Ich weiß nicht, ob es nur mein persönlicher Eindruck ist, aber Award-Shows wirken mittlerweile teilweise wirklich ein bisschen aus der Zeit gefallen. Es gibt zwar tausende Preise, letztendlich läuft es dann aber doch meistens gleich ab: Die Kategorien werden nacheinander abgearbeitet, die Nominierten werden kurz vorgestellt, ein kurzer Moment der Spannung, dann wird der oder die Gewinner*in verkündet, kommt auf die Bühne, bedankt sich, kurze Rede, bisschen blabla, Applaus Applaus und nächste Kategorie.
Dass dieses Konzept und die damit einhergehenden oft stundenlangen Preisverleihungen nicht mehr ganz zeitgemäß sind (wenn sie es denn überhaupt jemals waren), scheint auch der Akademie für Populäre Musik (angedockt an die staatlich finanzierte Initiative Musik) aufgefallen zu sein – denn sie setzte sich das ehrgeizige Ziel, bei dem von ihr ins Leben gerufenen Preis POLYTON wirklich alles anders als andere Musikpreise zu machen. Ob das gelungen ist, versuche ich hier im Folgenden ein kleines bisschen aufzudröseln (Spoiler: Eine wirklich endgültige, zufriedenstellende Antwort wird es trotzdem leider nicht geben).
Wozu noch einen neuen Musikpreis?
Vielleicht zuallererst die berechtigte Frage: Braucht es überhaupt noch einen Musikpreis? Die Geschichte vom Echo müssen wir nun wirklich nicht wiederholen, die 1Live-Krone ist in den vergangenen Jahren immer relevanter in der Szene geworden, der Preis für Popkultur deckte die etwas nischigeren Genres und Kategorien ab und Nachwuchsförderungen wie den New Music Award gibt es ebenso wie große, kommerzielle Award-Shows wie die MTV EMAs. Wozu also noch ein Preis? Die Antwort lieferten Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Sängerin und Initiatorin des Preises Balbina in ihren Eröffnungsreden: Beim POLYTON soll es um Qualität statt um Quanität gehen. Es zählen keine Verkaufszahlen, kein Publikumsvoting, keine Streams, sondern nur die Kunst selbst. Ein Preis von Musiker:innen für Musiker:innen, wie immer wieder betont wurde.
Und tatsächlich befanden sich sowohl unter den Nominierten, als auch unter den Gästen der Verleihung Vertreter:innen sämtlicher Genres, vom Newcomer bis zur etablierten Pop-Größe, von Rap bis Schlager, von Ebow bis Herbert Grönemeyer. Die acht verschiedenen Kategorien waren bewusst offen formuliert, etwa in “Text”, “Performance”, “Teamwork” oder “Komposition”, sodass auch innerhalb der einzelnen Kategorien große Vielfalt unter den nominierten Werken herrschte. Im Vorfeld der Verleihung konnte man sich diese nochmal in Form einer Art Kunstausstellung in einem separaten Gebäude anschauen – hier hing jedes nominierte Werk als Grafik-Installation an der Wand und war außerdem auf eine Tischdecke gedruckt über einen der vielen Stehtische geworfen, während an der Decke die Nominierten über einen kreisrunden Monitor liefen.
Dass die Kunst im Zentrum des Preises stehen soll, war somit absolut keine leere Versprechung. Dennoch brauchte meinem Gefühl nach nicht nur ich einen Moment, um all diese Installationen miteinander in Verbindung zu bringen – während viele Gäste es von der Bar im Nebengebäude gar nicht bis dorthin schafften.
Hochkarätige Acts auf der kreisrunden Bühne
Zur eigentlichen Preisverleihung ging es dann nochmal in ein anderes Gebäude. Dieses Mal etwas fancier als die große Lagerhalle, in der Bar und Kunstinstallation untergebracht waren, mit Teppich ausgelegt, einer großen, runden Bühne in der Mitte – und ohne Stühle. Das Ganze wirkte dadurch fast mehr wie ein Konzert als wie eine Preisverleihung, was der Stimmung aber wahrscheinlich eher gut als schlecht tat. Auch hier war über der Bühne wieder ein runder LED-Monitor angebracht, auf dem im Verlauf des Abends die Gewinner:innen aus jeder Kategorie zu sehen sein sollten, wie die Moderatorin ShaNon erklärte. Außerdem sei auch sonst alles etwas anders gestaltet und die Kunst solle im Mittelpunkt stehen, weshalb die Gewinner:innen die Bühne beim Entgegennehmen des Preises nicht betreten und stattdessen andere Künstler:innen ihre Werke performen würden.
So weit, so kryptisch. Den Reaktionen in meinem Umfeld konnte ich entnehmen, dass nicht nur ich keine Ahnung hatte, was mich nun erwartete. Dann wurde es dunkel, die Chor-Formation “A Song For You” betrat aus dem Publikum heraus singend die Bühne und zeigte schon zur Eröffnung eine der schönsten Performances des Abends, bevor es mit der ersten Kategorie des Preises losging. Ab jetzt kann man sich den Ablauf der gut einstündigen Show ungefähr so vorstellen: Die Bezeichnung der Kategorie läuft gemeinsam mit dem Namen des Gewinner:innen-Werks oder der gewinnenden Person über den Monitor, eine Gruppe von Tänzer:innen betritt die Bühne und performt zu einem Song des Gewinners oder der Gewinnerin. Den Preis bekommen diese währenddessen mitten im Publikum überreicht. Es folgt als kurze Show-Act der Auftritt eines anderen Musikers/einer Musikerin, dann folgt die nächste Kategorie, zu der wieder die Tänzer:innen auf die Bühne kommen.
Ich muss schon sagen: Selten hat sich eine Stunde so kurz angefühlt wie hier. Es gab nicht eine einzige kurze Pause zwischendurch, es folgte Act auf Act, Tanz auf Gesang auf Rap auf Tanz. Die Bandbreite der Künstler:innen die auf der Bühne standen ging von Phenix und Ebow über Paula Hartmann und Bosse bis hin zu Herbert Grönemeyer und Graf Fidi. Und die rund einstündige Show hat gezeigt: Preisverleihungen können auch ohne ellenlange Reden, Vorstellungen der Nominierten und gestelzte Überleitungen von Moderator:inenn auskommen.
Ein Preis für eine Bubble?
Der Versuch, mit dem POLYTON einen Musikpreis zu etablieren, der vieles anders macht als andere Preise und wirklich die Kunst und die Künstler:innen in den Mittelpunkt stellt, ist sicherlich geglückt. Auch wenn die Gewinner:innen für meinen Geschmack auch selbst noch etwas mehr Raum hätten bekommen können, war diese Veranstaltung wirklich eine angenehme Abwechslung zu stundenlangen Award-Shows mit sich ständig wiederholenden Laudatios.
Was aber auch bleibt, ist das Gefühl, dass dieser Preis und die ganze Show eben trotzdem noch extrem innerhalb einer speziellen Bubble stattfindet. Ja, es handelt sich um einen Preis von Künstler:innen für Künstler:innen – aber sollte er nicht trotzdem auch eine gewisse Nähe zum Publikum haben? So fühlte sich die Show doch sehr nach brancheninterner Selbstbeweihräucherung an, die trotz betont diversem Line-Up niemals für alle und jeden zugänglich sein kann. Ob sie das überhaupt muss, ist eine andere Frage. Aber man sollte sie sich definitiv stellen.
So oder so bleibt es spannend, wie es mit dem Polyton weitergeht – und ob sich der Prototyp dieses Konzept einer Preisverleihung auch in zukünftigen Ausgaben fortsetzen wird. Eine willkommene Abwechslung und ein künstlerisch extrem spannender Abend waren es allemal.
Mehr Berichte von Musikpreisen gibt es hier.
Und so sah der Polyton 2023 aus:
Fotos: Emilia Knebel
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