OG Keemo – Mann Beisst Hund [Doppel-Review]

Doppelreview: Das zweite OG Keemo-Album "Mann Beisst Hund" wird 2022 neue Maßstäbe setzen. Grund genug das Ganze von zwei Seiten zu beleuchten.

Zweieinhalb Jahre ohne größeres Release sind eine Ewigkeit im Deutschrap-Game. Es spricht also Bände, dass OG Keemo derart lange brauchte, um dem hochgelobten „Geist“ einen Nachfolger hinterher zu schieben. „Mann Beisst Hund” heißt der und schlägt mit ähnlicher Wucht ein wie das 2019er Debüt. Grund genug sich dem Ganzen von zwei Seiten zu nähern.

Jonas sagt:

Es gibt Alben, die haben Aura. Diese Aura – die PR, visuelle Aufmachung, Vorabveröffentlichungen – signalisiert schon vor dem ersten Hördurchgang: Das wird groß. Das ist groß. „Mann Beisst Hund”, das zweite Studioalbum von OG Keemo, ist eines dieser Alben. 

Und es hält, was es verspricht. „Mann Beisst Hund” beißt sich weder in den eigenen Schwanz noch lässt es das Schwänzchen erschöpft in der Luft baumeln. Im Gegenteil: Es wird sich zu einem der einflussstärksten Releases 2022 mausern. Denn es hat alle Attribute eines Klassikers. Wir beginnen beim Soundbild. Zusammengeschustert hat das erneut Funkvater Frank. Dessen Handschrift – zwischen alter und neuer Schule – zeichnet die Dramaturgie, die sich von Beat zu Beat zieht. Es fiept, beschießt mit satten Bässen, nimmt zu Beginn der Reise in Empfang und entlässt einen erst 51 Minuten später wieder. Daran trägt natürlich auch der Hauptprotagonist schuld: Keemo. Vorwiegend in dessen Jugend spielen die Geschichten, die „Mann Beisst Hund” erzählt. Sie – die Jugend – konstituiert auch den Status Quo. Wir sind ein Produkt unserer Vergangenheit, könnte das Motto sein.

Entsprechend zwiespältig sind die Posen, die Keemo einnimmt. Mancherorts baut er sich groß und bedrohlich auf, prahlt mit Gewalt und Waffen und ist allem erhaben. „Ihr realisiert noch nicht, wie weit ich über euch stehe, es gibt keine Rivalität”, rappt er einmal. Anderenorts reicht Keemo einem wie sonst nur einem Therapeuten versöhnlich und gebeugt die Hand und beginnt ungehemmt von seiner innerer Zerrissenheit zu berichten. „Vögel“ – einer dieser ultrakrassen Storyline-Tracks – etwa berichtet von Opfern, die zu Tätern werden, von Drogenmissbrauch und Angstattacken, von Krisen und dem Stürzen ins Ungewisse. Ebenfalls eindringlich ist „Töle“. Der zieht eine Linie von der Vergangenheit in das Jetzt, ist eine Aneinanderreihung von Vorwürfen, die alte Siedlungs-Freunde aussprechen. „Du hast uns im Stich gelassen“, ist die Essenz, doch was sie eigentlich sagen wollen ist: „Wir vermissen dich.“ Nahbar ist zudem auch das melancholische „Regen“, ein zerrütteter Love-Song – gerichtet an eine Handfeuerwaffe. Diese Hook, sie ist groß.

Groß ist auch die Metaphorik. Von den Jugendfreunden Malik und Yasha, über den Hund, dem Ziller, hin zu der generellen Vermengung von Mensch und Vierbeiner. Außerdem: Die 9 (die Pistole) als Symbol für das Ende, die 8 (der Geburtstag der Großmutter und des Kindes) für das Leben. Und auch: Der geklaute Civic, die Treppe vor dem Block, auf der konsumiert und getickt wird, der Sandmann als Todesbringer. All das, zentrale Motive auf „Mann Beisst Hund“ und wichtige Eckpfeiler auf Keemos bisherigem Lebensweg. War der Vorgänger „Geist“ eine wütende Gesellschaftsskizze der Zustände in der Siedlung, so ist „Mann Beisst Hund“ dementsprechend eine mitreißend ausformulierte Erzählung über das Aufwachsen in ebenjener sowie eine Abhandlung der daraus resultierenden psychischen Zerrüttung. Die Aura stimmt, der Inhalt ebenso: Ein Klassiker?

Leonie sagt:

„Wenn Hund Mann beißt, sind wir schuld. Wenn Mann Hund beißt, sind auch wir schuld. Weißt du, was ich mein?”

Das Album beginnt wie ein Film, es klingt nach einer Kneipenszene. Während eine unbekannte Stimme OG Keemo und seinen Produzenten, Funkvater Frank, lallend einleitet, läuft im Hintergrund Jazz. Doch dann switcht die Narrative aprupt in die Papageiensiedlung in Mainz und wir werden dort abgeholt, wo uns „Geist“ 2019 zurückgelassen hat. Auf dunklen Straßen zwischen zwölfstöckigen Hochhausbauten. Mit Vertigo, Schwindel, Ohrensausen führt uns Karim Joel Martin durch die Straßen seiner Jugend. Und es ist ganz anders als auf Geist.

Ich werde es nicht leugnen, ich mag es, wenn Alben rote Fäden haben, Anfang und Ende, Punkte, die aufgegriffen, und Kreise, die geschlossen werden. Alben, bei denen man merkt, da steckt mehr dahinter als nur eine mehr oder weniger wahllose Aneinanderreihung von mehr oder weniger zusammenhängenden Songs. „Mann Beisst Hund“ ist eines dieser Alben.

Wir steigen bei seinem 17-Jährigen Ich ein und werden eine knappe Stunde später wieder rausgelassen, zwölf Jahre später, als er schon lange nicht mehr in der Siedlung wohnt und inzwischen sogar Vater geworden ist. Und in diesen zwölf Jahren Geschichte taucht immer wieder die Metapher des Hundes auf, an der sich das Album entlang hangelt und immer wieder aufhängt, mal indirekt, mal ganz explizit wie auf den beiden Skits. „Hund Skit” und „Mann Skit” spielen einen Dialog ab, der wohl beim Kiffen in der Siedlung stattgefunden hat und Überlegungen von dem Kräfteverhältnis zwischen Mann und Hund und gleichzeitig verschiedenen und ähnlichen Verhaltensweisen formuliert.

Es werden Vergleiche aufgestellt und im Hund eine Symbolik für die Rolle des Menschen in der Gesellschaft gesucht – am Ende ist unser Verwendungszweck zum Leben schließlich auch nur: Essen, Schlafen, Fortpflanzen, Sterben. Und doch: wer trägt die Verantwortung dafür? Für uns und für andere. Vielleicht auch für Hunde. Wenn der Hund Angst hat, rennt er. Aber erst wenn jemand anfängt zu rennen, jagt er. Wie ist da das Kräfteverhältnis? Und wie können wir das auf uns Menschen übertragen?

Keemo gibt uns zwar keine direkten Antworten auf die Fragen, die er andere auf seinem Album aufstellen lässt, aber seine Erzählungen aus seiner Jugend, aus dem Leben in der Kriminalität, sie enden auch oft im Rennen. Wenn er über einen Beat aus heulenden Sirenen hinwegrappt und von einem Überfall erzählt, dann klingt das für mich, als stecke da mehr dahinter als bloß eine romantisierte Gangster-Ästhetik.

Das Album endet wie auch schon „Geist“ mit der Ankunft im Jetzt und vielleicht auch einer Art Friedenschließung mit dem Selbst und der eigenen Vergangenheit. Jetzt ist es nicht nur er selbst, jetzt gibt es da auch noch ein Kind. Vielleicht ist das auch eine Art Antwort auf die Frage der Verantwortung.

Hier kannst du dir „Mann Beisst Hund“ kaufen und hier gibt es Ticket für die Tour.*

Und so hört sich das an:

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OG Keemo live 2022:

30.03 – Nürnberg, Z-Bau
31.03. – München, Freiheitshalle
01.04. – Zürich, Dynamo (CH)
02.04. – Wien, Flex Halle (A)
06.04. – Hannover, MusikZentrum
07.04. – Bremen, Tower
09.04. – Leipzig, Naumanns
10.04. – Berlin, Festsaal Kreuzberg
20.04. – Stuttgart, Im Wizemann
21.04. – Münster, Skaters Palace
22.04. – Köln, Live Music Hall
23.04. – Frankfurt, Batschkapp
24.04. – Hamburg, Fabrik
14.05. – Konstanz, Campus Festival
28.-29.05. – Karlsruhe, Hook Up Festival
03.06. – Mannheim, Süd Süd Fest
06.08. – Hamburg, Spektrum Festival

Die Rechte für das Albumcover liegen bei Chimperator.

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