte Unterhaltung, viel Freude und Discofox-Momente auf Hochzeiten, Junggessell*innenabschiede und feuchtfröhlichen Firmenfeiern. Und das ist auch mega ok. Allerdings ist anscheinend der Zenit nun etwas überschritten und das Interesse etwas weniger. Ihr 2021 erschienenes achtes Album “Rausch” verkaufte sich bisher so schlecht wie kein anderes ihrer Karriere, was mit Sicherheit auch an dem EDM-lastigen Sound lag, der besonders die ältere Hörer*innenschaft, mit der Mitte der 2000er alles begann, einfach nicht mehr abholt. Von ihrer 71 (!) Konzerte umfassenden Tour, die von Anfang April bis Mitte Oktober läuft, sind keine Shows ausverkauft – aber bei der Anzahl genügt es selbstredend auch, wenn die Hallen nur zu 80 Prozent voll sind. Dann sind es am Ende immer noch rund 700.000 Menschen, die Tickets haben.
Die perfekte Schnittstelle liegt aber ein wenig zurück. Dass ihr sechstes Album “Farbenspiel” vor exakt zehn Jahren so einschlägt, hatte wohl niemand geahnt. Deswegen klingt es auch im Kern eindeutig nach wenig berechnetem Schlager, nur eben mit einer guten Ladung Pop-Beats. Das hat einen Nerv getroffen. Ein Jahrzehnt später hat man über 2,6 Millionen Exemplare verkauft und damit den 7. Platz der meistverkauften deutschen Alben aller Zeiten inne. Nur sechs Stellen dahinter teilt sich die Künstlerin mit einigen anderen Acts einen 13. Platz für ihre 2010 erschienene “Best of Helene Fischer”, die 2 Millionen Mal geshoppt wurde und über sechs Jahre die Albumcharts sehen durfte.
Wo wir dann auch endlich beim Thema wären. Best of. Die Werkschau, die nämlich alle in den Regalen stehen haben, liegt 13 Jahre zurück, also sogar vor dem richtig großen Knall, als man Helene plötzlich auch auf Unter-30-Partys spielen durfte. Bis dato waren gerade einmal vier LPs draußen, nun sind es doppelt so viele – und damit ist eine neue Greatest Hits wirklich überfällig und absolut berechtigt. Bei Veröffentlichungen dieser Art liegt der Fokus wenig auf die Songs an sich, sondern wesentlich mehr auf dem Konzept: Was ist mit dabei, was fehlt, was ist neu, hat die Veröffentlichung eine Berechtigung, wer soll angesprochen werden?
Ob berechtigt, haben wir bereits geklärt. Wer in der letzten Dekade einfach alles abgerissen hat, was ging, kann und muss sogar ein Best of droppen. Schließlich kennt jede*r die Hits, hat aber nicht immer Interesse an allen Alben, sondern mag einfach das zusammengerafft besitzen, was eben überall läuft. Zwar gab es in der letzten Zeit ständig diverse Konzertmitschnitte und auch eine Sammlung an Highlights aus ihrer erfolgreichen TV-Show, aber das ist schon ein bisschen was anderes.
24 Songs, fast 90 Minuten Spielzeit. Das ist für einen Tonträger ungewöhnlich viel und für ein Helene-Release wiederum fast schon wenig. Eine Doppel-CD hätte nicht überrascht, aber man wollte dann doch alles ein wenig im Zaum halten. Im Vergleich zur 2010er-Best of, die ja bekannterweise zwei, drei Menschen bereits haben, wurde in der Quantität um drei Titel aufgestockt. Übernommen wurden elf Songs, nämlich alle, die aus den ersten vier Longplayern ausgesucht wurden. Ist man gar stolze*r Besitzer*in der 2018er-Version des Best ofs, hat man bereits 15 von 24 Titel im Sack, nämlich auch noch die Hits der zwei nachfolgenden Alben.
Das Ultimative Best Of ist auf jeden Fall ein selbstbewusster Titel. Er sagt, es gäbe eigentlich keine Steigerung mehr. Und da fängt die Fassade ein wenig an zu bröckeln. Neben dem sofort ins Auge stechenden hübschen Cover liest sich auch die Tracklist erst nach ordentlicher Helene-Power, allerdings wurden einige seltsame Entscheidungen getroffen. Die 38-jährige konnte 21 Singles in den deutschen Charts platzieren. Darunter zwei Weihnachtssongs und ein “Biene Maja”-Cover, die zum Glück alle ignoriert wurden. Aber dass “Fehlerfrei” und “Nur mit dir” den Weg auf dieses vermeintliche Super-Greatest-Bombast-Hits-Werk nicht gefunden haben, die beide in Österreich sogar mit einer Gold-Schallplatte ausgezeichnet wurden, ist wirklich ein riesiger Fauxpas. Gerade einmal neun ihrer Songs wurden veredelt, sobald da einer fehlt, ist das eigentlich schon ein Unding. Beide Titel gehören mit Sicherheit zu den zehn bekanntesten Hits, die auch auf ihren Konzerten stets am meisten gefeiert werden.
Zusätzlich vermisst man ebenso den in den Charts platzierten “Marathon” sowie einen der beliebtesten Hochzeitssongs, “Unser Tag”. Auffallend: Drei der vier genannten Songs sind von “Farbenspiel”, ihrem erfolgreichsten Album. Wie kann das? Stattdessen fanden gleich fünf Lieder von “Rausch” eine Beachtung, ihrer aktuellen LP, die ja nicht mal so gut läuft, aber zu der gerade die Tour besucht werden kann. Zufall? Wohl kaum. Drei davon waren nicht mal in den Charts, aber das ist anscheinend zweitrangig.
Gab es bei “Best of Helene Fischer” noch vier bis dato unveröffentlichte Titel sowie eine Single-B-Seite, gibt es von solchen Kaufanreizen nun exakt null. Ob man neue Songs bei Das Ultimative Best Of benötigt, ist Ansichtssache, schließlich zeigt man eben die Sachen, die bereits gut funktionieren. Aber mit wenigstens einem Neuzugang oder einer alten Aufnahme, die man bisher nicht zu hören bekam, hätte man sich keinen Zacken aus der Krone gebrochen.
Ansonsten bekommt man aber selbstredend eine ganze Ladung voller Gassenhauer. Wer hier nicht mindestens bei fünf Songs – eher sogar bei zehn – mitsingen kann, scheint auf einem anderen Kontinent gelebt zu haben. “Atemlos durch die Nacht”, “Herzbeben”, “Achterbahn”, “Ich will immer wieder… dieses Fieber spür’n”, “Phänomen”, “Vamos a marte”, “Flieger”, “Und morgen früh küss ich dich wach”, “Die Hölle morgen früh” sind alles Hits, die schon bei der Erwähnung einen Ohrwurm auslösen. Lediglich eine Hand voll der 24 Mitmachenden nimmt das Tempo raus und animiert auf dem nächsten runden Family-Geburtstag zum Klammerblues, ansonsten wird gnadenlos durchgedancet. Dass man mit “Regenbogenfarben” auch ein Duett mit Kerstin Ott – die den Song zunächst bereits erfolgreich allein gesungen hat – draufpackt, mag zwar auf den ersten Blick wahnsinnig tolerant wirken, ist aber irgendwo ein bisschen Pink Washing. Gesanglich liegt die Nummer Planeten hinter Helenes Möglichkeiten und dass sie sich mit politischen Aussagen gern zurückhält, ist weitläufig bekannt. Somit: Ist ok, kann man aber auch dann einfach ganz lassen.
90 Minuten ist für eine Frau dieser Größenordnung eigentlich schon fast ein bisschen wenig, aber für die “So ein paar Sachen finde ich von der Helene ja schon ganz gut”-Gruppe genau richtig. Hätte man stattdessen um vier, fünf Titel aufgestockt, keinen wirklich wichtigen vergessen und aus Das Ultimative Best Of zwei Tonträger mit jeweils einer Stunde Spielzeit gemacht, wäre das Resultat trotzdem besser. So bekommt man anderthalb Stunden Musik, in der viel Hassliebe steckt, die spaltet und parallel entertaint – aber ultimativ ist das leider nicht.
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