Nacktheit und Sex als tragende Werbemittel, um aufzufallen. Das ist ein alter Hut. Bereits in den 80ern verkörperte Madonna mit ihrem verruchten Image einerseits eine neuartige Form des Feminismus und gleichzeitig die Erfüllung heißer Träume von vielen Männern und so einigen Frauen. Schaut man retrospektiv, was damals für Schlagzeilen gesorgt hat, hat 2021 dafür nicht mehr als ein desinteressiertes Schulterzucken übrig. Trotzdem hat sich im Kern nicht viel verändert: sich ausziehen ist immer noch reißerisch, mutig und so verboten dirty. Redet man dabei noch über Selbstbefriedigung, Intimrasuren, peinliche Momente im Bett oder 3er-Erlebnisse, ist die Aufmerksamkeit safe. Welcome to the Katja Krasavice-World!
Gerade volljährig nutzt die in Tschechien geborene Katrin Vogelová, wie das It-Girl bürgerlich heißt, die Plattform Youtube, um mal richtig die Sau rauszulassen und sich in kurzer Zeit einen Ruf zu machen. Klappt vorzüglich, wenn auch mit arg anstößigen Inhalten. Aber die Konkurrenz schläft bekanntlich nicht und das Überangebot sticht die weniger Hervorstechenden gnadenlos aus. Das Game hat Katja gecheckt und dermaßen aufgedreht, dass ihre erste Dance-Pop-Single „Doggy“ – „Gib’s mir Doggy, gib’s mir Doggy, gib’s mir Doggy“, ihr braucht euch für den Ohrwurm nicht zu bedanken – direkt bis auf Platz 7 der Singlecharts kletterte und zeigte, dass mehr drin ist als ein Vlog. Mit dem Nachfolger „Dicke Lippen“, das ungeniert Oralverkehr zum Thema machte, ging’s bei unseren österreichischen Nachbarn sogar bis an die Pole Position.
Ja, auch drei Jahrzehnte nach Madonna lassen sich immer noch mit naughty Lyrics ein paar Scheine machen. Katja ist keinesfalls eine gute Sängerin, nicht mal in Ansätzen. Aber sie verkörpert einen ganz bestimmten Schlag Typ, den man eben geil oder unglaublich billig-trashig findet. Oder auch beides. Eine Meinung hat man definitiv. 2020 folgte schließlich das langerwartete Debütalbum „Bo$$ Bitch“, das durch ominöse Beilagen wie einen getragenen Tanga und eine Handynummer schmackhaft gemacht, auf Platz 1 unter den Alben einstieg und mit einer großen Tour – die Corona-bedingt vorzeitig zum Abbruch kam – promotet wurde. Und wenn man aus gegebenen Gründen nicht live auftreten kann, wirft man noch fix seine erste Biografie „Die Bitch Bibel“ auf den Markt und klettert bis auf Platz 2 der Spiegel-Bestsellerliste.
Bei der gerade einmal 24-jährigen läuft. Kann man nicht anders sagen. Doch die Zeit ist schnelllebig und das Publikum häufig nur für einen kurzen Moment gefesselt. Es muss etwas Neues her. Genau ein Jahr nach „Bo$$ Bitch“ geht Katja mit ihrem Nachfolger Eure Mami ein Wagnis ein. Kein allzu großes, aber es ist eins. Denn wer denkt, dass man nun vielleicht gleich einen Abdruck ihrer primären Geschlechtsteile als Gimmick bekommt und sie einen Porno dreht, liegt falsch. Stattdessen macht sie musikalisch nun statt Trash-Pop auf einmal Rap. Der ist zwar bei der Zielgruppe seit einigen Jahren eh das A und O, wodurch das Risiko geringgehalten wird – wenn sich aber thematisch auf einmal kaum noch etwas um die schönste Nebensache der Welt dreht, ist irgendwas anders.
Natürlich waren schon auf der ersten LP einige Tracks mehr Hip-Hop als Pop und Katja probierte auch da schon an einigen Ecken zu rappen. Aber doch eher vereinzelt. Dieses Mal wird durchgezogen. Allein schon der Albumtitel sorgt für Gedankenkreise. 2020 war man die selbsternannte Bitch, nun ist man die Mutter der Nation. Sind etwa alle Mütter Schlampen? Hat Katja herausgefunden, dass sich permanent als Sexobjekt zu definieren, irgendwann auch ein wenig unglaubwürdig und doof kommt? Was auch immer. Corona hat uns alle verändert. Katja inszeniert sich also stattdessen nun mit regenbogenfarbenen Haaren und Baby auf dem Arm. Inhaltlich geht es glücklicherweise nicht ums Stillen, Breikochen und Windeln wechseln, sondern dem genreentsprechend um Money und Fame.
Trash ist ein ganz eigener Stil, den man auch erstmal hinkriegen muss. Besser etwas Gutes-Schlechtes als zu viel schlechtes, was gewollt gut ist – und mit „Dicke Lippen“, „Sex Tape“, „Nudes“ und „Rodeo“ lieferte die eigenwillige Künstlerin ein paar Tracks, die sich nicht zu übertrieben ernstnahmen und einfach kurzweilig unterhielten. Wem das für die Guilty-Pleasure-Playlist reichte, muss nun aber sich anderweitig umschauen. Statt Ficki-Ohrwürmern reiht sich Katja Krasavice mit eindeutig zu ernsten Ansätzen neben Loredana und Shirin David ein. Wahrscheinlich würde sie sich freuen, wenn hier eher Juju stehen würde, aber irgendwo ist dann auch Schluss. Die Rap-Skills haben sich einen Hauch verbessert, so richtig flowt da aber immer noch nicht viel. Die Beats gehen auf dem 36-minütigen Eure Mami, das sich in 14 Titeln unterteilt, klar, ist aber auch das Mindeste, was man bieten muss, wenn man eine Hip-Hop-Platte macht. Inhaltlich ist leider zu wenig lustig, zu wenig drüber und dadurch auch zu wenig gelungen.
Dabei ballert das Opening dank hervorragend ausgefeiltem Trap und mitreißender Hook volle Ladung Richtung Dancefloor. „Million Dollar A$$“ im Duett mit Fler – wow, wer hat den denn ausgegraben? – hat old-schoolige 2000er-Großraumdisse-Vibes und ist klar die beste Nummer. Danach ist aber für zig Tracks Leerlauf. Permanenter Lean-Back-Beat ohne eigenständiges Merkmal, ohne Pussy-Attitüde, aber mit einer vollen Portion „Ich bin nun so rich und eure Leaderin“. Selbstredend war die Musik von „Bo$$ Bitch“ qualitativ kein Knaller, aber irgendwie authentischer und halt unverkennbarer. „Wir bleiben wach“, „Stottert die Bitch“, „TikTok Baddie“, „Alles schon gesehen“ klingen entschieden zu ähnlich und langweilen schon beim ersten Durchlauf.
Positive Beispiele sind das verträumte wie ernste „Ich seh“, das ein Stückchen Wahrheit beinhaltet, Katjas erster Nummer-1-Singlehit in Deutschland „Highway“ im Duett mit Elif, der abschließende Titelsong „Eure Mami“ und der echt groovende Party-Hit „Friendzone“ – der einzige, der mal ordentlich die Temposchraube anzieht und durch seinen Spaßfaktor hervorsticht.
Final fragt man sich ein wenig, was Katja Krasavice mit Eure Mami erreichen mag. Mit Sicherheit geht auch dieser Longplayer an die Spitze und kann Fans für den kurzen Augenblick begeistern. Um aber ernsthaft im Rap-Game zu punkten, fehlt es dem Ganzen an Lässigkeit und Talent – und um ihrem Image treuzubleiben einfach schlichtweg an Versautheit. Katja macht bekanntlich, was sie will. Ist auch ok, aber eben nun auch beliebig.
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