Mit ihrem weit gefeierten Album „Grey Area” setzte Little Simz 2019 neue Maßstäbe: für die Rapwelt und, zuallererst, für sich selbst. „Sometimes I Might Be Introvert” heißt ihr neues Projekt und steht dem Vorgänger in keinster Weise nach. Little Simz setzt sich ein weiteres Mal erfolgreich über Genregrenzen hinweg und weitet sie aus, thematisiert Kämpfe, die sie als Schwarze Frau führen muss, spricht über Politisierung und ganz unkitschig über den Weg zur Selbstakzeptanz.
Geleitet wird sie dabei von einer unsichtbaren Stimme, sie gehört zu der britischen Schauspielerin Emma Corrin, die immer wieder in verschiedenen Interludes auf sie einredet und versucht, ihr auf dem Weg zu helfen. „Simz the artist or Simbi the person?“ – eine Frage, die die Künstlerin nicht nur im ersten Track des Albums, „Introvert“ heißt er, aufwirft. Mit einem Knall steigt sie ein, ab dem ersten Ton weiß man: dieses Album wird groß. Dieses Album wird kämpferisch, gegen den Schmerz – verursacht durch die Welt und ihr Inneres zur gleichen Zeit. Die Stimme von Emma Corrin lädt uns und die Protagonistin ein auf eine Reise über das, was es braucht, um eine Frau zu sein.
Simbiatu Ajikawo macht sich auf die Suche, schreibt eine Hymne über Schwarze Frauen, rappt über ihren Vater, der nie da war, macht ihm Vorwürfe und beschwichtigt sie gleich wieder. Hier spricht Simbi the person. Auch eine fehlende Beziehung kann formen. Sie erzählt von Momenten der Abwesenheit, durch ihren Vater, durch ihren Bruder. Momente, in denen sie sich unsichtbar gefühlt hat und nur durch ihren Körper daran erinnert wurde, dass sie noch ist. Ihr Bruder entschuldigt sich in einer der Interludes für sein Verhalten, es klingt wie eine persönliche Sprachnachricht.
Das Album verliert sich in der Ambivalenz zwischen der gut zuredenden Stimme aus dem Off und Simz, die sie zwar anerkennt, aber sich fast schon pubertär dagegen auflehnt. Während sie im einen Moment noch mit ihr darüber spricht, dass sie das Gefühl hat, immer ihre allerbeste Version sein zu müssen und niemanden in seinen Erwartungen zu enttäuschen, setzt sie sich im nächsten Track schon wieder über die Ratschläge hinweg. Ich soll auf mein Herz hören? Ruhig machen? Simz the Artist übernimmt wieder!
Ich passe in keine Box, ich bin erfolgreich, ich gehöre hier hin, ich nehm mir den Platz, der mir zusteht! Gerade auf “Rollin Stone” spielt sie mit ihrer Coolness: “counted all my losses, manifested all my wins”. Ihr könnt mir gar nichts. Irgendwann bricht diese Blase. Sie kann sich so stark präsentieren, wie sie will, gegen den Schmerz kann sie wohl trotzdem nicht ansingen, und wo ihr Platz im Leben ist, hat ihr der Erfolg auch nicht verraten. Zu sagen, sie ist aufgewacht, wäre überzogen. Es ist eher ein Erwachsenwerden, was sich beobachten lässt. Zwischen Synthies und Geigen, irgendwo in London und vor den Augen der ganzen Welt.
Das Album verfolgt diesen Prozess und dokumentiert ihn in den 62 Minuten Spielzeit. Die Interludes teilen es in verschiedenen Abschnitte und leiten die Hörer*innen genauso wie die Protagonistin. Ein Happy End gibt es nicht, aber das braucht es auch nicht. Little Simz macht sich verletzlich, am Ende ist genau das auch ihre Stärke. In jedem Track steckt ein Stück ihrer Wahrheit.
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