Das nächste Album für die Sparte: The Hirsch Effekt aus Hannover nehmen sich auch auf ihrem fünften Studioalbum „Kollaps“ der Aufgabe an, Musik für die Nische zu produzieren. Wagte sich das Power-Trio in der Vergangenheit bereits an orchestrale und chorale Arrangements, brutale Mathcore-Versatzstücke und klassischen Pommes-Gabel-Metal, so geht es die Sache nun etwas elektronischer sowie epischer an. Der chaotische Twist der ersten vier Studiowerke bleibt dabei erhalten, auch wenn die Band sich mit ihrer inhaltlichen Ausrichtung dem Zeitgeist und damit angesagteren Thematiken nähert.
Klima-Krise? Corona-Krise?
Scheinbar bietet der Musikmarkt momentan zwei Veröffentlichungsstrategien. Deine Platte passt nicht in die Zeit: Verschieben. Du schreibst über Dinge, die sich auf die aktuelle Lage übertragen lassen: Nur raus damit. Für The Hirsch Effekt trifft letzteres zu. Trotz des Stillstands der Industrie erscheint „Kollaps“ Mitte Mai 2020. In dem Moment des Innehaltens trifft die Platte einen Nerv: Die Texte von Sänger und Gitarrist Nils Wittrock drehen sich zwar nicht um Kapitalismus, Seuchenausbreitung und Co., sondern um den Klimawandel und die gesellschaftliche Aufarbeitung der mit ihm einhergehenden Krise, kommen aus zweierlei Gründen jedoch zur rechten Zeit. Zum einen verschwindet die Dringlichkeit der Beschäftigung mit den mensch-gemachten Auswirkungen auf unsere Umwelt auch in Corona-Zeiten nicht. Zum anderen wird der Diskurs um beide Phänomene – Corona-Virus und Klima-Wandel – von ähnlichen sozialen Ausgedünsten begleitet: Was Mensch nicht greifen kann, das hinterfragt er. Fachkenntnisse: Geschenkt! Wissenschaft: Geschenkt! Lang lebe die Verschwörungstheorie!
Probierte sich die Band auf dem Vorgänger „Eskapist“ erstmals an Gesellschaftskritik, so trifft Wittrock nun erneut klare Worte: „Hey, kein Grund zu Panik! (…) I say no politics can stop me now, I’m living the dream!“ heißt es in „Noja“. Brisante, aber doch wahre Worte! Währenddessen verliert sich die Band in chaotischem Math-Geballer und probiert sich gar an einem Rap-Feature. An anderer Stelle geht es noch spezifischer zu: „Bilen“ beispielsweise beschäftigt sich über stampfendem Metal-Instrumental mit kleinen Math-Core-Ausflügen auf nahezu parodistische Weise mit dem Fortbewegungsmittel Auto. Da heißt es dann: „Ich bin äußerst wertvoll. Wer mich besitzt ist nicht dumm. Jeder versteht meine Sprache: Ich mach brumm, brumm.“
Nieschiger Progressive-Ritt
Ganz am Anfang von all dem steht ein dramatisches Crescendo. Hat das all seine Energie entladen, übernehmen Hirsch Effekt-typische Stakkato-Riffs sowie Klavier. Dabei zeigen sich die Hannoveraner ungewohnt eingängig – wären da nicht die brutalen Growls von Bassist Ilja Lappin, die auch das Eröffnungsstück zieren. Drei Songs ziehen The Hirsch Effekt im Anschluss das Tempo an: „Noja“, „Deklaration“ und „Allmende“ treiben sich zwischen 160 und 180 Beats per Minute umher und fallen in der Diskographie der Gruppe bis auf kleinere Experimente – man denke an den Rap-Part – kaum auf. Die Ausreißer-Momente spart sich das Trio für die zweite Hälfte des nischigen Progressive-Ritts auf. So bauen „Agera“, „Torka“ sowie der Titeltrack auf dichte Atmosphäre und lassen sich genug Zeit für Spannungs- und Melodiebögen. „Domstol“ zudem durchläuft eine wahnwitzige Genre-Gradwanderung von Mariachi-Solo über brachiale Thrash-Metal-Stakkatos und Gebrüll hin zu Math-Rock-Gitarren und Blast-Beats.
Während all dieser schweren Progressive-Momente bleiben die meisten Stücke mit Spielzeiten zwischen dreieinhalb und siebeneinhalb Minuten verhältnismäßig kurz. Dauerte „Holon : Anamnesis“ mit seinen neun auditiven Epen noch knapp über eine Stunde an, so kratzen die zehn Stücke von „Kollaps“ gerade einmal an der fünfzig Minuten-Marke. An der Komplexität des Gesamtwerkes ändert das nichts: Auch zwölf Jahre nach ihrer Gründung produzieren The Hirsch Effekt noch immer Musik für die absolute Nische. Dem kann auch ein zeitgenössischer inhaltlicher Fokus nicht entgegenwirken.
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Und so hört sich das an:
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The Hirsch Effekt live 2020:
12.09. Bremen – Hellseatic
30.10. Berlin – Club GRETCHEN
31.10. Hannover – Béi Chéz Heinz
01.11. Hamburg – Logo Hamburg
02.11. Dresden – Beatpol
03.11. Jena – F-Haus Jena
09.11. Frankfurt – Nachtleben
10.11. Wien – FLEX
11.11. München – Backstage München
12.11. Karlsruhe – Die Stadtmitte Karlsruhe
13.11. Marburg – Kulturzentrum KFZ Marburg
14.11. Köln – Club Volta
15.11. Bochum – Rotunde – Alter Katholikentagsbahnhof
Die Rechte für das Albumcover liegen bei Long Branch Records.
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