Twenty One Pilots – Scaled And Icy

Review: "Scaled And Icy" von Twenty One Pilots steht unter dem Zeichen der Dema-Übernahme. Das sind nicht nur methaporisch schlechte News.

Tyler Joseph und Josh Dun befinden sich in Gefangenschaft, denn die beiden Twenty One Pilots-Köpfe sind in die Fänge von Dema geraten. Die Stadt übernimmt daher fortan die Kontrolle über das Auftreten und Schaffen der Band. Das sind nicht nur metaphorisch schlechte Neuigkeiten, sondern ist auch in Realität durchwachsen.

In den Fängen von Dema

Doch erstmal von vorne. Das Vorgängeralbum „Trench“ zeichnete eine düstere Befreiungsgeschichte nach. Die Stadt Dema und die neun Bischöfe, die sie beherrschen, repräsentieren mentale Negativzustände wie Unsicherheiten und Depressionen. Doch einige Aufständige – ihre Erkennungszeichen: ein grelles Neon-Gelb – stellen sich gegen diese Herrschaft der Negativität und befreien von Zeit zu Zeit Bewohner*innen Demas vor deren Schreckensherrschaft. Unter ihnen ist auch Clancy, der im Verlauf des Albums den Versuch unternimmt aus Dema zu fliehen. Die Erzählung von „Trench“ endet dort – mit unbekanntem Ausgang.

Auch wenn „Scaled And Icy“ diese Geschichte nicht chronologisch weiterspinnt, so gibt es doch Hinweise darauf, was danach geschah. Der Albumtitel ist ein Anagramm für „Clancy Is Dead“ und das Dema-Logo prangt prominent auf den Artworks. Fans nehmen daher an, dass Clancy von den Bischöfen gefasst und zurück nach Dema gebracht wurde. Insofern wird das Album als Propaganda-Mittel der Stadt verstanden.

Dementsprechend anders ist „Scaled And Icy“. Das gilt in erster Linie für die Musik. Dem pastellfarbenen Cover entsprechend lässt diese mehr Farbe zu, klingt optimistischer und setzt kaum Schattenplätze. Sinnbildlich für diese Entwicklung steht ein Gute-Laune-Langweiler wie „Bounce Man“ oder ein Funk-Popper wie „Saturday“. Letzterer hätte vielleicht vor einer halben Dekade als zeitgeistig und modern gegolten, wird heutzutage aber nur als angestaubt wahrgenommen. Schade.

Das Problem der Mitte

Auch konzeptionell ist der sechste Twenty One Pilots Langspieler losgelöster. An der Oberfläche entdecken Zuhörer*innen kaum Bezüge zu den alten Erzählsträngen, Unbeschwertheit prägt den Gesamteindruck. Doch der Schein trügt: Die Düsternis findet versteckter statt. Und auch die Psyche spielt noch immer eine Rolle – der Kontext ist jedoch ein anderer. Der Albumeröffner „Good Day“ beispielsweise ist nicht nur ein Queen-Gedenkmoment, sondern die vertonte Manie nach einem traumatischen Verlust. Dieser Umgang mit plötzlichen Todesfällen behandelt auch „Redecorate“. Die Angst vor und der Umgang mit Verlusten bildet also die Klammer von „Scaled And Icy“. Gar nicht mal so leichte Kost. „No Chances“ bedient das „Trench“-Narrativ zudem direkt. In bedrohlichem Choral verkündigen die Bischöfe: Sie sind hinter Clancy her. Das intensive Instrumental greift dem beklemmenden Text unter die Arme.

Wie viele Kanten ein guter Pop-Song verträgt, beweist das hittige „Shy Away“, das neben plötzlichen Drum-Breaks auch Screams zulässt. Dass „Scaled And Icy“ trotz dieser vielen gelungenen Momente im Gesamteindruck durchwachsen erscheint, verschuldet vor allem der Mittelteil der Platte. Dort möchte Dema – ähm – die Band zu viele verschiedene Stilistiken miteinander in Einklang bringen und verliert in dem Zuge an charakteristischen Selbstbild. „Never Take It“ möchte entspannter Indie-Rock sein, „Mulberry Street“ unbefangener Piano-Pop und „Formidable“ eine bombastische Drangsal-Ballade – nur ohne den Willen zur Rebellion, den der Wahl-Berliner mitbringt. Die Übernahme tut den Protagonisten schlussendlich also auch in der Wirklichkeit nicht immer gut. Bleibt für die Zukunft zu hoffen, dass es Clancy und der Band gelingt, doch noch aus Dema zu entkommen.

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Die Rechte für das Albumcover liegen bei Warner Records.

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