Let’s Dance ist eine wahre Institution. Fast das gesamte Jahr über kann man eine der beliebtesten Shows im deutschen Fernsehen in irgendeiner Form erleben. Gibt es im Frühjahr mittlerweile rund drei Monate lang Woche für Woche eine neue Ausgabe der aktuellen Staffel, wird zu Karfreitag, an dem nicht getanzt wird, ein Rückblick gesendet. Und um das Ganze nochmal eine Woche nach Finale zu verlängern, gibt es die Profi-Challenge, bei der die allein randürfen, die seit Jahren fast schon mehr Ruhm genießen als die teilnehmenden Promis selbst. Außerdem: Ein auch in diesem Jahr bald zu sehendes Weihnachtsspecial. Seit 2019 gibt es on top einen ganzen Monat lang das erfolgreiche Live-Konzept, sodass viel mehr Menschen in den Genuss der schillernden Tanzwelt kommen können, als nur die paar Hundert, die es ins Aufnahmestudio nach Köln schaffen.
Somit ist nach der Staffel vor der Tour und nach der Tour vor der Staffel. Ist einem in den Sommermonaten langweilig, gibt es stets frischen Social-Media-Content und natürlich Ankündigungen, wer im Spätherbst in ganz Deutschland in den größten Arenen mitmachen wird. Seit Neustem kann man sogar ein Brettspiel zuhause zocken. Musik-Sampler zu mehreren Staffeln inklusive kleinem Workshop fürs Wohnzimmer gehören ja eh zum Standardrepertoire eines eingefleischten Fans. Die Let’s Dance-Uhr steht eben niemals still und löst in einem dadurch, dass fast ausschließlich mit positiven Vibes unterhalten wird, viele schöne heimelige Gefühle aus.
Es ist eines dieser wenigen TV-Formate, die fast gänzlich ohne Skandale auskommen, mehrere Generationen abholt und auf einfachem Wege unterhält. Dass das auch live außerhalb der MMC Studios funktioniert, war bis 2019 zwar nur Utopie, ist aber seitdem gesetzte Sache. Somit gibt es auch schon während der mittlerweile vierten Tour – 2020 war eine Corona-bedingte Pause – Tickets für Tour Nr. 5, die erstmalig mit unglaublichen 23 Terminen ins Rennen geht, darunter sechs Städte mit je zwei Vorstellungen. Ihr wisst schon nach der Tour ist vor… das Let’s Dance-Publikum ist treu und die Show seit so langer Zeit ein Hit, dass da gar nichts mehr schiefgehen kann – oder?
Tatsächlich trifft Let’s Dance – Die Live-Tour einige unschöne Entscheidungen. Nichts davon fällt wirklich groß ins Gewicht, aber es hinterlässt einen kleinen, faden Beigeschmack. Praktisch, dass wir für euch bisher bei jeder Tour dabei waren und ihr somit nochmal unsere Artikel zur Live-Tour 2019, Live-Tour 2021 und Live-Tour 2022 nachlesen und selbst vergleichen könnt. Ein wenig Service unsererseits. Gern geschehen.
Zum generellen Ablauf noch einmal die absolute Kurzform: Einige Promis der aktuellen Staffel treten wie in der Fernsehsendung gegeneinander an und performen zwei Choreos, die auch schon aus der Staffel bekannt sind. Die Jury bewertet im klassischen 30-Punkte-System, das Gewinnerpaar wird allerdings ausschließlich per Handyvoting im Saal von den Besucher*innen ausgewählt. Dazwischen gibt es eine Hand voll Showtänze mit den Profis, aufwändige Kostüme und viele Special Effects.
Gewöhnlich stehen die vier NRW-Shows eher am Anfang des Tourplans, diesmal bilden sie fast den Schlussblock. Oberhausen ist der 18. Halt auf der Reise, es folgen lediglich noch Köln und Mannheim. Am 4.12. gegen 22:45 Uhr ist also Let’s Dance – Die Live-Tour 2023 Geschichte. Doch vorher gibt es am 2.12., einem Samstag, in der Ruhrgebietsstadt nochmal volles Programm. Das Gute zunächst: Wer bisher keine der Tourneen besucht hat, wird mit sehr großer Sicherheit super unterhalten und zufrieden den Saal verlassen. Kritik gibt es eher im Detail.
Dass die Tickets erneut einige Euros pro Kategorie teurer wurden, ist selbstredend der Inflation geschuldet. Allerdings fühlt sich die Show in diesem Jahr ein wenig an wie der Kauf der Lieblingschipstüte – nicht nur teurer, sondern auch noch weniger Inhalt. So gibt es erstmalig statt sechs Promis nämlich nur fünf und damit gleichzeitig bei 135 Minuten gute zehn Minuten weniger Stagetime. Ja, das mag nun ein wenig knauserig wirken, aber schließlich sind die Auftritte der Promi-Profi-Paare das Herzstück der Show, und wenn es davon plötzlich nur noch zehn statt zwölf gibt, ist das ein Einbußen von fast 20 Prozent. Außerdem trifft man erstmalig seit der ersten Tour wieder auf einen Promi, der nicht zur letzten Staffel gehörte.
Zwar hat man mit Ingolf Lück einen wirklich unglaublich charismatischen Menschen ausgesucht und gleichzeitig sogar nicht nur einen Let’s Dance-Gewinner, nämlich den aus 2018, sondern auch noch den ältesten Gewinner aller Staffeln weltweit – dennoch wirkt die Auswahl ein wenig zufällig. Wer hat Zeit, wen könnte man mal nehmen? Gab es im letzten Jahr ausschließlich Teilnehmende der 2022-Staffel, warteten auf der Tour davor nur die Allerbesten auf ihre Zuschauenden, nämlich die Top 3 bzw. Top 4 aus den Staffeln 2020 und 2021. 2019 wurde die Cast bereits mim Rebecca Mir, einer sehr viel früheren Teilnehmerin, aufgestockt, aber da war man auch noch in der Erprobung. Neben Ingolf Lück besteht die diesjährige Besetzung aus allen drei Finalist*innen – konkret Anna Ermakova (Platz 1), Julia Beautx (Platz 2), Philipp Boy (Platz 3) – sowie dem ebenfalls sehr random ausgewählten Abdelkarim, der in der Staffel gerade einmal Platz 13 belegte. Auf keiner Tour bisher gab es einen so schlechtplatzierten Kandidaten.
“Die beliebtesten Promis der neuen Staffel” ist also leider nicht wörtlich zu nehmen. Wer also gegenwärtig sich für 2024-Tickets als Weihnachtsgeschenk entscheidet, ist zwar zweifellos auf der sicheren Seite, was eine unterhaltsame Show angeht, aber kann womöglich in dem einen oder anderen Punkt etwas enttäuscht werden. Ganz und gar nicht enttäuschend ist dafür auch im fast ausverkauften und gut gelaunten Oberhausen die wirklich erschlagend große Bühne, die aus Tanzparkett, Jury-Podest und riesiger Leinwand besteht und einfach fantastisch aussieht. Unzählige Kronleuchter, genauso unzählige Konfettibomben, Pyros, Feuerelemente und hübsche Kulissen, die aus Fahrrädern mit Blumen, Hochzeitbögen und Ledersitzen teils nur für wenige Minuten aufgebaut werden, bieten pausenloses Eye-Candy. Auch wenn für die Akteur*innen auf der Bühne bereits die 18. Stunde geschlagen hat, geben sich alle wirklich Mühe, agieren, als ob Premiere wäre und zeigen keinerlei Abnutzungserscheinungen. Und da sind wir mal ganz ehrlich: Innerhalb von 28 Tagen 20 Shows abzufeuern und immer noch fit zu sein, verdient Respekt.
Daniel Hartwich witzelt wie eh und je mit viel Charme durch die Show, in der seit zehn Jahren kontinuierlich gleichbleibenden Jury herrscht immer wieder die richtige Chemie, auch wenn in Oberhausen so wie bei allen vier Samstagabendshows Isabel Edvardsson für Motsi Mabuse einspringt, die parallel beim englischen Format “Strictly Come Dancing” als Jurorin mitmacht. Edvardsson macht es wunderbar, sieht mit großem Babybauch auch im figurbetonten Kleid hervorragend aus und hat sogar im Vergleich zu Jorge González die interessantere Frisur. Muss man auch erstmal hinkriegen.
Für die Profi-Choreos zeichnen sich erneut die beiden “Let’s Dance-Legenden”, wie Hartwich sie gerne nennt, verantwortlich: Vadim Garbuzov und Kathrin Menzinger zaubern fünf wirklich schöne Showtänze hervor, die stilistisch alle sehr unterschiedliche Wege gehen und auch nie exakt das zeigen, was man auf der Tour davor schon sehen konnte. So gibt es 2023 als Opening das alte Hollywood zur goldenen Zeit mit Songs wie “There’s no business like show business” und einem steppenden Vadim, dann einen gruselig angehauchten Freestyle mit viel Rauch und blutbeschmierten Shirts, eine wirklich hervorragende Flamenco-Nummer, Walzer und mehr beim Liebesblock und zum Abschluss ein Schlager-Medley in Trachten. Top.
Dennoch ein weiterer Negativpunkt: In den zwei Jahren zuvor durfte je ein Paar aus dem Publikum aufs Parkett und einige Minuten tanzen. Dieser Punkt wird 2023 gegen einen Tanz mit Profitänzer Valentin Lusin ausgetauscht. Das ist natürlich wesentlich spektakulärer und klingt nach einem wirklich einmaligem Erlebnis, allerdings bekommt die 23-jährige Besucherin am Ende geschätzt gerade einmal 30 Sekunden. Sie entscheidet sich für Discofox, Valentin wirbelt sie einmal herum, tanzt mit ihr drei, vier Grundschritte und schon ist das Spektakel wieder vorbei. Das ist arg mau und eine Portion zu viel Aufplustern für so wenig Inhalt. Auf der anderen Seite werden erstmalig die Akrobat*innen, die die Profi-Choreos ergänzen, gegen einen Pianisten, eine Violinisten sowie zwei Sänger*innen ausgetauscht, sodass es einige Livemusikmomente gibt. Schöne neue Idee.
Unter den Promis glänzen wenig überraschend ganz besonders die amtierende Gewinnerin Anna Ermakova, die besonders in ihrem lasziven Contemporary alle Register zieht, sowie Philipp Boy, der zwar einige Male zu oft zeigen muss, dass er beruflich Turner ist und immer wieder einen Salto und Flickflack nach dem nächsten schlägt, dafür aber bei seinem Paso Doble wirklich stark tanzt. Ingolf Lück gewann vor fünf Jahren im Alter von 60, ist aber mit 65 eben nochmal eine Ecke älter, was zwar seiner Präsenz zu keiner Sekunde Abbruch tut, aber ein wenig seiner Agilität. Julia Beautx strahlt liebevoll und sprudelt mit ihrer Samba nur so vor Energie, Abdelkarim hingegen ist nicht umsonst als Zweiter aus der Staffel geflogen und kann selbst in der 18. Vorstellung weder seine zwei Tänze noch das Finale fehlerfrei. Ärgerlich. Bei der Publikumsabstimmung gewinnt Philipp Boy zum vierten Mal auf der gesamten Tour, Anna und Julia teilen sich gegenwärtig Platz 1 mit je sieben Gewinnen, Ingolf und Abdelkarim gehen weiterhin leer aus. Nochmal ärgerlich: Das Abstimmverfahren geht äußerst kurz, dauert nur wenige Minuten und auf sehr vielen Smartphones ist zu sehen, dass es Technikprobleme gibt und die Seite nicht öffnet. Abstimmen und das Ergebnis beeinflussen? Nicht für jede*n.
Wo Let’s Dance draufsteht, ist Let’s Dance drin. Ohne Diskussion. Bei der Frage von Daniel Hartwich, wer schon mal bei der Tour dabei war, heben grob die Hälfte die Hand. Und sehr viele werden wiederkommen, weil es auch einfach richtig Spaß macht und äußerst kurzweilig unterhält. Es entstehen lauter schöne Momente, bei denen sich in Erinnerungen an die Staffel im Frühjahr schwelgen lässt oder man das Handy für schicke Fotos und Videos herausholt. Sitzt man in den vorderen Reihen am Parkett, kann man sich sogar auf den einen oder anderen Handabschlag der Profis freuen. Aber dennoch die Bitte: Nicht nochmal im Programm downgraden, ok? Sonst reicht irgendwann die eine Chipstüte nicht mehr, und das will ja nun wirklich niemand.
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Foto von Christopher
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