Rapper*innen werden Popstars – eine Entwicklung, die im letzten Jahrzehnt unaufhaltsam voranschritt. Die junge Szene scheint dabei beinahe geschlossen aktuellen Trends hinterherzulaufen. Aber eben nur beinahe. Während einst dem Hip-Hop verschworene Szenegrößen ihr Tanzbein zu dumpfen Dancehall-Drums über die Bühnen der weltgrößten Arenen schwingen oder von Bling-Bling behangen hochgradig meme-fähige Trap-Pop-Hooks trällern, wagt sich der Texaner Rapper Machine Gun Kelly mit seinem neuen Album in augenscheinlich ausgediente Genre-Tiefen.
Pop-Punk it is
Dass MGK im Jahr 2020 den MTV Video-Music-Award für die visuelle Umsetzung eines lupenreinen Pop-Punk-Songs („bloody valentine“) überreicht bekommt und nur einen Monat später mit „Tickets To My Downfall“ ein vollständiges Album im selbigen Stil veröffentlich, daran war vor zwei Jahren noch nicht zu denken. Als der 30-jährige im September 2018 mit „Rap Devil“ einen rund fünfminütigen Diss-Track gegen Rap-Schwergewicht Eminem veröffentlichte, wirkte das viel mehr wie ein endgültiger Anlauf, um sich an der Rap-Spitze der Staaten fest zu beißen. Ob der dazugehörige, mediale Backlash, die gefeierte Antwort Eminems oder die darauffolgenden, nicht sonderlich große Wellen schlagenden Projekte „Binge“ und „Hotel Diablo“ schließlich Anteile daran hatten, dass MGK dem Sprechgesang zumindest für sein neuestes Projekt den Rücken zu kehrt, bleibt unklar. Sicher ist aber, dass eine derart radikale, musikalische Erneuerung selten so authentisch klang.
Highschool-Vibes
Als hätte er nie etwas anderes gemacht versetzt Kelly einen auf seinem fünften Studioalbum straight zurück in die frühen 0er-Jahre, in denen noch Pop-Punk und nicht Trap-Rap weltweit die Charts dominierte. Eigentlich kein Wunder, hat sich der Texaner mit Blink 182-Drummer Travis Barker für die Platte eine prägende Figur dieser Zeit als Executive-Producer an Bord geholt. Ohne rückschrittlich zu wirken, hört man diese Expertise bei jeder einzelnen Anspielstation heraus. Über weitreichend heiter aufgeweckten Instrumentals bietet einem das Album den perfekten Soundtrack, um alte Fotos aus der eigenen Highschool… ähh ich meine natürlich Schulzeit hervorzukramen und in Erinnerungen zu schwelgen. Vorhersehbar und dennoch mitreißend thematisiert MGK zwischen Nananana-Gesängen und mit Beckenschlägen unterlegten „Hey!“-Rufen die ganz großen Gefühle: Liebe, Einsamkeit, Freiheit! Textlich greift Kelly auf der Platte leider etwas zu stark auf ausgelutschte Sprachbilder („my life is a rollercoaster“) oder kitschige Phrasen („even when the world is full, i am lonely without you“) zurück, macht dies dann aber, beispielsweise auf dem emotionalen „lonely“, mit starkem Stimmeinsatz wieder wett. Einen Höhepunkt erreicht der nostalgische Teenie-Trip von „Tickets To My Downfall“ auf dem energiegeladenen „forget me too“, auf dem MGK über treibenden Drums seine Qualitäten als Rapper rauskommen lässt. Lediglich Halsey, die auf dem Stück als Feature vertreten ist, wirkt in ihrer Strophe vom krawalligen Instrumental überfordert, erlangt im Refrain dann aber wieder die Oberhand.
Abgang mit Tiefe
Bevor sich der konsequente Schritt der Platte abnutzen kann, bewahrheitet sich in den letzten Minuten des Werks das, was Albumtitel und Intro-Track („title song“) bereits prophezeit haben: Die naive und jugendlich leichte Party-Laune, die Machine Gun Kelly auf seinem neusten Werk abfeiert, gleicht einer trügerischen Fassade. So hören wir auf dem abschließenden „play this when i´m gone“ keine jugendliche Leichtigkeit, lediglich schmerzerfüllte und aufrichtige Schwere. Plötzlich ist gar nichts mehr alright. In einem musikalischen Abschiedsbrief an seine große Liebe redet er über Angstzustände, Lebensmüdigkeit und die Zeit nach seinem Ableben. Schlicht, echt und viel realer als man möchte wirkt der Song dabei und lässt das Album so nicht ohne eine ordentliche Gänsehaut verklingen.
So leicht und locker wie „Tickets To My Downfall“ über die meiste Zeit seiner Spielzeit daherkommt, so tragisch endet es auch wieder. Was bleibt ist eine Erinnerung daran, wie nah scheinbar sorglose Höhen und verhängnisvolle Tiefen aneinander liegen können. Was bleibt ist ein durchaus gutes Album, das musikalisch die richtigen Knöpfe drückt und großen Spaß macht, textlich aber häufig übers Ziel hinausschießt. Oder um es in der Sprache der Platte zu sagen: Was bleibt ist ein Album, das man wohl besser mit dem Herzen als mit Kopf genießt.
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