Teri Gender Bender wirkte sehr entschlossen in dem, was sie am fünften April auf der Bühne des Kölner artheaters präsentierte. In einem 70-minütigen Spektakel entführte sie das Publikum mit ihrer Band „Le Butcherettes“ in einen intensiven Rausch von Farben, Klängen und Bewegungen. Als schauspielerisch oder inszenierend könnte man die Art und Weise charakterisieren, mit der sich die Sängerin und Gitarristin in ungewohnten Rhythmen tänzelnd fortbewegte, teils mit einem spielerischen, teils mit einem ernsteren Ausdruck in ihrem Gesicht und in den Gesten, die sie machte. Mit völliger Hingabe für die Sache zeigte Teri sich als authentische Künstlerin, die in ihrem Werk geradezu versinkt. Durch viel Dramatik, die mitunter die Grenzen der Übertreibung flankierte, verschaffte sie sich ohne jegliche Zurückhaltung sämtlichen Raum, den es brauchte, verschiedenste Gefühlslagen musikalisch und auch visuell eindrucksvoll erlebbar zu machen. Mit einem Lichteinsatz, der für solch eine kleine Location durchaus beachtlich war, und dem von Beginn an kraftvollen Sound verlor das Programm kaum je an Intensität.
Der Auftritt der Vorband „Drens“ mit mehreren Leadsängern und einem überzeugenden Surf Punk – Sound hatte den Abend vorab bereits gut eingestimmt. Bei Le Butcherettes war danach spürbar, dass manche Bands stärker durch einzelne Mitglieder geprägt sind als andere. Teri Gender Bender hat die Gruppe, deren Besetzung sich schon oft verändert hat, nun einmal gegründet und zeichnet sich für den Großteil der Kompositionen verantwortlich. Sie ist das Gesicht der Band. Natürlich aber sorgten Rikardo und Marfred Rodríguez-López mit ihrem technisch brillanten Spiel an Gitarre und Bass für die notwendigen Harmonien, die es zur Aufführung der Songs einfach braucht. Alle Bandmitglieder, darunter auch die wirklich fantastische Schlagzeugerin Alejandra Robles Luna, genossen den Auftritt sichtlich. Zwischen ihrem grundsoliden Gitarrenspiel, dem durchaus anspruchsvollen Gesang und hin und wieder gebotenen Einlagen von gesprochenem Wort fand Teri zu „The Leibniz Language“ dann noch die Zeit, sich für ein paar Minuten unter das Publikum zu mischen, während die Band ihre Fähigkeiten in einem instrumentalen Zwischenspiel zum Besten gab.
Selbstbewusst ließen Le Butcherettes bei diesem Auftritt gar einige bekanntere Stücke aus und konzentrierten sich stark auf das Material des neuen Albums „bi/MENTAL“. Dieses Konzert war ein komplexes, wenn auch kurzweiliges Gesamtkunstwerk, dem sich konsequenterweise auch keine Zugabe mehr anschloss – denn der Abend war einfach rund.
Bereits 2016 hatte uns ein Auftritt von Le Butcherettes im artheater viel Vergnügen bereitet. Dieses Mal hatten wir außerdem die Gelegenheit, Frontfrau Teresa, die vor allem unter dem Namen „Teri Gender Bender“ bekannt geworden ist, in einem netten Interview ein wenig besser kennen zu lernen.
minutenmusik: Ist das hier ein Interview mit „Teri Gender Bender“ oder mit Teresa?
Teri: Das ist eine gute Frage! Vielleicht ist es ein bisschen was von beidem, um ehrlich zu sein. Ich weiß es nicht. Das ist mein Dilemma. Ich weiß nicht, wer verdammt nochmal gerade wer ist. Entschuldige meine Ausdrucksweise! Also ja, ein wenig Teri, ein wenig Teresa. Teri Gender Bender oder Teresa Suárez Cosío.
minutenmusik: Ist „Teri“ sowas wie ein Alter Ego?
Teri: Das weiß ich nicht. Ich denke, ich wünschte… Das muss es sein, denn im echten Leben bin ich so ein dünnes Hemd, aber auf der Bühne fühlt es sich danach an, dass ich Teri bin. Ich will also, dass es echt ist, aber ich denke nicht, dass es echt ist. Vielleicht bin ich wirklich einfach ein Tier. Wir sind bloß Tiere, also da steckt vielleicht ein bisschen Demütigung dahinter. Es muss also eine Erfindung sein, es ist nicht real. Es ist traurig, weil ich dachte, dass es das wäre. Dann las ich aber dieses Buch namens „Sapiens“, das die Religion einfach aus meiner Seele herausnimmt.
minutenmusik: Von wem stammt das Buch?
Teri: Ich erinnere mich nicht einmal an den Namen. So gut ist das Buch, der Autor interessiert nicht mal. Es ist ein Buch über die Geschichte der Menschheit.
minutenmusik: Ich habe mir neulich ein Musikmagazin gekauft, in dem ein Interview mit dir veröffentlicht wurde, und bin dabei auf eine Headline gestoßen, die mir ins Auge sprang:
„MEINE MUTTER HAT VERSUCHT, MICH UMZUBRINGEN“
Teri: Zeig her… Oh mein Gott!
minutenmusik: Hast du das beabsichtigt?
Teri: Ja, das war beabsichtigt, aber ich denke auch, dass das nicht sie gewesen ist. Du hast eben vom Alter Ego gesprochen. Ich habe mich dasselbe über meine Mutter gefragt. Ist es ihr anderes Ich, das versuchte, mich zu töten, oder ist es ihre Krankheit? Ist sie es? Wer war das? Ich spreche davon, dass wir alle Adaptionen kognitiven Denkens sind. Dem haftet eine spirituelle Seite an, da ist etwas, wovon wir nichts verstehen, aber im Endeffekt ist es nichts Persönliches. Ich weiß, dass sie es meinem Bruder angetan hätte, wenn ich es nicht gewesen wäre, oder sich selbst. Im Wesentlichen sind das die Jahre ihrer Krankheit gewesen. Sie schlägt immer um sich, doch es ist immer intensiver geworden. Zu entscheiden, das nicht zu akzeptieren, hat es noch schlimmer gemacht. Als es passierte, stieß ich im Grunde alles von mir weg, schloss mich in eine kleine Kammer ein und schrieb die Demos für die Platte.
minutenmusik: Du hast eine Haltung eingenommen.
Teri: Ja, das war Medizin, um zu heilen. Man kann eben nur so und so viel von jemandem hinnehmen, selbst wenn es deine Mutter ist, selbst wenn es dein verdammter Vater ist. Du musst eine Grenze ziehen.
minutenmusik: Ist es üblich, dass Journalisten nach diesen privaten Dingen fragen, oder bringst du das auch selbst ins Spiel?
Teri: Es ist auf jeden Fall ein Vor und Zurück, ein Mix aus allem. Ich denke, in vielen Fällen sind Musik, Kunst und Literatur sehr persönlich, stammen von etwas Persönlichem ab.
minutenmusik: Wie reagiert deine Mutter auf deine Äußerungen in den Medien?
Teri: Ihre Reaktion? Sie sagt mir, dass ich ein Dreckstück bin, dass sie will, dass ich sterbe… Doch wie dem auch sei, ist es mein Appell an sie, mich anzuhören, denn mein ganzes Leben lang hat sich mich nicht gehört, sie hat mich nur geschmäht, sie hat mich mit ihrem Schweigen ausgeschlossen, mich gefesselt und stundenlang geschlagen. Ich habe es nie jemandem erzählt, denn sie sagte mir, das solle ich nicht, denn es sei nur eine Sache zwischen uns. Weißt du, bis zu einem gewissen Punkt hat sie Recht, aber das ist auch meine Geschichte. Ich existiere auch, ich bin nicht nur deine Tochter, ein Hirngespinst deiner Phantasie. Ich bin real. Zumindest denke ich, dass ich real bin. Ich weiß es nicht. Du siehst, das ist diese Sache: Wer bin ich? Aber ich will einfach, dass sie reagiert. Ich hoffe, dass sie wahrhaftig reagiert, statt dass sie es als einen Angriff auffasst, denn es ist kein Angriff. Es ist meine Geschichte, es ist meine Wahrheit. Hoffentlich kann sie dazulernen, aber sie hat es noch nicht getan.
minutenmusik: Besteht zwischen deinen persönlichen Erfahrungen und deiner Musik immer eine enge Verbindung?
Teri: Ja, das ist immer direkt verbunden mit mir, den Wurzeln. Die verschiedenen Line-ups haben sich immer der Vision der Musik hingegeben. Es ist auch sehr bewegend, dass wir dank der Musik dazu in der Lage sind, entlang des Weges neue Freunde zu finden, wie eine Ersatzfamilie, etwas, wonach ich immer gesucht habe. Nach dem Verlust meiner Familie in einem sehr jungen Alter habe ich immer versucht, etwas zu rekonstruieren, mich selbst wieder ganz zu machen. Ich glaube, jetzt im Moment habe ich eine gute Zeit in meinem Leben. Ja, ich vermisse meine Mutter, doch das Leben geht weiter.
Le Butcherettes.
minutenmusik: Siehst du dich bei Le Butcherettes, deren Line-up sich nun schon ein paar Mal verändert hat, als Führungsperson?
Teri: Das wünschte ich. Vielleicht bin ich das in rechtlicher, technischer und spiritueller Hinsicht, aber bin ich darin gut? Ich weiß es nicht, denn ich denke, es braucht jeden in der Band. Ich bin vielleicht die Anführerin in gewissen Dingen, etwa in der Komposition, und darin, was den Anfang der Band betrifft, ein CEO oder so. Rikardo ist ein Anführer in seinem Handwerk, er spielt richtig gut Gitarre, er macht außerdem Artwork fürs Merch. Jeder übernimmt für sich eine Führung. Wenn wir auf Tour sind, fahren Marfred und Riko immer. Sie führen das Schiff in technischer Hinsicht. Ich denke, ich scheue mich davor, von mir als Führungsperson zu sprechen, denn ich glaube nicht, dass ich dafür gut genug bin.
minutenmusik: Es gibt bei euch Werke, die wirklich sehr verschieden klingen, zum Beispiel sind “give/UP”, “in/THE END” oder “The Leibniz Language” ja völlig unterschiedliche Songs. Kommt das durch verschiedene Herangehensweisen ans Songwriting zustande?
Teri: Es ist immer schwer für mich, das zu akzeptieren, aber all diese Songs sind zu hundert Prozent meine Kompositionen, meine Arrangements. Erst in letzter Zeit, zum Beispiel bei “strong/ENOUGH” oder “struggle/STRUGGLE”, kam es zu Kollaborationen… Die Songs klingen aber so vielfältig, weil ich mein ganzes Leben lang verschiedene Arten von Musik gehört habe. Heute gibt es auch so viel Neues im Rahmen der Technik… Unterhaltung, Bücher, unterwegs hört man sich vieles an. Ohne Zweifel denke ich aber, dass dieses neue Album das mit den meisten Kollaborationen ist, denn wir gaben einander auch die Intimität des Zusammenlebens, während wir es aufnahmen. Ja, das entstand zwar aus den Demos, aber sobald die anderen ihre Teile spielten, hatten sie ihren eigenen Groove. Sie machen da eben ihr Ding, das ein bisschen anders ist als das, was du schon hattest. Und dann sagst du: „Weißt du was? Das ist sogar noch besser!“
minutenmusik: Du versuchst einige Dinge, über die du sprichst, sehr differenziert zu betrachten und ihre Komplexität zu durchleuchten. Hast du Interesse an philosophischen Fragen?
Teri: Ja, das liebe ich, eigentlich alle bei uns in der Band! Philosophische Themen, alle Arten von Literatur, Geschichte… Um uns einfach zu informieren. Wir lieben es, wir sind große Fans davon.
minutenmusik: Bei eurem neuen Album „bi/MENTAL“ geht es um geistige Gesundheit und um die Dualität der Dinge. Du hast einmal gesagt, dass die Dinge trotz der Verschiedenheit, in der sich unsere Wirklichkeit darstellt, letztlich „ok“ sein werden, dass das Leben ein Kreis ist. Wie genau meinst du das?
Teri: In meiner jetzigen Verfassung denke ich, wenn ich zurückblicke, dass das Leben mit oder ohne uns weitergehen wird. Wir müssen also über uns selbst hinwegkommen und einfach die Gegenwart genießen. So sehe ich es. Es wird vorbei sein. Wir sind nicht für immer. Man muss sich nur einmal die Geschichte anschauen. Wenn da drüben der Urknall gewesen ist, dann fängt die Geschichte unser aller Vorfahren erst hier vorne an. Es wird weitergehen, also lasst uns einfach das Leben genießen, das wir jetzt gerade haben.
minutenmusik: Welche Fragen werden die Menschheit deiner Ansicht nach in naher Zukunft umtreiben?
Teri: Das Geschichtenerzählen. Man sucht nach Geschichten. Das ist es, was die Menschheit verbindet. Ich denke, dass es der Job eines Künstlers ist, zu kommunizieren, und es ist definitiv der Job der Öffentlichkeit oder der Menschenmengen, die Punkte zusammenzuführen.
minutenmusik: Deine Bühnen-Performance rangiert meiner Ansicht nach zwischen spaßigen Einlagen und durchaus einer Menge Ernsthaftigkeit. Wie siehst du dich vor deinem Publikum und wie möchtest du gesehen werden?
Teri: Es ist zweifelsfrei eine ironische Darstellung meiner selbst, man sollte keine Angst davor haben, einen Narren zu spielen. Nach so vielen Jahren in der Schule und den Versuchen, akzeptiert und nicht als sonderbar aufgefasst zu werden, geht es darum, das Sonderbare und Wilde zu umarmen und zu erforschen, diese Läuterung zu erforschen. Es gibt nichts Besseres, als das mit Leuten zu tun, die du liebst, und mit ihnen zu reisen.
In ihre Performance versunken: Teri Gender Bender.
minutenmusik: 2012 bist du mit der Formation „Bosnian Rainbows“ hier in Köln zu Gast gewesen. Damals habe ich dich gefragt, wann du wieder mit Le Butcherettes auf Tour gehen würdest.
Teri: Oh, was habe ich da geantwortet?
minutenmusik: Zu dem Zeitpunkt meintest du, „Bosnian Rainbows“ würden dich zeitlich komplett beanspruchen. Du hattest da wohl einen Fokus auf dieses neue Projekt gesetzt. Konzentrierst du dich immer lieber nur auf eine Sache?
Teri: So habe ich damals funktioniert, aber das ist wohl leicht für mich zu sagen, denn ich bin niemals gleichzeitig mit zwei Projekten getourt. So läuft es einfach immer zufällig. Dann wollten wir was mit „Crystal Fairy“ machen, aber da hatte Omar [Rodríguez-López] die Aufgabe, Filmmusik zu schreiben, Dale und Buzz hatten mit den Melvins zu tun. Zu der Zeit war ich darauf vorbereitet, etwas mit Crystal Fairy und mit Le Butcherettes zu machen, aber so kam es dann nicht. Ich kann also nicht sagen, ob ich das könnte. Ich bin aber eine sehr entschlossene Person, also könnte ich das wahrscheinlich schon. Ich denke aber auch, dass alles aus einem Grund passiert. Dasselbe gilt für eine Beziehung, man sollte sich auf diese Person fokussieren. Ja, es gibt eine polygame Kultur, aber da sind eine Menge chaotischer Elemente mit im Haus, mehr Gewalt, als wenn eine Frau im Haus ist. Ich sehe das hier wie meine Ehefrau, jetzt bin ich mit meiner Ehefrau zusammen. Vielleicht wird es mal eine Trennung geben und ich entdecke meine Geliebten. „Bosnian Rainbows“ ist also meine Geliebte, „Crystal Fairy“ ist meine Freundin… Aber „Le Butcherettes“ ist meine Ehefrau.
minutenmusik: Es ist immer wieder interessant, einen neuen Namen der Familie Rodríguez-López in deinem Umfeld zu entdecken.
Teri: Oh ja, die Familie ist wirklich cool. Es ist eine Gemeinschaft.
minutenmusik: Weißt du bei aller Entschlossenheit für die Dinge, die du umsetzt, was du eigentlich damit erreichen willst? Willst du irgendwo hin?
Teri: Ich fühle, dass mir da ein Stück fehlt, um in der Sache mit meiner Mutter einen Abschluss finden zu können. Das ist etwas, das mir viele Schmerzen bereitet. Abgesehen davon finde ich, dass ich das Leben lebe. Wenn es nicht um diese eine Sache ginge, wäre ich zu hundert Prozent komplett, doch ich muss weitermachen, auch wenn ein Teil in meinem Herzen fehlt. Ich muss lernen. Man kann nur so und so viel tun. Du kannst nur betteln, versuchen zu erreichen, dass dich jemand lieben will. Aber am Ende des Tages tut er das dann nicht wegen dir. Auf dem Karrierelevel sind wir glücklich, bei all unserer Zeit, die wir investieren, denn es wächst langsam. Mehr Leute kommen zu den Shows, mehr Veranstalter wollen uns erneut haben. Wir sind jetzt wieder hier. Wir spüren durchaus den Zuspruch, wir blicken dankbar darauf.
minutenmusik: Gibt es Dinge, die du völlig aufgegeben hast?
Teri: Ich will eigentlich sagen, dass ich es aufgegeben habe, die Leute zufriedenstellen zu wollen, doch ich will die Leute nach wie vor zufriedenstellen. Ich arbeite daran. Ich muss aufhören, mir darüber irgendwelche Gedanken zu machen. Sonst behandeln einen die Leute wie Scheiße. Sie sehen Freundlichkeit als Schwäche. Ich rede jetzt nicht von der Band. Ich meine die große Welt, die echte Welt, abseits des Tourens, im Leben… Ich glaube, dass ich umso mehr Probleme in der Welt sehe, je älter ich werde. Es wird schwerer, da will ich nicht lügen. Vielleicht sollte ich das nicht sagen. Vielleicht sollte ich sagen, dass es alles besser wird. Ich weiß es nicht. Ich würde mit Sicherheit nicht noch einmal 22 sein wollen, denn dann hätte ich nicht die Erfahrung, die ich heute habe.
So hört sich das an:
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Le Butcherettes live 2019:
29.06. – Lärz, Fusion Festival
30.06. – Berlin, Bi Nuu
03.07. – Dresden, Chemiefabrik
04.07. – München, Feierwerk
Die Rechte an den Bandfotos liegen bei Lindsey Byrnes, die Rechte am Albumcover liegen bei Rise Records.
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