Das neue Pinegrove Album „11:11“ ist Musik für etwas zu nachdenkliche Menschen mit Naturfimmel. Wer in Text und Musik herausfordernde Kunst mag, sollte der Platte jedoch auch als Nicht-Naturfreak ein Ohr leihen.
Rein musikalisch ist vieles auf dem fünften Album der Band von der Ostküste der Vereinigten Staaten mehr Stimmung als Hit. Sänger Evan Stephans Hall nämlich – er bedient auch eine der Gitarren – neigt dazu Vokale mit seiner nasal-nuschelnden Stimme so lang zu ziehen wie so manches Feld in seiner Heimat blicken lässt. Auch die oft wenig überladenen Produktionen strecken minimale Variation auf viel Fläche. Zu langatmigen Spaziergängen in der Natur und der dort geweiteten Aufmerksamkeitsspanne passt das. „Habitat“ zum Beispiel berieselt knapp sieben Minuten lang und unterfüttert das metaphorische Naturszenario dann auch noch mit frühmorgendlichem Vogelgezwitscher. „Iodine“ lässt zwei Songs später nachdenklich Wolkenspiele begutachten, den Kopf dabei im trägen Groove schwingen, während im Hintergrund ein Math-Rock-Motiv blubbert.
„Habitat“ jedenfalls bleibt mit Abstand das längste Stück und bekommt zur Auflockerung gleich einen knackigen Zweiminüter nachgesetzt. Das – „Alaska“ – stampft samt pointierter Snare auf der Zwei und Vier enthusiastisch durch bewaldete Hügellandschaften. Ja, immer wenn die Indie, Country, Emo-Kreuzung von Pinegrove mitreißen möchte, dann wird es auch lauter – ein wenig zumindest. So auch im tückisch gutlaunig-anmutenden „Flora“, dessen zweite Strophe auch als eingängiger Chorus durchgegangen wäre. Aber Hits schreiben, das möchte die Band scheinbar nicht. „Now I’m walkin’ outside, nothing feels good; Take a blue meander into the woods; Nothing’s shining like I feel like it should; And the birds singing dissident tunes“, besingt Hall einen weniger idyllischen Spaziergang. Aber doch: diese Musiker*innen sind echt Naturbursch*innen.
Die Natur oder eher deren Schutz sind außerdem auch andersartig präsent: „Orange“ lässt Zuhörer*innen den von massiven Waldbränden blutorange gefärbten Himmel über dem Bundesstaat Oregon betrachten, dessen Bilder im September 2020 um die Welt gingen. Und auch das angesprochene „Alaska“ behandelt lose die aus der Vogelperspektive ersichtlichen menschlichen Eingriffe in die Natur. Stumpfe politische Manifeste sind das – zum Glück – nicht. Dafür sind die Bilder zu vage und dafür fehlen die aus den Beobachtungen abgeleiteten Forderungen. Die Position der Band jedoch ist unmissverständlich. Immerhin spielt die Umwelt eine derart bedeutende Rolle in ihrer Kunst.
Die Zeit und Geduld, die lange Wanderungen mit sich bringen, lassen sich also wunderbar darin investieren, beim Durchhören Halls Texten zu folgen. In denen – es deutet sich im obigen Zitat bereits an – schlägt sich dessen Faible für Lyrik und Poesie nieder, auch wenn er bei Pinegrove vorrangig in der direkten Ich-Form textet. Nahbarer wird das Ausgesprochene dadurch, nahezu erlebbar. Die perfekte Musik für introvertierte Menschen mit Hang zur Natur.
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