Autorin Marie hat es bislang noch nicht geschafft ein Album von Casper am Stück zu hören und mag der hohen Sprechstimme des Extertalers eigentlich lieber im Podcast-Format lauschen. Für Jonas hat der Rapper hingegen eine ganz neue Denke in Gang gesetzt. Der dieswöchige Plattenkrach.
Jonas sagt dazu:
Meine Beziehung zu Rap ist eine zweiseitige. Mal vom ekelhaften Proll- und Machogehabe vieler Rapper und den zugehörigen Fans angewidert, mal von der direkten Ader und dem aggressiven Sprechgesang fasziniert, treibt mich wohl kein Genre so sehr in den Zwiespalt wie es Rap tut. Dass gerade der Künstler, der zu meiner musikalischen Sozialisation den wohl größten Teil beitrug, aus dem Hip-Hop kommt, jahrelang als Mitglied der Crew Kinder Des Zorns Feinde disste und auch auf seinen ersten Solo-Tapes und Debütalbum hauptsächlich relativ straight rappte, wirkt vor dem Hintergrund auf den ersten Blick durchaus sonderbar. Casper heißt dieser mittlerweile 36-jährige Herr, der mit seinem zweiten Studioalbum „XOXO“ nicht nur den deutschen Hip-Hop, sondern auch meinen gesamten musikalischen Werdegang verändern sollte.
Was viele nämlich nicht wissen: Benjamin Griffey, wie der Wahlberliner mit bürgerlichem Namen heißt, vereint Gegensätze. Neben der Liebe zum Hip-Hop entdeckt der Bielefelder in seiner Jugend aggressiven Hardcore für sich, stößt später auch auf den düsteren Black-Metal von Satyricon. Diese Einflussvielfalt schlägt sich im Laufe der Karriere auch in der Musik des Rappers nieder. Schon während der Anfangstage wird Griffey aus der eigenen Szene immer wieder als „Emorapper“ bezeichnet. Mit seinem zweiten Langspieler „XOXO“ soll sich dieser Titel dann bewahrheiten. Drei Jahre arbeitet Casper an dem Nachfolger seines Debüts „Hin Zur Sonne“. Als das Album im Sommer 2011 dann endlich erscheint, katapultiert der Erfolg der Platte – mittlerweile hat das Werk Platin-Status erreicht – den Rapper von den kleinsten Clubs innerhalb weniger Jahre in die größten Arenen des Landes.
Was macht „XOXO“ so einzigartig? Casper verdrängt Szene-Gedanken und Konventionen und lässt ungehemmt alle Einflüsse zu. So entsteht ein freier Sound zwischen Post-Rock, Indie und Rap, der allen engstirnigen Szenefanatikern selbstbewusst den Stinkefinger zeigt – soetwas hatte man aus dem damals eher unpopulären Hip-Hop-Bereich noch nicht gehört. Das Album ist dadurch mehr Pop und Rock als Hip-Hop, obwohl Casper in jedem Song rappt und sich erst auf dem Nachfolger „Hinterland“ am Singen probiert. Mit „So Perfekt“ und „Auf Und Davon“ finden sich gleich zwei Songs, die von den hiesigen Radio-Stationen rauf und runter gespielt werden, obwohl Sprechgesang zu der Zeit eigentlich so gar nicht die Charts dominiert. Gerade deshalb muss sich Casper in den kommenden Jahren häufig dem absolut nichtigen Vorwurf stellen, er sei kein Rapper mehr.
Mit dem düsteren „Kontrolle / Schlaf“, dessen Grundkonstrukt auf einen Song der amerikanischen Indie-Rock-Band Barcelona zurückreicht, dem treibenden Intro „Der Druck Steigt (Die Vergessenen, Pt. 1)“ und der emotionalen Ballade „Michael X“ (wer Turbostaat-Zitate findet, darf sie behalten) stehen neben diesen recht leicht zugänglichen Stücken auch verkopftere Songs, die den düsteren Grundcharakter der Platte mittragen. Was sich durch alle zwölf Stücke zieht, ist die stets melancholische Stimmung und die vielen düsteren Themen. So fantasiert Casper vom eigenen Suizid, gedenkt in herzergreifender Weise einem verstorbenen Freund, rappt über Aufbruchsgedanken.
Gerade weil „XOXO“ eine Platte ist, die vor lyrischen und musischen Verweisen strotzt und viele verschiedene Ebenen aufweist, kommt das Album auch in Musikliebhaberkreisen und anderen Hip-Hop-fernen Hörerschaften überdurchschnittlich gut an und öffnet für viele eine neue Welt. Casper zeigt, dass Sprechgesang sehr viel tiefer greifen kann als Mutterficks und goldene Uhren und bringt damit ein Genre zurück in den Mainstream, dessen Hochphase lange vorüber schien. Der Blick in die aktuellen Charts zeigt – Rap-Musik war siebeneinhalb Jahre später vermutlich nie erfolgreicher. Mir persönlich hat die Platte für meine restliche Geschmackssozialisation mitgegeben, dass (Genre-) Grenzen nur in Köpfen existieren. Wer nach einer Kanye West-Platte eben das Explosions In The Sky-Debüt auflegen mag, bloß um danach zum Indie-Rock der Wombats zu tanzen und später gemeinsam mit Jeremy Bolm von Touché Amoré den Tod zu betrauern, der darf das selbst dann tun, wenn einige wenige engstirnige Trottel sich lieber weiter auf den eigenen Szenezusammenhalt stürzen. Punkt.
Marie sagt dazu:
Zuerst muss ich sagen, dass Casper echt ein sympathischer Typ ist und gestehen, dass ich vermutlich mehr Zeit damit verbracht habe mir seinen Podcast mit Drangsal anzuhören als seine Musik … Hier und da haben sich immer wieder einzelne Songs in meine Rotation eingeschlichen, (an „So perfekt“ oder „Ascheregen“ ist man ja kaum vorbei gekommen), doch hat mich seine Musik nie so sehr gereizt, dass ich mir ein komplettes Album anhören würde. Das ändere ich jetzt und versuche herauszufinden, ob ich die Musik von Casper fälschlicherweise ignoriert habe oder doch mit meiner ersten Einschätzung richtig lag.
XOXO soll es also sein. Und bereits am Titel merkt man, dass das Album auch schon paar Jahre her ist. Die ersten zwei Songs gehen komplett an mir vorbei. Die Emotionen kommen für mich nicht rüber. Der Song, der mir dann doch länger im Kopf bleibt, ist der Titelsong XOXO, allerdings liegt das hauptsächlich an dem von Thees Uhlmann gesungenen Refrain. „Michael X“ berührt mich dann doch. Anstatt der extrovertierten Beats, die zuvor zu hören waren, wird sich hier zurückgehalten und Schlagzeug sowie Gitarre sind klar herauszuhören. Das fühlt sich echter an und schafft es mich für die fünf Minuten komplett zu fesseln. Auch „So perfekt“ lässt mich dann wieder aufhorchen sowie „Die letzte Gang der Stadt“, der eine ordentliche Portion Kraftklub-Vibe versprüht. Aber was passiert denn bitte bei Lilablau? Wieso wird da auf einmal auf Englisch gesungen? Was habe ich jetzt verpasst?! Der Song ist nicht schlecht, wirkt aber etwas deplatziert auf der Platte. (Gibt es eigentlich noch mehr englische Songs von Casper? Das gefällt mir mit jedem Durchgang besser und besser!)
Aber warum gefällt mir das Album, das von allen so gelobt wird und Casper als den „Retter des Hip-Hops“ bezeichnen lässt, nicht? Die Stimme liebe ich, objektiv betrachtet kann man kaum sagen, dass es sich um eine schlechte Platte handelt und auch einzelne Songs beziehungsweise Songteile catchen mich immer mal wieder, aber um mir die Platte noch einmal in Gänze anzuhören, fehlt mir ein Spannungsbogen, die Songauswahl wirkt recht zufällig und verliert mich immer wieder. Insgesamt bleibt ein Album, das ich nicht wirklich schlecht finde, aber mich eben auch nicht umhaut. Ich glaube ich bleibe dann doch lieber bei dem Podcast.
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Mehr Plattenkrach: Hate it or love it – was für den einen ein lebensveränderndes Monumentalwerk ist, ist für die andere nur einen Stirnrunzler wert! Ein Album, zwei Autor*innen, ein Artikel, zwei Meinungen! Mehr Auseinandersetzungen findest du hier.
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