Annett Louisan, Palladium Köln, 16.11.2023

annett louisan köln 2023

Plötzlich steht sie nur wenige Meter entfernt auf einem Stuhl mitten zwischen den Besucher*innen. Annett Louisan singt selbstironisch über ihre Körpergröße in dem Song „Klein“, zu finden auf dem vor vier Jahren erschienenen Album „Kleine große Liebe“ . Die Barriere zwischen Musikerin und Fans verschwindet. Das passiert aber nicht nur, weil sie die körperliche Distanz verringert, sondern dies auch durch die Musik schafft. Immer.

Mal ehrlich: Unter dem Prädikat „sehr gut“ geht die ja wirklich nie. Wir sind nun das dritte Mal dabei. Das erste Mal war ebenso wie das nun letzte Mal im Kölner Palladium. Annett erinnert sich selbst gern an die Tour im Herbst 2019 zurück, wie sie sagt. Danach war aufgrund einer globalen Pandemie vorerst Zapfenstreich. Sobald es jedoch ging, stand die Wahl-Hamburgerin wieder auf die Bühne und überzeugte uns im Frühjahr 2022 in der Düsseldorfer Tonhalle auf demselben Niveau. Und spätestens bei drei Versuchen ist es wohl kein Zufall mehr. Anscheinend ist Annett Louisan einfach immer großartig. Venue, Alter, Setlist – egal. Eine so sichere Bank, dass man sich schon viele Tage zuvor sehnlichst drauf freut und beseelt den Saal verlässt.

Und irgendwie wird’s sogar stets immer noch einen Funken besser. Das im Februar herausgekommene zehnte Studioalbum „Babyblue“ zählt zweifellos zu ihren allerbesten LPs. Womöglich ist es sogar die beste, weil es im Sound noch größer, opulenter, stilvoller klingt und sie gesanglich nochmal andere Facetten zeigt. Am Ende gibt es aber jene Longplayer, die nur im Studio funktionieren, weil die Produktion so gut ist. Und ja, Tim Tautorat hat alles gegeben – aber am 16.11., einem Donnerstagabend, fällt im bestuhlten, fast ausverkauften Kölner Palladium auf, dass die neuste Platte live genauso hervorragend funktioniert und einem Konzept ähnelt.

27 Songs stehen auf der Agenda. Von der zwölf Tracks umfassenden „Babyblue“ gibt es gleich zehn, alle in der ersten Hälfte. Annett und ihre vierköpfige Band spielen in der Konstellation erstmalig eine gemeinsame Tour. Merkt man nicht. Zweimal eine Stunde lang gibt es schlichtweg perfekten, makellosen Sound, unbeschreiblich schönes Licht in unterschiedlichen Farben sowie eine höherangebrachte gebogene Lichterkette, die ein wenig an einen Rummel erinnert. Es wäre unfair, einen ihrer vier Musiker besonders hervorzuheben, da wirklich alle so wahnsinnig gut spielen. Immer wieder erstaunlich, wie stark live sein kann, wenn alle Beteiligten was draufhaben.

Die Atmosphäre ist so angenehm warm, dass es sich wie eine kuschelige Decke anfühlt, die Annett eng um einen legt. Ein Konzert, in dem man so richtig drin ist. Pure Cozyness. Ein Pre-Weihnachtsfeeling. Beide Sets funktionieren unterschiedlich. In der ersten Hälfte lauscht man „Babyblue“ fast in der Reihenfolge wie auf dem Album. Viele Texte drehen sich um das Älterwerden, das Annehmen von Vergänglichkeit, der Wichtigkeit von Liebe, Heimat, aber auch dem Freidrehen der heutigen Gesellschaft. Das ist einerseits typisch humoristisch („Große Hände“, „Das Universum schlägt zurück“), andererseits aber ohne Filter berührend („Wenn ich groß bin“, „L’amour“). In manchen Momenten hört man ausschließlich die Stimme der Sängerin und die Instrumente ihrer Band. Niemand im Publikum redet, niemand raschelt oder macht andere Geräusche. Das ist bei über 1000 Menschen im Raum ein wenig haunting und gleichzeitig wunderbar intensiv.

Dass Annett Louisan mit dem Star des Augenblicks der deutschen Musikszene eng befreundet ist, ist Glück fürs Publikum. So leiht sie sich von Tristan Brusch den viel, viel zu krassen Song „Baggersee“ und singt ihn auf ihre besondere Art. Noch besser funktioniert ihr Cover „Both Sides, Now“ von Joni Mitchell, in dem auffällt, dass man auch nach fast 20 Jahren immer wieder Interpretationen von ihr hört, die es so noch nicht gab und man ihr manchmal auch erst nicht zutraut. Nach der Pause besteht das Set zur Hälfte aus den Hits, ohne die ein Konzert von ihr einfach nicht geht. Darunter Klassiker, die „sie wohl auch mit 80 im Paillettenkleid noch singen“ muss, wie sie selbst witzelt wie „Das Gefühl“, „Drück die 1“, „Das alles wär nie passiert“ und das abschließende „Das Spiel“. Die andere Hälfte ist ein Potpourri aus Liedern, die es ewig von ihr nicht zu hören gab. Erzählte sie auf „Kleine große Liebe“ die Geschichte von „Torsten Schmidt“ in „Two Shades of Torsten“ weiter, spielt sie heute beide in einem Medley in einem fulminanten Arrangement. Außerdem hat sie mit „Die Katze“, „Der Blender“ und „Die Dinge“ gleich drei Titel von ihrem Debüt „Bohème“ vorbereitet, was nächstes Jahr erschreckenderweise 20-jähriges feiert. Für die, die alles kennen, ertönt „Schablonen“, ein neuer Titel, der auch schon 2022 auf der Tour dabei war, aber nicht auf „Babyblue“ gelandet ist. Womöglich aber auf dem nächsten?

Annett Louisan ist eine erzählende Sängerin. Von vielen geliebt, von allen anderen underrated. Solche Abende wie der in Köln tun gut. Auch, weil man merkt, dass ebenso bei der Sängerin das Leben nicht immer rosarot ist. Sie glaubt immer noch an die Liebe, wie sie sagt, aber auch an Demokratie. Dafür bekommt sie großen Beifall. Sie zeigt sich immer verletzbar und kommt damit ihren Zuhörer*innen noch viel näher. Nähe, die spürbarer ist als ihr Stehen auf dem Stuhl nebenan und für viele vielleicht auch angstmachend. Überwinde deine Angst! Es lohnt.

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Foto von Christopher

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