Das erste Solo-Album kann streckenweise ganz schön an den Nerven zerren, wenn man eigentlich einer erfolgreichen Band-Formation angehört. Diese Erfahrung mussten im vergangenen Jahr bereits Yassin, der sonst vor allem an der Seite von Audio88 wütende Rhymes in das Mic spittet, und Kraftklub-Frontmann Felix Brummer alias Kummer durchmachen. Umso länger man mit seinem Hauptprojekt die Runde macht, umso höher sind die Erwartungen an die erste eigene Musik fernab dieses Schaffens. Auch Tarek Ebéné, der laut der seriösen Bild-Zeitung ansonsten mit seiner Gruppe K.I.Z. als Hass-Beschwörer die Massen in Ekstase versetzt, widmet sich erst nach fünf gemeinsamen Studioalben und drei Mixtapes seinem ersten großen Solo-Projekt. Dementsprechend groß muss der Druck gewesen sein, der in den letzten Monaten auf dem Mittdreißiger lastete. Damit ist aber zunächst Schluss: Mit wenig Verspätung erscheint nun das erste Album von Tarek K.I.Z., das der Rapper „Golem“ taufte.
Die Schnittstelle mit K.I.Z.
Die Grenzüberschreitung und Provokation gehören zu K.I.Z. wie der Stress zum von der kapitalistischen Gesellschaft geprägten Alltag. Deshalb verblüfft es nicht, dass auch die zwölf Stücke auf „Golem“ häufig derbe vor den Kopf stoßen. „Bang Bang“ beispielsweise reiht über elektrifizierendem Dance-Hall-Beat morbide Gewaltfantasien aneinander. Da heißt es dann, Tarek wolle Bernd ähm Björn Höcke an einem Apfelbaum erhängen. Der Name wird zwar von einem lauten Piep-Ton übertönt, heraushören lässt sich trotzdem, von wem hier die Rede ist. Im Musikvideo von “Nach Wie Vor” werden diese Fantasien teilweise Realität: Hier ermordet Ebéné nacheinander verschiedene Personen, die gewissen AfD-Funktionären wohl nicht zufällig ähneln. Auch „Wenn Du Stirbst“ prägen Mord-Gelüste. Singt Tarek K.I.Z. die Hook von „Bang Bang“ noch nahezu lässig, so durchziehen die Aggressionen hier auch die wütend vorgetragene Autotune-Hook. Gerade solche Momente verleihen den Songs eine gewisse Authentizität, die das Hörerlebnis noch intensiver gestaltet. Auch Stücke wie das eingängige „Nach Wie Vor“, das unverschämt funkige „Nubischer Prinz“ oder „K.I.Z. Für Immer“ – natürlich inklusive Bild-Zeitung-Diss – mit den zwei vertrauten Kollegen Maxim und Nico lassen sich thematisch nahe der Hauptband verorten.
Von Selbstreflexion und Gesellschaftskritik
In vielen Songs schlummert unter der Provokation jedoch eine tiefere, selbstreflexive Ebene, die selbst nach Ende der knappen vierzig Minuten Spielzeit noch lange betroffen macht und in solcher Form nur selten im Projekt K.I.Z. Einzug findet. Das schwingt auch in „Kaputt Wie Ich“ mit, einem düsteren Love-Song zwischen Trap-Beats und E-Gitarren. Die Atmosphäre des bedrückenden Textes zieht sich vor allem hier in die musikalische Untermalung. „Letzte Chance“ behandelt wiederum die häusliche Gewalt des Schwiegervaters und führt diesen Vibe fort. Dominieren die Songs häufig flotte Hi-Hats und knallige Synthies, so setzt „Freak“ vorrangig auf Akustik-Gitarren, Streicher und Klavier, während Tarek K.I.Z. von einer ganz besonderen Frau berichtet. „Frühlingstag“ beschäftigt sich im Anschluss mit einem nicht weniger persönlichen Thema: Der Beziehung zu seinem mittlerweile verstorbenen Vater. Das persönliche Element spielt auf „Golem“ also durchaus eine tragende Rolle.
Immer wieder bieten die Songs – ob persönlich oder kontrovers – außerdem Raum für Gesellschaftskritik. So beschäftigt sich „Letzte Chance“ unterschwellig gleichzeitig mit den Wirkungen unserer menschlichen Umwelt auf das Sozialhilfesystem. So heißt es dort: „Dem Mann vom Jugendamt fallen die Augen zu, denn es ist sein 25. Hausbesuch.“ Sozial verträgliche Jugendhilfe und Kapitalismus scheinen nur eher mäßig miteinander zu können. „Weißer Drache“ beschäftigt sich wenig später in ehrlicher und ungeschönter Weise mit der Beziehung zum weißen Gold Kokain. Es ist ebenfalls kein Geheimnis, dass die zwanghafte Suche nach dem erlösenden Rausch häufig gerade Menschen in sehr leistungsorientierten Berufen trifft. „Ticket Hier Raus“ ist ganz zu Anfang noch klarer systemkritisch. Während die Strophen unsere Gesellschaft skizzieren, sehnt sich der Protagonist im Refrain nach dem Ausweg aus ebendieser. Wenn man sich so manche Kennzeichen unseres Zusammenlebens anschaut, ist dieser Wunsch gar nicht mal so abwegig.
Auf textlicher Ebene eckt „Golem“ oftmals an und bietet gleichermaßen Grübel-Potential. Die Themenkomplexe, die Tarek K.I.Z. anspricht, sind selten leichte Kost. Dementsprechend lange verliert man sich nach jedem Durchlauf in Gedanken über die verschiedenen Problematiken, die hier und da angerissen werden. Rein musikalisch setzt die Platte zumeist auf einen modernen Trap-Sound, der nicht vor der Verwendung von Autotune zurückschreckt, aber niemals eintönig wird. Viele der Hooks sind außerdem ungewohnt hittig, ein Umstand, der die Nachwirkung der Songs nur noch mehr verstärkt. Dass da viel Arbeit und Zeit reingeflossen ist, glaubt man da sofort.
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Und so hört sich das an:
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Tarek K.I.Z. live 2020:
15.02.2020 Wien, Flex (AT)
16.02.2020 Zürich, Plaza (CH)
17.02.2020 Stuttgart, Im Wizemann Halle
19.02.2020 Köln, Gloria (Ausverkauft)
21.02.2020 Leipzig, Conne Island (Ausverkauft)
22.02.2020 Hamburg, Uebel & Gefährlich (Ausverkauft)
23.02.2020 Hamburg, Uebel & Gefährlich (Zusatzshow)
25.02.2020 Dortmund, FZW
26.02.2020 München, Muffathalle
28.02.2020 Berlin, Festsaal Kreuzberg (Ausverkauft)
29.02.2020 Berlin, Festsaal Kreuzberg (Ausverkauft)
Die Rechte für das Cover liegen bei Eklat Tonträger.
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